" Gehen Sie, sofort! "



Nur noch 29 Tage, dann ist wieder Heilig Abend. Der Countdown zur all jährigen Geschenkorgie läuft. Am 1. Dezember beginnt jedoch zunächst die Adventszeit. Dann werden die Geschäfte in den Städten zum Bersten gefüllt sein; der Online - Handel bekommt viel zu tun und die Paketzustelldienste ächzen unter der gigantischen Zahl von Sendungen. Auch die Brüll - Müll - Werbung bleibt selbstverständlich nicht untätig. Auf sämtlichen - insbesondere aber den werbefinanzierten - Kanälen prügelt die Reklame - Industrie dem möglichen Konsumenten jenen Schwachsinn auf´s frisch gefönte, gesträhnte,  ergreiste oder auch kahle Haupt, warum er unbedingt irgendeinen Schrott noch vor den Heiligen drei Tagen kaufen müsse.

Jedes Jahr die gleichen Abläufe - alle Jahre wieder!

Pünktlich mit dem Einläuten der Vorweihnachtszeit beginnt aber eine kleine Völkerwanderung. Sie hat ihren Ursprung im Osten von Rumänien und bahnt sich den Weg durch die EU - Länder Ungarn, Österreich, die Slowakei oder Tschechien und ergießt sich dann in den Großstädten des wohlhabenden Deutschlands.

Es sind Bettel - Touristen. Sie sitzen zumeist in den Fußgängerpassagen, vor Einkaufsmärkten oder in der Nähe von Bahnhöfen. Dort harren sie bei ungemütlichen Temperaturen vom frühen Morgen bis in die späte Abendstunden aus. Es sind manchmal ältere Frauen, aber auch jüngere Männer und auch Erwachsene in Begleitung von minderjährigen Kindern.

Arm sehen sie aus. Die Kleidung wirkt zerschlissen, das Schuhwerk abgetragen, das gesamte Äußer lässt darauf schließen, dass diese Menschen am Rande der Gesellschaft existieren müssen. In einem Becher, einer Mütze oder einem Schuhkarton liegen ein paar Euro - Münzen. Wie diese dorthin kommen, bleibt für einen vorbei gehenden, ab Mitte Dezember dann eilenden Passaten, eher nebulös. Waren es Gleichgesinnte, die ihrem Konsumentenherz einen kräftigen Stoß verpassten und dort eine Münze in das Behältnis hinein warfen? 

Diese hockenden Personen sehen erbärmlich aus. Sie sind ein gewollter Kontrast zu dem Hochglanz jener Einkaufstempel, in denen der Besucher so ziemlich alle Waren, die vorstellbar sind erwerben kann. Voraussetzung ist allerdings, er hat genügend Bargeld, eine EC - Karte, die ein gedecktes Konto garantiert oder später dann einen Einkaufsgutschein in der Tasche.

Für die Elendsgestaltten draußen vor der Tür gibt es jene Möglichkeiten nicht. Sie sind - so zeigt es das äußere Erscheinungsbild - eben arm. Und Armut wird in diesem, unserem, so reichen Land, mit Konsumverzicht gleich gesetzt.

Soweit, so bekannt.

Als ich heute gegen 9.30 Uhr, an jenem neblig - nassen Novembertag auf den schon gut belegten Parkplatz des Echinger Einkaufszentrums fuhr, herrschte vor dem Eingang bereits reger Betrieb. Nach dem Aussteigen querte ich den hinteren Teil der Parkflächen, um einen dieser gleichförmigen Einkaufswagen von " REWE " oder " PENNY " zu holen. Plötzlich sah ich ihn, einen noch nicht so alten Mann, der in dunklen, abgetragenen Klamotten dort ein paar Schritte vor dem überdachten Bereich des Gebäudes hockte.
Er grüsste freundlich in einem nahezu akzentfreien Deutsch mit " Guten Morgen ".
Ich erwiderte höflich diesen Gruß, ohne ihm dabei erneut ansehen zu müssen und versuchte ein Chip in den Schlitz des ausgeleierten Schlosse zu drücken. Nach einigen Sekunden hatte ich es geschafft. Der verchromte Metalluntersatz wurde frei gegeben.

