Strukturelle Gewalt und mehr




Vor einigen Tagen lag einmal mehr die Enkelbetreuung an. Gut, die drei Nachkömmlinge sind vielleicht - wie es so schön unzutreffend heißt - " aus dem Gröbsten raus ". Tatsächlich aber, hat sich die Form der überwachenden Tätigkeit auf das reduziert, was heutzutage unter Grundversorgung zu verstehen ist. Das bedeutet somit: Essen zubereiten.

Nun sind die drei Enkel längst schulpflichtig und mühen oder bemühen sich, das von den bayrischen Kunstministerium und dessen Handlagern konzipierte Schulgesetz für sich umzusetzen. Das gerät aber nicht selten zu einem Drahtseilakt. So manche seltsame Auslegung der Pflichten und Rechte der im Freistaat beschulten Kinder sowie Jugendlichen durch die selbst ernannten " Weisen " in der vielköpfigen Lehrerschaft, der die Deutungshoheit " zu jenem Gestrüpp an Verordnungen, Regeln und anderen Belastungen zusteht, kann im ungünstigen Fällen dazu führen, dass die berufliche und weitere Entwicklung verhindert wird.

Das traf auf in den vier Grundschuljahren der zweiten Enkeltochter voll umfänglich zu. 

Diese musste sich ab dem 1. Schuljahr dem Diktat der bayrischen Grundschulordnung unterwerfen. Einem juristisch fein lizitierten Machwerk, bestehend aus 44 Normen, wovon mehr als die Hälfte inzwischen nicht mehr " belegt " ( abgeschafft ) sind. Doch der kleine Rest in 16 Paragraphen hinein gewurschtelt hat es in sich.

Damit wird der Willkür, dem Lehrkörper und den regionalen Wirtschaftsinteressen Tür und Tor geöffnet. Es sind - wie in den einschlägigen Schulgesetzen anderer Bundesländern auch - hierin ein Unzahl von so genannten Kann - Bestimmungen aufgenommen worden, die im Gleichschritt mit dem ausgehebelten Mitentscheidungsmöglichkeiten der Eltern / des Erziehungsberechtigten, dem Schüler mit Migrationshintergrund erheblich benachteiligen.

In § 8 die o.a. Grundschulordnung heißt es nämlich:  


Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache
(1) 1Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache, die nach Deutschland zugewandert sind und keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben, besuchen zunächst eine Deutschklasse, soweit das Staatliche Schulamt eine solche im Schulsprengel im Benehmen mit dem Schulaufwandsträger oder in Verbünden im Benehmen mit den Schulaufwandsträgern gebildet hat oder eine solche auf Grund eines Gastschulverhältnisses besucht werden kann. 2Auf Antrag der Erziehungsberechtigten kann die Schulleiterin oder der Schulleiter gestatten, dass die Schülerin oder der Schüler statt einer Deutschklasse eine Regelklasse besucht, wenn zu erwarten ist, dass sie oder er dem Unterricht folgen kann. 3In Deutschklassen erfolgt eine intensivierte Sprachförderung, Werteerziehung und kulturelle Bildung. 4Ziel ist, die Schülerinnen und Schüler so vorzubereiten, dass sie anschließend dem Unterricht in einer Regelklasse der Jahrgangsstufe folgen können, in die Schulpflichtige gleichen Alters regelmäßig eingestuft sind. 5Der Besuch einer Deutschklasse endet in der Regel nach einem, spätestens jedoch nach zwei Schulbesuchsjahren.
(2) 1Für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache, die eine Regelklasse besuchen, werden vom Staatlichen Schulamt andere Deutschfördermaßnahmen im Rahmen der vom Staatsministerium festgelegten Richtlinien eingerichtet. 2Die Anzahl der Unterrichtsstunden richtet sich nach dem Förderbedarf und den Lernfortschritten der Schülerinnen und Schüler.

Und § 13 Absatz 4 ff konkretisiert dazu: 

(4) 1Für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache, die Unterricht in Deutsch als Zweitsprache erhalten, tritt in Abs. 3 an die Stelle des Fachs Deutsch das Fach Deutsch als Zweitsprache. 2Bei Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache in deutschsprachigen Klassen, die keinen Unterricht im Fach Deutsch als Zweitsprache erhalten, sind in den ersten beiden Jahren des Schulbesuchs in der Bundesrepublik Deutschland unzureichende Leistungen im Fach Deutsch bei der Entscheidung über das Vorrücken nicht zu berücksichtigen.
(5) Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem sonderpädagogischem Förderbedarf, bei denen von einer Bewertung der Leistungen durch Noten abgesehen wird, ist abweichend von den Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 das Vorrücken zu ermöglichen, wenn zu erwarten ist, dass sich die Lernziele des Förderplans auch in der nächsthöheren Jahrgangsstufe erfolgreich verwirklichen lassen.
(6) Über das Vorrücken entscheidet die Klassenleiterin oder der Klassenleiter im Einvernehmen mit den sonstigen in der Klasse unterrichtenden Lehrkräften.
 

