Die Geschichte der Inci Y.



In der Wochenendausgabe der - ersatzweise - zugestellten " Süddeutsche Zeitung - SZ  - " las ich am vergangenen Sonntag einen Artikel zu der - nicht überraschend - ewigen Wohnungsnot zu Semesterbeginn unter der Bevölkerungsminderheit der Studenten. " Alle Jahre wieder! ", war dabei mein erster Gedanke. Selbst oder vielleicht auch gerade in dem Umkreis einer Großstadt, noch gravierender ist es, in einer der typischen Universitätsstädte, wird es auf dem Wohnungsmarkt mehr als eng.

Dass dieses auch für kleinere Hochschulstandorte gilt wurde in dem " SZ " mir am Beispiel der hiesigen Fachhochschule Freising - Weihenstephan bewusst gemacht. Der Artikelschreiber erklärt dazu, mit welchen Unwägbarkeiten ( das ist jetzt sehr vorsichtig ausgedrückt ) so mancher wohnungssuchende Studierende auch in der Provinz zu rechnen hat.

Das ewig währende Motto lautet auch hier:
" Suche bezahlbares Zimmer " - " Biete ungeheiztes Wohnklo mit Waschbecken " an.

Diese Situation war auch zu meiner Studienzeit vorherrschend. Um nicht wieder das letzte Loch behausen zu müssen, bewarb ich mich kurz nach meinem Wechsel von der Fachhochschule Wilhelmshaven nach Bremen, um einen Platz in einem Studentenwohnheim. Den erhielt ich dann nach dem Sommersemester 1979 in dem Betonklotz " Mensa Wohnheim " in der " Leobener Straße  ", die direkt an dem Universitätsgelände angrenzte.

Nun, der Beton - Lulatsch, aus 11 Stockwerken bestehend , war die Ausgeburt des, ab den frühen 1970er Jahren von der Politik favorisierten Einheitsbaustils, möglichst vielen Menschen auf engem Raum eine erwünscht bezahlbare Wohnung bereit stellen zu können.

Okay, Schwamm drüber. Mir ging es für 144,-- Deutsche Mark Inklusivmiete, auf damals akzeptablen 19,4 m² nicht so schlecht. Betonmoloch hin, Anonymität her. Rundherum grünte es zu jener Zeit im Bremer Stadtteil Horn - Lehe immer noch und dieses, obwohl der Bremer Senat längst Bebauungspläne in den Schubladen liegen hatte und die Müllverbrennungsanlage sowie  die angrenzende Autobahn A 27 einige Hundert Meter davon entfernt lagen.

Der Zeitraum von 1979 bis zum Ende des Studium 1986 und des Auszugs ein Jahr später haben dann auch meine weitere Entwicklung ein wenig mitgeprägt.
Vor allem auf dem Sektor des - vorurteilsfreien - Umgangs mit den ausländischen Mitbewohnern von einst.

Das Wohnheim wurde nämlich überwiegend von just dieser Minderheit innerhalb der Minorität der Studenten belegt. Nicht deshalb etwa, weil es sie gerne und / oder freiwillig gerade hierhin zog, sondern eher dem Umstand geschuldet, dass die damaligen ausländischen Kommilitonen noch weniger eine einigermaßen akzeptable Unterkunft ergattern konnten.

Die Freie und Hansestadt Bremen war und ist keine typische Universitätsstadt. Dieser Umstand und auch die spezifischen Bremensien rund um die Historie der Großstadt an der Weser brachten einige Eigentümlichkeiten hervor, die sich ab der Zeit nach der Universitätsgründung 1971 auch auf den Wohnungsmarkt niederschlugen. Mit ausländischen Studierenden tat sich deshalb so mancher private Wohnungsanbieter nicht selten sehr schwer.

Als ich ab August 1979 in dem Mensawohnheim mein Zimmer bezog, lag die Quote der ausländischen Mitbewohner bei zirka 30 %. Das mag nicht sonderlich dramatisch klingen, doch der Grund hierfür war ein Auswahlverfahren, innerhalb dessen bereits ein Kontingentierung vorgegeben wurde. Um eine überproportionale Anzahl von ausländischen Wohnheimbewohnern zu vermeiden, hatte das einstige " Sozialwerk " der Universität hier eine Obergrenze festgelegt. Der Bewerberandrang unter den ausländischen Studierenden war jedoch um ein Vielfaches größer. Das förderte naturgemäß diverse Tricksereien bei der Zimmervergabe. So ließen sich deutsche Studenten dazu überreden, einen Bewerbungsantrag für einen dieser begehrten Wohnheimplätze zu stellen, der dann  irgendwann, allerdings wesentlich zeitnaher als es bei ausländischen Kommilitonen der Regelfall war, zur Unterzeichnung eines Mietvertrags führte. Bewohnt wurde das Zimmer jedoch anschließend von einem anderen Studiosi, nämlich einen aus dem Ausland.

