Cornelia J., Geert Gerdes, Franz Zappel und die Mütter



Der Dienstag, der 18. Oktober des Jahres 2022 graut heran. In einigen Nachbarhäusern brennt schon längst wieder das Deckenlicht. Gegenüber wird das Garagenrolltor hoch gezogen. Klappernd und knackend öffnet es sich  und gibt mir einen kurzen Einblick in das Innenleben. Ich zähle dort erneut 6 (sechs ) nicht gerade billige Fahrräder stehen. Die beiden jüngeren Bewohner des Hauses visavis sind eben sehr sportlich. Sie fahren beide Sporträder und machen regelmäßig Aktivurlaub. Er ist - so konnte ich von ihm erfahren  -  Jahrgang 1984; sie - wie nicht unüblich - eine Jährchen jünger.

Die Familienplanung sieht dennoch keinen Nachwuchs vor - wenn es denn überhaupt eine solche gibt. Wer - wie dieses Paar - einen relativ hohen Lebensstandard besitzt, ein derartiges Hobby intensiv betreibt, plant keinen Nachwuchs. Ein Kind - mehrere schon gar nicht - sind hier fehl am Platz. Der eigene, bisherige, regelmäßige Tagesablauf darf nicht gestört werden. Und ein Kind - mehrere alle Male - entwickelt sich zu einem erheblichen Störfaktor.

Während sich das elektrisch betriebene Garagentor wieder schließt, erkenne ich die Lebensgefährtin des Nachbarn. Sie schiebt eben eines jener teuren Sporträder neben sich her. Sie trägt dementsprechende, gleichfalls teure Sportkleidung ( Schuhe, Hose, Jacke und Schutzhelm ). Sofort nach dem Aufsteigen der Rennmaschine jagt sie in einem ordentlichen Tempo aus meinem Sichtfeld. Fort ist sie und kommt wohl erst gegen 17.00 Uhr zurück. Was sie beruflich treibt, weiß ich nicht. Ich kann da nur mutmaßen; vielleicht irgendein Job im Außendienst? Dann und wann trug sie etwas bessere Kleidung und kam mit einer chicken Reisetasche von ihrem vormals noch genutzten VW Golf. Den hat sie dann verkauft, weil sie bei dem Nachbarn oben einzog.

So ist das manchmal, wenn das eigene Leben schnelle Entscheidung von einem abverlangt. Dann darf nicht immer wieder zwischen Vor - und Nachteilen abgewogen werden, sonst hat der Betroffene kaum noch eine Chance, seine Vorstellungen durchzusetzen.

Ich hatte an der vergangenen Nacht eher schlecht geschlafen, weshalb mein Interesse an den Frühnachrichten nur mäßig war. Irgendwann schaltete ich das Radio wieder aus. Seit Tagen beinahe identische Nachrichten. Vom Ukraine - Krieg, von Maßnahmen gegen die vielleicht kommende Energie - Krise und von schlauen Kommentatoren abgesetzte Meinung dazu - " Tante Corona " ist jetzt auch wieder ein Thema.

Bein virtuellen Scrabble - Spiel sinnierte ich darüber, warum es vor 50 Jahren, also zu meiner Jugendzeit, eigentlich so viel besser war. Keine Krisen, dafür aber Kriege, keine Gas - Verknappung, deshalb war das Erdöl plötzlich enorm teuer und angeblich knapp, kein extrem teures Benzin ( durchschnittlich kostet der Kraftstoff mehr als 2, 20 Euro pro Liter ), dafür zu wenige Tankstellen, die dann auch noch ab 18.00 Uhr schlossen.

Da saß ich nun und wartete auf den heran nahenden Tag und erinnerte mich an jene Zeit, die ich ab September 1976 bis Mai 1978 an der Fachhochschule in Wilhelmshaven verbrachte, wo ich mich mit dem BWL - Studium versuchte. Es begann eine Zeit der Selbstfindung und der versuchten Abnabelung von Zuhause. Auch wenn die Studienbedingungen eher suboptimal waren, erbrachten sie doch eine Vielzahl von Erkenntnissen, was den menschlichen Umgang und das Miteinander betrifft. Ich lernte eine Reihe von Kommilitonen kennen, die sich nicht von dem vollkommenen verschulten BWL - Studium beeindrucken ließen. Sie verließen - genau wie ich - schon bald die Fachhochschule in Wilhelmshaven und führten ihr Studium an anderen Orten fort.

