Keiner schiebt uns weg?

Keiner schiebt uns weg


Vor einigen Tagen sahen wir uns einen aufgezeichneten Film an, der am 14. November des vergangenen Jahres erstmalig gezeigt wurde. " Keiner schiebt uns weg ", so lautet der Titel des Films, dessen Drehbuch von Sebastian Orlac und Ulla Ziemann geschrieben und bei dem Wolfgang Murnberger Regie geführt hat.

Es soll eine Sozialkomödie sein. Was immer darunter zu verstehen ist, dürfte der Interpretationsfähigkeit des Zuschauers unterliegen. Soweit er jenen Film als Klamauk bewertet, dürfte er damit so falsch nicht liegen. Sofern er diesem Werk einen realen Bezug attestiert, wohl aber auch.

Der Film zeigt Westdeutschland, zutreffender, den Kohlenpott, den " Pütt " zum Ende 1970er Jahre. In der einstigen Kohle - und Zechenstadt Gelsenkirchen vollzieht sich längst ein Strukturwandel. Die Zechen werden sukzessive stillgelegt. Die damaligen " Kumpel " in die Arbeitslosigkeit verbannt oder in die Frühverrentung. Wer es altersmäßig oder aufgrund seiner Qualifikation noch schafft, der sattelt beruflich um.

Während der Konsumsektor kontinuierlich wuchs, schrumpfte der Bereich der Kohle - und Stahlindustriezweige. Neben dem angleichen " Ölschock " oder der " Ölkrise " vollzog sich eine zweite Kohle - und Stahlkrise, die dann bis weit in die 1980er Jahre fort schritt.

Die Bundes - und Landespolitik versuchte in den hiervon betroffenen Regionen durch die Ansiedlung andersartiger Wirtschaftszweige, den ständigen Arbeitsplatzverlust zu kompensieren. So entstanden unter anderem auch jene Großlabore, in denen stündlich mehrere Tausend Filme entwickelt und versandfertig zubereitet werden konnten. Der Markt hierfür war vorhanden, weil der westdeutsche Reisekönig aufgrund seiner sich verbesserten Einkommenssituation sich zunehmend auch billige Auslandsreisen leisten konnte. Hierbei führte er, um bei den lieben Daheimgebliebenen später herum bransen zu können, je nach Geldbeutel, einfache bis teure und recht komplizierte Fotoapparate sowie ein dazu gehörendes, ebenfalls nicht ganz preiswertes, Equipment mit sich.

Die Beute aus den Auslandsaufenthalten befand sich dann in Schmalfilmrollen oder Plastekassetten, die eben in jenen Großlabors weiter verarbeitet werden mussten. Den Auftrag dafür erhielten jene Fabriken von den unzähligen Fotogeschäften, die bereits die Züge eines Discounters angenommen hatten und Bildeinzelpreise von 10 bis 20 Pfennig, einschließlich der Entwicklung, angeboten.

Das ist - wie in sämtlichen anderen Konsumsegmenten der kapitalistischen Wirtschaft - nur durch Ausbeutung des Menschen durch den Menschen möglich, Die Ausbeuter waren jene Betreiber der Großlabore; die Ausgebeuteten in diesem Fall fast ausschließlich Frauen. Und zwar jene, die entweder nüscht gelernt hatten bzw. nix lernen durften, weil das im Faschismus selbst groß gewordene Elternhaus eine Ausbildung untersagte.

So standen eben jene an - un - oder umgelernten Frauen an den Maschinen aus denen Tausende von entwickelten Papierfotos heraus quollen, die sie - je nach Arbeitsumfeld - in Plastekörbe einsortieren mussten, damit der Versand an die Zeittausenden Kunden reibungslos funktioniert.

Eines schönen Tages erhielten einige dieser Lohnarbeiterinnen durch einen puren Zufall davon Kenntnis, dass ihre männlichen Kollegen für jene Fronarbeiten wesentlich mehr Deutsche Mark auf ihr Konto überwiesen bekamen. Die Empörung war groß. Sie solidarisierten sich und muckten gegen die Geschäftsführung auf. Die zeigte sich indes unnachgiebig und versuchte sich mit fadenscheinigen Argumenten aus dem bevorstehenden Schlamassel heraus zu lavieren.

Im Endeffekt, ohne den gewünschten Erfolg. Die unterschiedliche Bezahlung läuft dem Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes von uns Schwarzkittel abgeleitet wird, zuwider. Auch die zwischenzeitlich eingeführten " Leichtlohngruppen ", mit denen die Arbeitgeber in diesen Branchen ( später auch in anderen Wirtschaftszweigen ) die Lohndrückerei auf anderen Wege durchzusetzen gedachten, war gesetzes - und zudem  verfassungswidrig.

(  Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist zum Teil gesetzlich geregelt, z.B. 612 Abs. 3612a BGB§ 75 Abs. 1 BetrVG. ).


Die Frauen aus dem - in diesem Film nicht benannten - Betrieb in Essen zogen alsdann vor das Bundesarbeitsgericht ( damals mit Sitz in Kassel ) und obsiegten dort im Revisionsverfahren.

Einige Zeit später meldete die Firma Konkurs an und verschwand vom Markt, so wie viele andere aus der Brache bis Ende der 1990er Jahre auch.

Ob nun der gezeigte Film in einigen Nuancen, Sequenzen oder Passagen der Wirklichkeit aus den späten 1970er Jahren entsprach oder nicht, bliebt für mich hierbei völlig unerheblich.
Mag sein, dass für einen eigentlich noch fit aussehen Renault R 4 der Hauptprotagonisten keine 50 DM, sondern mehr als das 20fache gezahlt worden ist, weil die Gartenstühle immer noch gut verkäuflich waren und somit gebrauchte Ersatzteile abgingen, wie " Schmitz´Katze ", mag sein, dass die Knilche aus jener Zeit soffen und fremd gingen, mag auch sein, dass das kredenzte Liedgut einen Hauch von real sozialistischer Kampfkultur inne wohnen hat ( was heutzutage ein müdes Lächeln bei den Altvorderen und ein abschätziges Stirnrunzeln bei den Generationen " Golf " ff hervor rufen wird ).  Das alles ist nur Nebensache. Fakt ist jedoch, dass jener Streifen sich voll umfänglich und 1:1 auf die Situationen der Malocherinnen, der in Knechtschaft von skrupellosen Fabrikbetreibern und Weltkonzernen geraten Frauen von heute übertragen lässt.

" Keiner schiebt uns weg ", so heißt auch ein Buch der Autorin Lottemi Doormann aus jener Zeit, dass 40 Jahre danach immer noch nichts an Aktualität eingebüßt hat. Demokratie hin, So genannte Soziale Marktwirtschaft her und das dämliche Gesülze der AFD dazu: Die Erwerbssituation der Frauen hat sich seit her nicht wesentlich verbessert; wenngleich diese einige Tausend Kilometer Südöstlich verschoben wurde.


https://de.wikipedia.org/wiki/Keiner_schiebt_uns_weg




" Epidaurus " - Silas Marner " - " Earthly Paradise " - 1977:





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