Auch eine so genannte Doppelbelegung war durchaus möglich. Das gleiche galt auch für das Weitervermieten des Raumes während der Semesterferien oder eines Auslandsaufenthalts des Studenten.

All diese kleinen Tricksereien waren mir während meines freiwilligen Engagements im Mieterrat alsbald bekannt. Vor allem, als ich mit den ersten ausländischen Mitbewohnern in Kontakt kam. Es waren schon bald rein rechtliche Probleme, die die Studenten bewogen, mich in meinem Zimmer aufzusuchen.

Eines Tages kam ein iranischer Bewohnern in Begleitung einer türkischen Lehramtsstudentin zu mir. Diese hatte ein Aufenthaltsproblem. Ihre Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken ausgestellt, war bereits einige Wochen abgelaufen. Es drohte für sie sehr ungemütlich zu werden, denn die Damen und Herren an den so genannten Schaltern es Stadt - und Polizeiamtes als Ausländerbehörde kannten da wenig Spaß.

In derartigen Fällen wurden regelmäßig Aufenthalts beendende Maßnahmen angedroht. Zuvor aber musste nach dem bremischen Verwaltungsverfahrensgesetz eine schriftliche Anhörung des hiervon Betroffenen erfolgen. Die gesetzte Frist hierfür war noch nicht abgelaufen. Das war unsere Chance. Ich legte mich für die türkische Kommilitonin ordentlich ins Zeug und zog sämtliche Register meiner  - damals noch eher bescheidenden juristischen - Kenntnisse. Mit Erfolg, denn die angedrohte Aufenthaltsbeendigung erwies sich als reiner Papiertiger. Das Stadt - und Polizeiamt als Ausländerbehörde beließ es bei der Drohung und verlängerte den Aufenthalt der türkischen Studentin Inci Y. um ein weiteres Jahr mit der Einschränkung " Gilt nur für die Dauer des Studiums " sowie " Selbständige Tätigkeit oder vergleichbare selbständige Tätigkeit sind untersagt ".

Die Studentin war´s zufrieden und lud mich einige Tage später zusammen mit anderen türkischen Bekannten zu einem traditionellen Essen in ihrem Zimmer ein. Dieses bewohnte sie in der 7. Etage des Beton- Lulatsches an der Leobenerstraße.

Noch etwas gehemmt erschien ich alsdann dort und wurde freundlich begrüßt und bestens bewirtet. Es gab Köfte, Kebap, Fladenbrot und einen gemischten Salat. Dazu reichlich Grünen Tee.
Nun,ja, aus dem Essen erwuchs eine gute Nachbarschaft, woraus sich mir langsam ein neuer Freundeskreis mit einer andren Kultur erschloss.

Nein, auch oder vor allem als Student eines nicht europäischen Landes hatte es so mancher Neubremer schon damals sehr schwer. Zu dieser Erkenntnis kam ich nach all jenen Jahren, die ich in dem Mensa Wohnheim an der Uni verbringen durfte ( aus finanziellen Gründen wohl auch musste ). Neben den kulturellen Unterschieden gab es auch sprachliche Grenzen. Zwar waren die ausländischen Studierenden verpflichtet, ihre Deutschkenntnisse nachzuweisen, doch selbst nach 2 Jahren Intensivunterricht und der Vorlage einer Teilnahmebescheinigung reichte es kaum aus, um den Vorlesungen in einem ausreichenden Maße folgen zu können. Die Sprachbarriere drohte sogar noch höher zu werden, weil das fachspezifische Vokabular noch hinzu kam. So scheiterte so mancher Kommilitone schon aus diesen Gründen in dem gewählten Studiengang. Die Abbrecherquote war hier besonders hoch.

Auch die sich für ein Lehramtsstudium in den Fächern " Textiles Gestalten " sowie " Deutsch als Fremdsprache " entschieden habende Inci Y., tat sich mit ihrem Studium mehr als schwer. Sie benötigte nahezu die doppelte Anzahl an Semestern, ehe sie sämtliche Leistungsnachweise ( Scheine ) vorlegen konnte. Hinzu kamen jene existenziellen Sorgen, die bereits mit der Aufnahme des Studiums begannen. Ein Onkel aus ihrer Heimatstadt Istanbul hatte nicht nur für sie bei der Ausländerbehörde die erforderliche, notariell zu beurkundende " Verpflichtungserklärung " unterschrieben, sondern er unterstützte die Studentin auch in finanzieller Hinsicht, denn ein Stipendium gab es nicht.