Während ich meine Abende zum Teil in Kneipen oder Diskotheken verbrachte, hatten viele Streber ( wir nannten sie " Kofferträger " ) damit natürlich nichts am Hut. Sie blieben entweder unter sich oder waren in den typischen Szene - Kneipen erst gar nicht zu sehen. Diese Streber hatten zwar im Studium entsprechenden Erfolg, doch eher kein Studentenleben. Das versuchte ich mir irgendwie trotz des verschulten Studiums zu erhalten.

Dementsprechend lernte ich auch eine Reihe interessante Gleichaltrige kennen. Dazu gehörten auch ein damals in Zetel, einer bei Wilhelmshaven liegenden Kleinstadt, wohnendes Paar. Sie holte vormals über den Zweiten Bildungsweg das Abitur in Wilhelmshaven nach und beabsichtigte danach zu studieren. Er war einige Jährchen älter als sie und studierte an der Universität Oldenburg Sozialwissenschaften. Ganz nebenbei jobbte er irgendwo als Aushilfe in einem kleineren Betrieb in Zetel. Und dann machte er zudem kleinere Geschäfte im Cannabis - Handel. 

Damit war seine damalige Freundin Cornelia J. überhaupt nicht einverstanden. Sie beklagte sich über den unsteten Lebenswandel ihres Geert G. und erzählte mir einige Geschichten, durch die mir klar wurde, dass Geert G. sich auf einem gefährlichen Terrain begeben hatte. 

Gleichwohl verbrachten wir den Silvesterabend 1976 / 1977 in Oldenburg mit dem - ungleichen - Paar aus Zetel. Geert kannte hier beinahe sämtliche Studentenkneipen. Wir suchten einige von ihnen auf. Sie waren, so wie nahezu die gesamte oldenburgische Innenstadt leer, öde und machten eben jenen ausgestorbenen Eindruck, den ich nach Geschäftsschluss, auch aus Wilhelmshaven, später dann aus Bremen kannte. So saßen wir dort herum, unterhielten uns und tranken ein Gläschen. Die gespielte Musik war okay, aber es war keine Stimmung vorhanden, denn es fehlten die Gäste.

Geert verschwand in schöner Regelmäßigkeit aus dem Lokalen, wo er beinahe sämtliche Anwesende zu kennen schien. Kein Wunder, wie ich später erfuhr, dealte er an der nächsten Hausecke mit " Shit " und hatte später ein erkleckliches Sümmchen in seiner Tasche. Wir wurden von ihm die gesamte Zeit über ausgehalten. Seine Freundin Cornelia, meine Bekannte und ich rosteten dann um Mitternacht uns zum Neuen Jahr zu. Dabei flogen einige, wenige Raketen in den Oldenburger Nachthimmel. Auch Böller waren zu höre. Ansonsten wirkte die Stadt wie ausgestorben. 

Es war kalt, wir froren und gingen zurück in die Kneipe. Hier saßen immer noch einige, sehr wenige Gäste. Der Langhaarige hinter dem Tresen legte " Roxy Music " auf. Sehr schön!


   

Zum Neujahrwechsel! Das riss den eher flauen Abend heraus! 

Wir zogen noch einige Studentenkneipen weiter. Überall das gleiche Bild - sie waren nahezu leer. Dass dieses sich zum Beginn der Vorlesungen im Januar 1977 und der Klausurzeit ändern sollte, hätte ich mir schon damals nicht so richtig vorstellen können. Ich war nicht unbedingt der typische Kneipengänger und wenn, dann besuchte ich immer die gleichen Lokale. Was aber eher daran alg, dass es in der niedersächsischen Provinz davon nur wenige gab.     

Gegen 3.00 Uhr morgens fuhr ich in meinem mintgrünen R 4 zurück nach Wilhelmshaven. Obwohl es erst gegen 8.00 Uhr hell werden sollte, konnte ich während der zirka einstündigen Fahrt auf der vollkommen leeren Autobahn die vielen Felder, Wiesen sowie dann und wann einige Häuser mit vorgelagerten Gärten deutlich erkennen. Es war Vollmond und der ließ die Neujahrsnacht beinahe taghell werden. 

Mitte 1977 legte meine damalige Bekannte ihr Abitur ab. Sie wollte auf jeden Fall studieren. Nur, was? Auf keinen Fall BWL an der Fachhochschule in Wilhelmshaven, was sich eigentlich angeboten hätte. Und Cornelia J.? 