  https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVSO/true?AspxAutoDetectCookieSupport=1


Das juristisch geschliffen formulierte Regelwerk besagt - auf seine Simplizität herunter gebrochen - nichts anderes als: " Sprecht und lernt gefälligst Deutsch ". Nun, das ist ein nicht unbedingt verwerfliches Verlangen, das da vom Bayrischen Staatsministerium verordnet wird. Klar ist nämlich: Bayern hat einen Migrantenanteil von 14, 6 % und liegt damit zwar im Mittelfeld, mit über 1, 9 Millionen Menschen aber nominell an zweiter Stelle ( hinter Nordrhein - Westfalen ). Da könnte es durchaus nachvollziehbar sein, dass die Bayrische Staatsregierung jenen " Eingewanderten " und deren Nachkommen die Leviten lesen möchte, wenn es darum geht, die Landessprache zu erlernen.

Doch das oben angeführte Regelwerk enthält nicht nur für ausländische Schüler etliche Fallen bereit. Selbst bei den Kindern mit rein deutschen Eltern wird es nicht unproblematisch, wenn es darum geht, die sich aus dem Gesetzeswerk ableitbaren Realitäten im Schulalltag zu verarbeiten. Es wird für die Kinder aus so genannten bildungsfernen Elternhäusern sowie auch für jene, die mit körperlichen Handicaps in den Kampf um gute Noten und dem Erreichen des " Vorrückens " schwierig, wenn zudem inkompetente Lehrer an ihnen herum fuhrwerken.

Dieses geschah noch vor knapp 4 Jahren bei unserer zweiten Enkeltochter. Sie musste sich der Beschulung in der Grundschule des elterlichen Wohnortes in Unterschleißheim unterwerfen, weil ein Schulwechsel nach den hiesigen Bestimmungen nicht ermöglicht wird. Weil bei ihr - eher zufällig - ein angeborenes Augenleiden erkannt wurde, entstanden ihr dadurch nahezu uneinholbare Defizite. Es kam deshalb so, wie es in solchen Fällen nahezu immer kommt: Die Enkeltochter sackte in ihren schulischen Leistungen ständig ab.

Doch statt die benannte Grundschule erforderliche Hilfestellung anbot, begannen die Mühlen der Schulverwaltung zu mahlen und der bayrische Amtsschimmel wieherte fast an jedem Tag. Das installierte Räderwerk der bayrischen Schulbürokratie sah zunächst einige klärende Gespräche der Klassenleiterin mit den Eltern vor. Die feine Dame aus der Provinz wollte partout Recht haben und war der Auffassung.  die Enkeltochter sei ein klassischer Fall für die sich einige Häuser weiter befindliche Förderschule. Nach ihrem Dafürhalten habe das Mädchen nicht die erforderlichen Voraussetzungen, um die Mittelschule besuchen zu können; geschweige denn, eine weiterführende Schule zu besuchen.

Die Eltern indes blockten ab. 

Sie ließen auf Vorschlag des Lehrkörpers der Grundschule einen unsinnigen Intelligenztest durchführen. Dieses soll der pädagogischen Diagnose zum Zwecke der Einstufung eines Schülers dienen. Das Ergebnis dieses Tests war verheerend. Der Tochter wurde ein so genannter IQ von unter 40 attestiert. Ein klarer Fall für die einst als Sonderschule geführte Einrichtung von nebenan.

Die Eltern ließen sich nicht einschüchtern und wiesen die penetranten Forderungen der Klassenlehrerin ab. Die Triene, die inzwischen nicht mehr an der Schule unterrichtet, wurde nebst Schulleiterin versetzt. Das ist gut für die Schüler der folgenden Jahrgänge, denn die müssen nun nicht mehr unter diesen beiden völlig unfähigen Pädagoginnen leiden.

Wie hieß es - mutmaßlich - schon damals auf der Internetseite der " Johan - Schmid - Schule " vollmundig:


"


Wir arbeiten gerne projektorientiert!

Wir fördern Kreativität in allen Bereichen!

Wir erziehen besonders zum Musikhören und Musikverstehen!