Eines Tages klopfte die Studentin an meiner Zimmertür. Sie hatte einen Batzen Skripten mitgebracht. Es waren handschriftliche Aufzeichnungen, die sie für ihre angemeldete wissenschaftliche Abschlussarbeit benötigte. Sie wollte zu einem Thema schreiben, dass mir partout nicht allzu viel sagte: " Die laizistischen Staatsstrukturen in der Türkei ". Was unter Laizismus zu verstehen ist, wusste ich so gerade noch. Welche Bedeutung der Säkularismus hat, war mir auch bekannt, aber in welcher Form und in welchem Umfang sich beide Ideologien auf die Staatsstrukturen in der Türkei auswirken, wusste ich nicht. 

Ich las mir die ersten Seiten ihrer Aufzeichnungen durch und verstand zunächst nur Bahnhof. Von Ökonomie hatte ich zwar ausreichend Ahnung, von der Juristerei zumindest so viel, dass ich selbst meine vor mir liegende Abschlussarbeit erstellen konnte, aber von der türkischen Staatsform und der dortigen Gesellschaft wusste ich nichts. So saßen wir einige Stunden bei reichlich Ostfriesentee an einem Tisch und spielten Frage - und Antwort - Tennis. Ich hakte bei nahezu jedem Satz nach, die Studentin retournierte mit einer Antwort.

Irgendwann ermüdete ich. Wer von einer Sache keine Ahnung hatte, verliert schnell das Interesse daran oder erzählt - das ist heutzutage die Regel - " dumm Tüch ". Ich beschränkte mich alsbald darauf, nur den häufig vorgefundene grammatikalischen Amoklauf in den Skripten durch massive Korrekturen zu stoppen. Nach den " Gerate wohl " - Prinzip überflog ich viele Seiten des Konvoluts.
Vielleicht hatte sie gehofft, ich würde ihr die Abschlussarbeit mittels meines Wissens schreiben können, so, wie ich es knapp 1 Jahr zuvor bei einer damaligen Bekannten im Studiengang Ökonomie auch getan hatte? Nur hier lagen die Dinge völlig anders. Wie gesagt: Ökonomie und Jura, das waren Fächer, in denen ich mitreden konnte. Doch jetzt?

Zudem war ich selbst unter Zeitdruck, denn ich musste für meine eigene Abschlussarbeit Material und Literatur sammeln. Da blieb mir keine Zeit für eine weitere wissenschaftliche Arbeit.
Deshalb vertröstete ich die Mitbewohnerin auf einen anderen Termin. Ich empfahl ihr, die Rohfassung dem Hochschullehrer vorzulegen und einfach abzuwarten.

Einige Wochen später, ich saß längst an meiner eigenen Abschlussarbeit, traf ich die Studentin Inci Y. in der Bibliothek. Während des Gesprächs erzählte sie mir, dass der betreuende Professor ihre Arbeit nicht angenommen habe, da sie " nicht wissenschaftlich genug " sei. Sie machte auf mich einen deprimierten Eindruck. Auf meine Nachfrage, was sie nun vorhabe, gab sie an, sich um ein anderes Thema zu bemühen. Ich wünschte ihr viel Glück und gab meine ausgeliehen Bücher an der Ausleihe wieder ab. Meine Abschlussarbeit war so gut wie fertig. Ich hatte sie in mühevoller Kleinarbeit, ohne fremde Hilfe und nur mittels der angeben Materialien erstellt.

Okay, ich bin mit der deutschen Sprache aufgewachsen, musste nicht über den türkischen Laizismus schreiben und hatte dank der Vorkenntnisse einen gravierenden Vorteil. Dieses alles war eben entscheidend.

Viele Monate später, ich war bereits als Rechtsanwalt in Bremen zugelassen, traf ich einige, der ehemaligen Mitbewohner aus dem Mensa Wohnheim. Auf meine Nachfrage, wie es der Inci Y. ginge, bekam ich die Antwort, dass diese wieder in der Türkei sei. Sie hatte das Studium ohne Abschluss abgebrochen, dort in Istanbul über ihren Onkel einen Job in einer Textilfabrik erhalten und arbeite jetzt als Übersetzerin, da die Firma ausschließlich Textilien nach Deutschland liefere.

Nicht jeder muss ein Studium erfolgreich abschließen, aber ein Versuch ist eben auch dann nicht strafbar, wenn die sprachlichen Voraussetzungen fehlen.

Weitere Monate nach dem zufälligen Treffen, erhielt ich einen Anruf von der Ex - Studentin Inci Y. aus Istanbul. Sie hatte dieses Mal ein rein rechtliches Problem. Ein deutscher Abnehmer einer Textillieferung ihres Chefs und Lebensgefährten hatte sich geweigert, dessen Rechnung vollständig zu bezahlen. Sie wollte deshalb einen Rechtsrat einholen.
Ich konnte ihr auch in diesem Fall nicht helfen.

Danach habe ich nie wieder etwas von Frau Inci Y. gehört.




" Physic Ills " - " January Rain "
















  

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