An ihrer Klassenabschlussfeier traf ich Cornelia J. wieder. Sie hatte getrunken. Eigentlich wollte ich meine Bekannte abholen. Doch die war nirgendwo zu sehen. Ich setzte mich neben Cornelia J. und sie erzählte mir von ihrem Leid. Ihr Freund Geert G. ( der Name ist erfunden, weil ich seinen richtigen nicht mehr auf der Pfanne habe ) hatte inzwischen seinen Drogenhandel ausgeweitet. Er war kaum zu Hause, fuhr mit seinem schon betagten Peugeot durch die Gegend, um seinen Geschäften nachzugehen. Sie sahen sich kaum noch. Cornelia begann zu heulen. Ich nahm sie in den Arm und tröstete sie ein wenig.   

Nach dem abgelegten Abitur wollte sie wohl auch in Oldenburg Pädagogik studieren. Ob sie tatsächlich zum Wintersemester 1977 / 1978 als Studentin eingeschrieben war, weiß ich nicht. Nachdem meine Bekannte und ich sie in ihrer Wohnung in Zetel besuchten hatten, weil sie uns dort  ihre Studienunterlagen zeigen wollte, schlief der Kontakt später ein.

 Wir gingen alle getrennte Wege. 

Ich hatte ein Jahr danach den Studienort gewechselt und war an der Hochschule für Wirtschaft in Bremen eingeschrieben. Nach einigen Unterkunftswechseln, erhielt ich einen Wohnheimplatz. Endlich fließend Warmwasser und Zentralheizung und keine angefrorenen Bettlaken, kalte Füße oder verschimmelte Tapeten, aber vor allem, keine nervigen Vermieter im Haus, die dämliche Vorschriften erließen und Kontrolle ausüben wollten.

Da saß ich nun an meinem standardisierten, Resopal beschichteten Ess - Schreibtisch und bereitete mich auf die kommenden, nachzuholenden Klausuren vor oder arbeitete an den Referaten, um meine Leistungsnachweise zu erhalten. " Scheine kloppen ", nannten wir es damals.

Nebenbei aber las ich meine Leib - und Magenlektüre, den " SPIEGEL ". Weil ich " SPIEGEL " - Leser war, wusste ich auch, was sich politisch in Westdeutschland, in Europa und der Welt ablief. So natürlich auch in England. Hier herrschten inzwischen die Tories, die Konservativen, die von der so genannten Eisernen Lady, Margaret Thatcher geführt, die Insel mit einem sozialen Kahlschlage auf die angebliche Zukunft trimmen wollten. Und just darum ging es in einer der Fragen in der Englisch - Klausur. Die ich mit einer " Drei " bestand.

Jetzt aber bereitete ich mich auf die Abschlussarbeiten vor. 

Ich saß in meiner 18, 4 m² großen Bude und lenkte mich von den erforderlichen Lernen ab, indem ich " SPIEGEL " las. Dabei sah ich beim Umblättern auf eine ganzseitige Werbeanzeige. Sie war von dem Tabakhersteller  Niemeijer , der die Marke " Samson " vertrieb, geschaltet worden und zeigte - noch ganz im ehemaligen Zeitgeist gestaltet - einige Personen an einem typischen Bistrotisch sitzend, einige Päckchen " Samson " - Tabak lagen wohl dort, Streichhölzer, Zigarettenpapier, Biergläser, auch und im Hintergrund war ein Plakat zu erkennen, das auf eine Musikveranstaltung von " Franz Zappel " hinwies. Ich überlegte damals wohl nur ganz kurz, um zu erkennen, dass mit " Franz Zappel " kein geringerer Mann als Frank Zappa gemeint war. Und der war in den gesamten 70ern ganz groß im Geschäft.

Tja, die Firma Samson zählte in dieser Zeit zu den bekannten und beliebten Marken  Tabakwarenhersteller. Deshalb wurde für den Tabak, der dann für zirka 2,50 DM je 50 g im Plastebeutel zu kaufen war, ordentlich die Werbetrommel gerührt. Die Reklame wurde - der Mode und dem Jugend orientierten Konsumverhalten entsprechend - peppig bis witzig ausgestaltet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Theodorus_Niemeijer

https://picclick.de/SAMSON%C2%A0Original-Werbung-1988-vintage-Ad-Publicité-Reklame-173656651911.html 

Beinahe 4 1/2 Dekaden später ist Tabakwerbung längst verboten. Und dieses vollkommen zu Recht, denn der dauerhafte Tabakkonsum führt nicht selten zu irreversiblen Gesundheitsschäden, deren medizinische Behandlungen der Solidargemeinschaft der Krankenversicherungen Milliarden Euro kosten und der Gesellschaft zudem gigantische materielle Schäden verursacht. Rauchen kann tödlich sein? Ja, aber....

