" Summ - Summ, net äwischt!"


Mit zunehmenden Alter fällt es einem, vom realen Existenzkampf nicht mehr absolut Geforderten leicht, sich an etwas Gewesenes zu erinnern. Was im Alltag schon allein aufgrund der ständig wieder kehrenden Problem im eigenen Daseins - Management in Vergessenheit gerät, quasi unter de Tisch fällt, weil hier andere, oft wichtigere Ereignisse jene Reminiszenzen vollkommen überlagern, tritt dann und wann als Episode wieder aus dem unendlichen Fundus des Erlebten hervor.

 Da saßen wir zum täglichen Brunch am Esstisch und erklärten uns wechselseitig die nicht immer einfache Kindheit, die sich nahezu deckungsgleich durch eigentlich zu junge, überforderte und deshalb autoritäre Eltern auftretende Eltern geprägt war. Während ich allerdings zumindest ein winziges Rückzugsgebiet bei den Großeltern fand, konnte meine bessere Hälfte nur auf zwei Großmütter zurückgreifen, wovon die in Dresden lebende sich als wahrer Drache zeigte, der zudem nur männliche Enkel als wertvolles Mitglied der sozialistischen Gesellschaft der DDR betrachtete. Deshalb hatte meine bessere Hälfte bei ihn einen sehr schweren Stand, denn es gab ja keinen Bruder, auf den sie sich im Bedarfsfall hätte berufen können, um auch jene Zuwendungen zu erhalten, die derer drei Söhne erhielten.

Die Großmutter mütterlicherseits hatte indes " nur " zwei Töchter groß zu ziehen. Auch dieses war nicht sehr einfach. Unter den Kriegsbedingungen ohnehin nicht. Just aus jenen Jahren der Entbehrung erzählte meine bessere Hälfte mir zwei Geschichten über die noch in Dresden lebende Tante. Sie ereigneten sich im benachbarten Thüringen, genauer gesagt, an der Grenze zum heutigen Freistaat Bayern, in einem kleinen Städtchen an der Saale.

Die hier lebende Großmutter Anna musste eben ihre zwei Töchter irgendwie durch die Kriegsjahre bringen, denn der Mann war irgendwo an der so genannten Front. Er war Fleischermeister und wollte nach dem Ende des Spuks in dem Saale - Städtchen einen Betrieb weiter führen.Daraus wurde nichts, denn er fiel bei einem Fliegerangriff in den letzten Kriegstagen in den italienischen Abruzzen.   

Als " Kriegerwitwe " wurde es für die Großmutter Anna danach nicht leichter. Die beiden noch schulpflichtigen Töchter sollten es nicht schlechter haben als ihre Mitstreiter in den Klassen. So legte sich Oma Anna für beiden Mädchen ordentlich krumm und malochte Tag und Nacht, damit es die beiden Töchter " besser haben " sollten. Deshalb mühte sich Mutter Anna zeitlebens ab.

Sie wollte es den Nachbarn und anderen Menschen zeigen, dass eine " Kriegerwitwe " auch ohne den Mann die beiden Töchter groß ziehen kann. Dass aus denen auch ohne Vater etwas werden könne. Es war damals schwer genug, dieses umzusetzen. Zumal die beiden Töchter es ihr dabei nicht gerade einfach gemacht haben. Die ältere der Beiden schmiss eine Schneiderlehre und zog sehr jung von der Kleinstadt nach Dresden. Die andere Tochter folgte dieser später nach. Sie beendigte eine Ausbildung in einem Kombinat in Freital. So blieb Mutter und Großmutter Anna in der kleineren Stadt an der Saale zurück.

In dieser Zeit besuchte meine bessere Hälfte, die Enkeltochter also, ihre Großmutter regelmäßig während der Schulferien. Dabei bekam sie auch so einige Geschichten zu und über die Kindheit der eigenen Mutter und ihrer Tante aufgetischt. Tante I. war als Kind nicht unbedingt einfach. Sie hatte allerlei Flausen im Kopf und hielt sich nicht immer an das ihr Gesagte. So betrat sie regelmäßig das Geschäft einer dort ansässigen Fleischerei, um hier ein Stück Wurst zu ergattern. Die Mutter Anna hatte es ihr allerdings ausdrücklich untersagt, in der Fleischerei Jacobi betteln zu gehen. Doch Tochter I. hielt sich nicht an die Vorgaben. Schnurstracks überquerte sie die Straße, drückte die schwere Eingangstür zum Geschäft nur mühsam auf und stand dann mitten im gefliesten Raum. Da die Dreijährige den Nachnamen der Geschäftsinhaberin nicht richtig aussprechen konnte, wurde aus " Jacobi " eben " Babobi ". Kaum hatte Frau Jacobi das Mädchen entdeckt, sagte diese dann: " Frau Babobi, die guate Wurtscht! "

Frau Babobi schnitt ein Stück Fleischwurst ab oder legte ihr eine bereits geschnittene Scheibe Wurst auf die Hand. Zufrieden verließ das Mädchen das Fleischereigeschäft der Frau " Babobi ".

Eines Tages krachte es fürchterlich im Haus der Mutter Anna. Der Lärm kam vom Dachboden. Anna´s Tochter I. hatte sich nach oben geschlichen und versuchte sich auf dem Dachboden als Fliegenfängerin. Sie nahm dabei eine Fliegenklatsche zur Hand und jagte die dort am Fenster herum surrenden Insekten. Beim Versuch, jenen lästigen Mitbewohnern mittels Fliegenklatsche den Garaus zu machen, schlug Tochter I. derart heftig zu, dass dabei das dünne Fensterglas zu Bruch ging. Es schepperte und knallte so heftig, dass ihre Mutter Anna aus der Küche aufschreckte und sofort nach dem Rechten zu schauen. Da kam ihr auch schon die Jüngste mit der Fliegenklatsche in der Hand entgegen. Unschuldigen Blickes sagte diese so gleich: " Summ - Summ, net äwischt! ".

Mutter Anna wusste sofort, was es mit dem Lärm auf sich hatte. Das Problem war jedoch nicht die zerborstene Fensterscheibe, sondern eher, dass es schwierig war, dafür Ersatz zu bekommen. So musste sich Mutter Anna mit einem Provisorium aus Sperrholz begnügen. Und dieses über eine lange Zeit.

Als ich von diesem Missgeschick der Tante I. aus Dresden hörte, erinnerte ich mich an die eigen Kindheit. Als ich an einem meiner Geburtstage mit dem neuen Lederball das Wohnzimmerfenster zerdepperte. Oder als wir mit Blechdeckeln, die wir im Keller fanden auf das gegenüber liegende Feld liefen und von dort aus " UFO " spielten, wobei einige der Metallabdeckungen für jene Konservendosen, in denen die selbst geschlachtete Wurst eingefüllt worden war, eine falsche Richtung nahmen und in die Fensterscheiben des oberen Zimmers einschlugen. Unser Großvater meckerte uns fürchterlich aus und reparierte die Scheiben sofort, damit wir keinen Ärger mit den Eltern bekämen.

Auch ein geschenkter Bumerang schlug einst in eine der Fensterscheiben des Schuppens ein und zerschlug diese vollständig. Wir logen den Eltern dann vor, es seien die Nachbarskinder gewesen.

Die Kindheit damals war eher öde, so dass wir nicht selten aus langer Weile eben, solche Dummheiten machten. Ähnlich jener der Tante I: " Summ - Summ net äwischt! ".


    


BRIAN FERRY  -  As Times Goes By  -  1999:




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