Gedanken





Die " Corona " - Seuche wütet nunmehr über 15 Monate auf dieser, unserer, geschundenen Erde. Es mag sein, dass das Virus - natürlich von Menschen verursacht - ein Ausdruck jener extensiven Lebensweise der mehr als 2 Milliarden Weltbürger ist, die Verschwendung und egoistisches  Verhalten als das wirklich Erstrebenswerte in ihrem eigenen Leben sehen. Nun ist auch diesen Vasallen von der Natur aus ein deutliches Warnsignal erteilt worden, was möglicherweise darauf hindeuten soll, dieses verschwenderische Dasein auf Kosten der Armen und der kommenden Generationen zu überdenken. 

Soweit die moralisch geschwungene Keule.

Beim genaueren Betrachten der mehr als 2, 58 Millionen Toten weltweit, könnte es einem Außenstehenden eher tröstlich stimmen, dass davon ( Stand 07.März 2021 ) " nur " 71.951 auf Deutschland entfallen. Doch jenseits jener nüchternen Statistiken, bleibt festzuhalten, dass hinter jedem " Corona " - Toten eben ein Mensch steht, der noch vor 15 Monaten gelebt hat.

Am 9. Mai 2020 verstarb mein Bruder - mutmaßlich an " Corona ". In der von seiner Ehefrau geschalteten Todesanzeige ist zu lesen:

" .... nach kurzer schwerer Krankheit... ".

Okay, dass kann auch ein Krebsleiden gewesen sein. Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich es bislang nicht in Erfahrung bringen können. 

Wir haben uns überworfen. Seine Familie, er, und ich. Es herrschte seit dem Tod der Mutter im November 2016 absolute Funkstille. Aber schon in den vielen Jahren zuvor, war unser Verhältnis als " abgekühlt " ( um es einmal im Amtsdeutsch, um es diplomatisch auszudrücken ) zu bezeichnen.

Auch das hatte einige Ursachen. 

Seit wir aus dem Elternhaus ausgezogen waren, weil jeder von uns ( die jüngere Schwester mit einbegriffen ) seinen eigenen Weg gehen wollte; mehr noch: gehen musste, waren die Kontakte auf ein Minimum beschränkt. Mein Bruder hatte sich schon früh, ab den ersten 1970er Jahren gebunden. Er legte - so wie ich auch - über den Zweiten Bildungsweg sein Fachabitur nach. Verpflichtete sich für 2 Jahre bei der Bundeswehr und began ab 1978 ein Studium an der einstigen Fachhochschule für Textilwesen in Mönchengladbach. Ein Jahr später wechselte er das Fach und studierte - wie auch ich - Betriebswirtschaftslehre.

Dazwischen, nämlich im September 1978 heiratete er. Seine Ehe hielt bis zu seinem Tod im letzten Jahr Bestand. Er war dem nach mehr als 41 Jahre verheiratet.

In dieser Zeit wurde er zwei Mal Vater und sogar für die letzten Monate seines Lebens Großvater. Zudem nahm er ab den 1990er Jahren eine Pflegetochter bis zu deren Volljährigkeit auf. Familiär betrachtet, könnte ein Außenstehender durchaus von einem erfüllten Leben sprechen. Doch der Schein trügt. Es gab im Leben meines Bruder ständige Auf - und Abs. Gekennzeichnet waren die weniger erfreulichen Phasen von Arbeitslosigkeit und Geldsorgen. Geld war eh ein neuralgischer Punkt in seiner Zeit von der Schule über die Lehre bis zum Studium sowie auch darüber hinaus, denn mein Bruder konnte - wie es die sprachliche Wertung beschreibt - nie damit umgehen.