Einst sahen wir, sah ich dieses etwas anders. Ich qualmte Selbstgedrehte, so wie es die " Samson " - Reklame zeigte, um die Raucher zu manipulieren damit die Tabakindustrie Millionen verdienen durfte, aber auch " Papa " Staat enorme Steuereinnahmen erhalten konnte, weil ihnen die Kohle aus der Tasche gezogen werden konnte.

" Franz Zappel " auf der " Samson " - Werbeseite im " SPIEGEL " der späten 1970er Jahre indes weckte in mir Erinnerungen an Geert Gerdes, denn der war nicht nur Raucher, sondern ein glühender Zappa - Verehrer. Ausgerechnet Frank Zappa, zudem ich eigentlich keinerlei musikalischen Bezug entwickeln konnte. Seine Art von Rockmusik mochte ich nicht. Sie war war mir zu chaotisch, zu wild durcheinander eben, zu unmelodiös dazu. Ich hatte in meinem vormaligen LP - Bestand keine Platte von ihm.

Nachdem mir aber der Zappa - Fan aus Zetel einen Aufkleber des guten Frank Zappa geschenkt hatte, den ich - um anzugeben - auf die Heckklappe meines französischen Gartenstuhls mit dem amtlichen Kennzeichen STH - LA 58 pappte, erwarb ich später eine Zappa - LP bei " ear " in Bremen. Den Namen der LP kann ich bis heute nicht aus dem Stegreif sagen. Die Titel waren immer noch nicht mein Ding. Auch wenn einige Titel mir irgendwann dann doch gefielen. Wohl aber eher deshalb, weil sie sogar bei den Radiosendern in diversen Programmen vorkamen. Immerhin hat der verstorbenen Frank Z. sage und schreibe 62 Studioalben sowie 12 offizielle Live - Alben herausgeben lassen. Hinzu kommen eine Vielzahl von Zusammenstellungen ( Compiler ) sowie inoffizielle Mitschnitte ( Bootlegs ).

Weil der gebürtige US - Amerikaner nicht nur sehr produktiv, sondern als Musiker äußerst kreativ war, wechselte er ständig sein Bandpersonal aus. Nach seinem Tod 1993 beklagten sich einstige Bandmitglieder der " Mothers Of Invention "  über seine autoritäre Art und sein launisches Auftreten. Nicht nur deswegen verließen die Musiker Lowell George und Roy Estrada in den frühem 80ern Zappa´s Band und gründete " Little Feet ".

Weil Zappa nicht und wohl eingeschränkt immer noch nicht mein Ding ist, musste ich einst über die " Samson " - Reklame im " SPIEGEL " lachen. " Franz Zappel " sollte hier eben kein Geringerer als Frank Zappa sein. Wobei das im Hintergrund gezeigte Plakat in der eher herunter gekommenen Szene - Kneipe dem Original im Aussehen ein wenig ähnelte. Und während ich über den Zappa - Verschnitt lachte, erinnerte ich mich als eben Geert ( vielleicht hieß er Klaas oder so? ) Geerdes ( eventuell hatte er Janssens, Popkens oder Behrends als Nachnamen? ) und seinen manisch zelebrierte Zappa - Kult. Nicht nur, dass er sämtliche Zappa - Platten besaß, nein, sein eigenes Zimmer war voll gestopft mit Zappa- Utensilien. Überall klebten Plakate des großen Meisters an den Wänden. Ein Zappa - Edel - Fan eben.

Was er später machte, kann ich nicht sagen. Der Kontakt zu ihm und seiner Freundin bracht leider ab. 

Zappa und seine " Mütter der Erfindung " stehen aber immer noch in meinem LP - Archiv. Gespielt habe ich sie seit vielen Jahren nicht mehr.


FRANK ZAPPA & THE MOTHERS OF INVENTION  -  Son Of Orange County ....  -  Roxy & Elswhere  -  1974:



        

  

 

   

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