Die Geschichte des Ismail D. oder: Wo die Türkei nicht mehr europäisch ist.
Vorgestern Abend war ich in dem " Döner Imbiss " in der Bahnhofsstraße der Gemeinde Eching. Ich bestellte zwei Döner - Teller zum Mitnehmen. Die beiden Herren hinter dem Tresen und in dem anschließenden Küchentrakt waren freundlich, schnell und offensichtlich türkischer Herkunft. Ich erkenne dieses, denn einst zählten eine Reihe von Rechtsratsuchende zu meinem Klientel.
So auch der Vater einer langjährigen Mandantin, der sich eines Tages in den frühen 90er Jahren einen chicen Mercedes W 124 zulegte. Weil gebraucht, kostete dieser dem Mann rund 28.000 DM. Das war viel Geld. Deshalb ließ er den zirka 3, 5 Jahre alten PKW Vollkasko versichern. Und dieses geschah bei der damaligen " Colonia " Assekuranz, die wenig später von der französischen " UAP " übernommen wurde. Der ist inzwischen - so sind die Abläufe im globalisierten Kapitalismus - von der gleichfalls aus Frankreich stammenden " AXA - Versicherungs AG " geschluckt worden.
Zu jener Zeit aber, war die " Colonia " eine bekannte Assekuranz, die ein breit aufgestelltes Leistungsangebot und ein gut ausgebautes Netz von Niederlassungen und Vertretungen vorzuweisen hatte. Hierunter fielen auch Kraftfahrzeugversicherungen.
Der türkische Staatsangehörige Ismael D. schloss bei der " Colonia " einen Versicherungsvertrag für sein soeben erworbenen Mercedes ab. Ein in der Nähe seiner vormaligen Wohnung erreichbarer " Colonia " - Mitarbeiter betreute den Mandanten. Er kam sogar zu ihm in die Wohnung, die im der Carl - Goedeler - Straße eher tristen Stadtteil Bremen - Vahr liegt.
Im Nachhinein mag es dahin gestellt bleiben, ob der Versicherungsvertreter den eher schlecht verstehenden und schon kaum Deutsch sprechenden Herrn D. übers Ohr gehauen haben soll oder ob der türkische Mitbürger D. einfach nur " Bahnhof " verstanden hat, für die rechtliche Bewertung des anschließenden Schadenfalls war das nur von geringer Relevanz.
Ismael D. unterschrieb den Versicherungsvertrag, der neben der obligatorischen Kfz - Haftpflicht auch eine Vollkasko vorsah. Herr D. fühlte sich sicher, denn die Versicherung für seinen Mercedes sah auch einen Ersatz in dem Fall vor, dass Herr D. einen Unfall selbst verschuldet. Sinn der Vollkasko ist es eben, den eigenen Schaden im Falle eines Unfalls ersetzt zu erhalten.
So fuhr Herr D. dann wenige Tage später in sein Heimatland Türkei. Genauer gesagt, er hatte das Ziel, seinen Geburtsort in der Nähe der Hafenstadt Adana aufzusuchen. So fuhr Herr D. irgendwann im Sommer los. Die Reise per PKW ist beschwerlich. Sie dauert für die zirka 3.400 Kilometer mehr als 33 1/2 Stunden und verläuft durch Tschechien, Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien und Bulgarien.
Eine Ochsentour also, auf der so einige Tücken in Form jeder Menge Radarfallen auf den Reisenden warten. Doch der einstige Mandant wurde nicht nur geblitzt, er erlitt auf einen Verkehrsunfall. Dieses ausgerechnet in seinem Heimatland. Zirka 200 Kilometer vor der Stadt Adana kam der Mercedes von der Fahrbahn ab und wurde dabei beschädigt.
Herr D. legte hierzu ein Gutachten eines Kfz - Sachverständigen vor, das von einem Schaden von über 7.000 DM ausging. Auch der " Colonia " wurde dieser Unfallschaden angezeigt. Doch die weigerte sich zu zahlen.
Deshalb kam die Unfallsache auch auf meinen Schreibtisch. Ich las das ablehnende Schreiben der Versicherung durch. Hierin stand, dass sich der Unfall auf der asiatischen Seite der Türkei ereignet hätte. Der Versicherungsschutz sei jedoch nur für Schäden innerhalb Europas gewährleistet.
Ich zog einen schlauen Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz heran. Und tatsächlich, die " Colonia " hatte ihre Ablehnung korrekt begründet. Die europäische Seite des Landes endet an einer geographischen Grenze, die sich vom Bosporus, innerhalb Istanbuls bis hin zum Marmarameer und den sich anschließenden Dardanellen verläuft.
Doch, was war mit dem Versicherungsvertreter, der den Vertrag abgeschlossen hatte? Hatte dieser auf den Passus hingewiesen, dass der Mandant im asiatischen Teil der Türkei keinen Versicherungsschutz genießt und somit einen Zusatzvertrag abzuschließen hat? Gehört dieses zu den Aufklärungs - und Hinweispflichten der Versicherung, dem Vertragsabschließenden über diesen Ausschluss ausdrücklich aufzuklären?
Ich erhob Klage vor dem Landgericht Bremen und startete mit einem leicht konstruierten Sachverhalt einen Versuchsballon. Die Gebühren für den Rechtsstreit erstattete die Rechtsschutzversicherung.
Nun, der aufgeblasene Ballon zerplatzte bereits während der mündlichen Verhandlung. Der geifernde Vorsitzende der Zivilkammer zerpflückte meine durchaus elegant und ausführlich formulierte Klage und wies daraufhin, dass die Kammer sich bereits mit Dutzenden ähnlicher Fälle zu beschäftigen hatte. Allesamt wurden zugunsten der beklagten Versicherung entschieden.
In einer kurz und knapp gehaltenen Urteilsbegründung bügelte die Zivilkammer die Klage ab.
Das war´s mit der Unfallsache, die sich angeblich kurz vor dem Zielort Adana, also im asiatischen Teil ( dazu zählt zirka 97 % der Gesamtfläche des Landes ) der Türkei ereignet haben sollte.
Wenige Monate danach erfuhr ich von der Tochter des ehemaligen Mandaten, dass dieser sich für immer in Adana aufhalten wolle und auch, dass sich Herr Ismail D. einen neuen Mercedes gekauft habe.
Nur, wovon?
KANOI - Hesumental - Arsonics - 2012:
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