An unserer Schule lernen alle Kinder gemeinsam, ob mit oder ohne Handicap!  "



Und weiter wird dort ausgeführt:


 " Ja, Schulen haben es heute häufig schwer, den vielen Ansprüchen gerecht zu werden, aber sie wachsen auch mit und an den Widerständen, die sich ihnen in den Weg stellen. Hürden sind eine Chance, neue Grenzen auszuloten, am Limit zu arbeiten, und damit Charakter und Persönlichkeit zu festigen. So entsteht Qualität. Sie entsteht aber auch vor allem durch das, was unsere Gemeinschaft ausmacht. Eine Gemeinschaft, in der die Humanitas, das Menschliche und Mitmenschliche im Vordergrund steht. Das Füreinanderdasein, das Sich-Kümmern und die Fürsorge im Sinne der Anerkennung eines jeden Einzelnen. Es ist aber auch die Verbundenheit mit der Schule, das Extra-Engagement für das Gelingen des Ganzen, das diese Gemeinschaft kennzeichnet und diese Schule ausmacht. "

- Zitatende - aus:

https://www.grundschule-johann-schmid.de


Das sind starke Worte. Doch die Realität sah vormals anders aus. Unsere Enkeltochter war der Willkür innerhalb des diktatorisch angewandten Benotungssystem, das zudem völlig intransparent ist, nahezu hilflos ausgeliefert. Statt der vollmundig behaupteten Förderung und daran mitzuhelfen, den " Charakter und die Persönlichkeit zu festigen " oder gar " das Sich - Kümmern und die Fürsorge im Sinne der Anerkennung eines jeden Einzelnen " in den Vordergrund jedweder pädagogischer Handlung zu stellen, wurde unsere Enkeltochter an - und ausgezählt. Sie wurde beinahe gemobbt und machte alsdann " dicht ". Die Noten in den Arbeiten waren schlecht. Der kostspielige Nachhilfeunterricht bot da eine leichte Besserung. So wurden die Noten nach einiger Zeit leicht besser. Doch auf dem folgenden " Elternsprechtag " formulierte die einstige Klassenlehrerin den Leistungsstand der Enkeltochter mit:

" Wollen Sie die noch weiter mit durchziehen? "

Abwertender und unverschämter kann es kaum ausgesprochen werden, was sich so manche Lehrkraft damals an der Unterschleißheimer Grundschule heraus genommen hat. Von wegen, " Durchlässigkeit ", " Förderung " oder gar " Füreinanderdasein " - lächerliche Phrasen um ein durch und durch intransparentes Bildungssystem im Freistaat Bayern zu verneidlichen.

Hier geht es vornehmlich, die zunächst schwächeren Schüler heraus zu kicken und zwar durch nahezu willkürliche Notenvergabe, die über ein schwammig formuliertes und tendenziöses Schulgesetz legitimiert wird. Die " Duchlässigkeit " besteht lediglich darin, das drei - gliedrige, seit den 1950er Jahren bestehende und nur unzureichend reformierte Schulsystem zu zementieren.

Das - leider - fehlende Mitsprache - und Mitbestimmungsrecht der Eltern führt dazu, dass viele sodann benachteiligte Schüler eben teure Privatschulen besuchen müssen, um sich einen weiterführenden Schulabschluss quasi zu erkaufen.

Erst nachdem die Enkeltochter ab der 6. Klasse die " Internationale Schule " in Haimhausen besucht, taute sie förmlich auf. Ihre " Verstocktheit " ließ nach. Sie wurde kommunikativer, selbstbewusster und zeigte sich wesentlich interessierter. Nun, zirka 1 1/2 Jahre nach dem Schulwechsel steht für uns Großeltern fest, dass das Niveau der Grundschule in Unterschleißheim durch ein inakzeptables Benotungs - und Selektionssystem künstlich aufgepimpt wird, um die daneben liegende " Mittelschule " sowie die " Förderschule " auszulasten. Auf das Gymnasium in Unterschleißheim schaffen es zirka 20 % der dortigen Grundschüler. 

Nun ist der Besuch eines Gymnasiums nicht immer das non plus ultra im Leben eines noch jungen Menschen, doch da seit vielen Jahren das Abitur als Grundvoraussetzung für einen Berufseinstieg und - abschluss gehört, werden just jene Schüler von Beginn an benachteiligt, die einen solchen Abschluss nicht vorwiesen können.

Schule sollte ja eigentlich auf das noch bevor stehende Leben vorbereiten. Sie sollte ein gewisses Rüstzeug mitgeben, um in dem langen Lebensabschnitt, der da Berufsausbildung und Berufsausübung heißt, sich zurecht zu finden. Doch die Realität sieht nicht selten ernüchternder aus.

Und an dem selbst miterlebten Beispiel der Grundschule Unterschleißheim können wir durchaus - mit Blick auf die " PISA " - Lobhudelei ab den Jahren 2004 ff - dem bayrischen Schulsystem attestieren: " Alles nur heiße Luft ". Hier wird vielmehr eine gewollte Entmündigung der Schüler und eine geplante Rechtlosigkeit der Eltern voran getrieben, um die dahinter stehenden ökonomischen Verhältnisse aufrecht zu erhalten. Das nennt sich zwar auch " Gewaltenteilung ", allerdings in einer falsch verstandenen Umsetzung. Hier wird nämlich auf Schüler ein Zwang ausgeübt; was nichts anderes als strukturelle Gewalt, wie sie Johan Galtung definiert,  ist oder dahin tendiert.




MOODY BLUES  -  Watching And Waiting  -  To Our Childrens Childrens Children  -  1968:




    

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