Als er seine ersten mickrigen Ausbildungsvergütungen in Höhe von 70 DM erhielt, musste er - so wie ich zunächst auch - 40 DM davon " Zuhause abgeben ". Die kassierte Monat für Monat unsere Mutter ein. Der Rest war nicht mehr als ein kleines Taschengeld; wovon mein Bruder bereits zum 10. eines jeden Monats keinen Pfennig mehr übrig hatte. Während ich mir Schallplatten kaufte und die wenigen Moneten zusammen hielt, pumpte mein Bruder mich spätestens am 15. des Monats wegen Geld an.

Nun, zum Teil zahlte er es dann am nächsten Ersten zurück; zum anderen Teil ließ ich die Forderung einfach fallen. Diese Geldmangel - Situation zog sich quasi wie ein roter Faden durch seine Jugend und erfuhr ihre logische Fortsetzung in der Studienzeit. Wenn ich meinen Bruder in Mönchengladbach besuchte, legte ich für das dort verbrachte Wochenende einen " Huni " auf den Tisch. weil ich genau wusste, dass in seinem Haushalt, in der Familie insgesamt, das Geld immer knapp war.

Mein Bruder zog mehrfach um. Von Heeßen nach Mönchengladbach. Von dort nach Flein in der Nähe von Heilbronn in Baden - Württemberg. Danach wohnte er kurzzeitig in Oldenburg / Niedersachsen, anschließend in Atteln bei Paderborn / Nordrhein - Westfalen. Zwischenzeitlich hatte er einen Job bei einer Großbäckerei in Brakel, wo er als kaufmännischer Assistent und Betriebswirt für nahezu 50 Filialen zuständig war. Dann wohnte er in Bad Krozingen. Er zog nach einer längeren Arbeitsphase kurzzeitig zu den Eltern zurück, denn er arbeitete für eine Bäckerei - und Konditorei - Kette in Hannover. In Bad Krozingen wechselte er von einem angemieteten Haus in eine Wohnung. Finanziell ging es erneut bergab. Zum Schluss übte er einen Job als Kleinbusfahrer für einen Sozialverband aus und transportierte dort betagte und hoch betagte Menschen.

Ich vermute, dass er sich dort mit " Corona " infiziert hat. 

Mein Bruder kam nicht mehr in den Genuss seiner Rente. Die Anwartschaften fallen jetzt auf seine Frau, die eine Witwenrente beziehen darf. 2 Monate vor dem persönlichen, dem abschlagsfreien Rentenbeginn, verstarb mein Bruder in Bad Krozingen.

Hätte meine bessere Hälfte nicht zufällig im Juni des vergangenen Jahres im Internet recherchiert, ich hätte bis heute von seinem Tod nichts erfahren. Ehrlich gesagt, der frühe Abschied von meinem Bruder hat mich nicht unbedingt tief getroffen. Wir waren uns seit Jahrzehnten eher fremd und sind es im Laufe der vielen Jahre zunehmend geworden. Das lag zum Teil an mir, zum größeren Teil an dem Elternhaus

Wie besagt eine Floskel es zutreffend?

" Freunde kann man sich aussuchen. Familie nicht! "


Und so wundert es mich auch nicht sonderlich, dass sich in der Todesanzeige kein Name der Herkunftsfamilie wieder findet. So denke ich mir mein Teil dazu und bin eher im Stillen dort, wo sich vermutlich seine Seele eingefunden hat. Wir sind eben nur mit einer sehr begrenzten Zeit des Lebens ausgestattet. Versuchen wir, das Beste daraus zu machen. Und wenn es bei einem Versuch bleiben sollte, dürfte dieses dem Sinn des Lebens auch keinen Abbruch tun.


BRÖSELMASCHINE  -  Gedanken  - Live aus 2006:


Look up to the sky, heads are flying by
In the land with no heads fools hang in to trees
Where love is like a muddy river run by frozen heat
But the green fields go out and out under the sun

Look up to the sky, heads are flying by
In the land with no heads fools hang in to trees
Where love is like a muddy river run by frozen heat
But the green fields go in and out under the sun











   


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