In diesem Moment klingelte ein Handy. Das Geräusch kam aus der Richtung, in der sich der Bettler befand. Ich erkannte sofort, dass dieser ein Telefon aus seinem Ärmel geschoben hatte und sich in einer fremden Sprache ( vermutlich Rumänisch ) ein paar Sekunden unterhielt. Dann verschwand das Mobiltelefon wieder in dem Jackenärmel. Ich zog den Einkaufswagen aus der Reihe der anderen Wagen heraus.

Kaum hatte ich den Freund und Helfer in Richtung Eingangstür gedreht und einen Teil des Wegs nach dorthin hinter mich gebracht, als kurz vor mir die automatische Glastür aufging. Eine Frau, so um die Mitte Dreißig stürzte an mir vorbei und lief schnurstracks auf die noch auf dem Boden hockende Person zu. In einem für sie sicheren Abstand blaffte die Furie, eine eher unterdurchschnittlich aussehende, kleinere Person mit Kurzhaarschnitt, mit den Worten an:

" Gehen Sie, sofort! Sonst hole ich die Polizei! ". Ich drehte mich ein wenig erstaunt und auch erschrocken etwas weiter um und bliebt für einen nur kurzen Moment stehen. " Ich hole die Polizei, wenn Sie nicht augenblicklich gehen! ", wiederholte die Dame ihr Anliegen.
Dann drehte sie sich wieder schnell um und verschwand durch die Automatiktür.

Der " Bettler " brummelte während des Aufstehens noch ein paar unverständliche Worte. Dann ging er in Richtung der Zuwegung zur Straße.

Beim Betreten des Supermarktes plärrte mir schon das nervtötende " PENNY - Live - Radio " - Gedudel entgegen. Ich fuhr den Metallwagen an dem ersten Regalgang heran und zog meine kleine Einkaufsliste aus der Tasche. An diesem nebligen Montagmorgen des 25. November 2019 sahen die Auslagen etwas unsortiert aus und in einigen Fächer herrschte gähnende Leere. Der Anblick erinnerte mich an jene Samstage in den späten 1980er oder frühen 1990er Jahren, wenn zur Adventszeit oder kurz vor Weihnachten der Massenansturm auf die " Aldi " - Filialen begann und kurz vor 13.00 Uhr die Schlacht geschlagen war.

Vielleicht ist der LKW mit dem Nachschub wegen des Nebels noch auf der Autobahn? Oder sollte der Filialleiter seine Hausaufgaben am Freitagnachmittag nicht erledigt haben. Wie dem auch sei, ich erledigte meinen Einkauf und schob den Wagen in Richtung Kasse. Dabei dachte ich wieder an das kurz zuvor Erlebte. Die kleine Gewitterhexe, die den " Bettler " dort vertrieb, war bestimmt die Center - Managerin, so heißen diese Jobs heutzutage ja. Sie wird den Mann am Boden wohl gekannt haben? Sonst wäre der nicht sofort weggegangen.

Und dann erinnerte ich mich noch einen einen Bericht über " Berufsbettler ", den ich vor einigen Jahren im fernsehen gesehen hatte. Er zeigte auch, dass gerade während der Adventszeit ganze Dörfer aus Südosteuropa, vornehmlich aus Rumänien, zum Betteln nach Deutschland gefahren werden. Es sind exzellent organisierte Banden, die hier ihr Unwesen treiben und am Abend die zerlumpt aussehenden Akteure, die nicht selten mit vorgespielten Behinderungen und Prothesen eine Hilfebedürftigkeit mimen, die es in Wahrheit nicht gibt, in einem großen Mercedes wieder einsammeln.

Ich fragte mich, ob diese Masche, dieses Geschäftsmodell, eigentlich kriminell ist.

Früher stand an vielen Wohnungs - und Haustüren " Betteln und Hausieren verboten! ". Heute bedarf es nur der Drohung mit der Polizei oder schlimmstenfalls eines Platzverweises, bis die " Bettler " am nächsten Ort, in der nächsten Straße oder der nächsten Stadt wieder auftauchen.

Die Wohlstandsgesellschaft muss auch mit diesem, nicht erwünschten Auswirkungen leben.

Wo viel Licht, da auch Schatten?




KALCAKRA -  Tante Olga - Crawling To Lhasa - 1972:



 





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