Das singende Weserstadion zu Bremen


 

Gestern ab 9.00 Uhr saß ich beim Arzt. Das könnte für einen Rentner als ein nicht gerade außergewöhnliches Ereignis gelten, denn nicht wenige in meiner Altersgruppe pflegen hier beinahe ein zweites Zuhause einzurichten. Doch es war kein Humanmediziner, bei dem ich mein tägliches, durchaus üppiges Zeitkontingent abzubauen hatte, sondern beim Zahnarzt. Geplant war eine Operation am Kiefer. Genauer gesagt, ich sollte 6 ( sechs! ) Implantate eingesetzt bekommen, denn der provisorische Zahnersatz, den ich mir anfertigen lassen durfte, ist eben nichts anderes als ein Ersatz des Ersatzes, also ein Provisorium.

Nun, mein Vorgefühl war nicht gerade euphorisch zu benennen, weil eine Operation - auch beim Zahnarzt - tatsächlich auch eine solche ist.

So saß ich, nachdem mir eine Reihe von Schmerz verhindernden Spritzen in den Gaumen appliziert bekam, noch der Dinge harrend, die dort weiter passieren sollten, auf einem der Behandlungsstühle. Die um mich herum eingeschaltete Technik summte und surrte dazu. Es war eine Art von musikalischer Untermalung, die mir half, meine latent vorhandenen Grundängste vor den Vertretern der ärztlichen Standeskünste, doch ein wenig abzubauen. 

Seit Dekaden schaue ich mir Arztpraxen, Krankenhäuser und - als eine Variante eines Wurmfortsatzes - die vielen Apotheken, Sanitätshäuser etc. am liebsten von außen an. Weil ich mich jetzt aber eher freiwillig dem ersten Eingriff in dem Kieferbereich hingeben wollte, traten meine Grundängste eher dosiert auf. und die wurden mir alsdann ein wenig genommen, als es plötzlich einen hörbaren Knall gab und - wie von Zauberhand - alle Lichter ausgingen.

Die Zahnärztin, die sich zur Beobachtung im Behandlungsraum befand, erschrak ein wenig. Sie wuselte nach draußen, um sich nach der Ursache des Stromausfalls zu erkundigen. Sie kam mit der Antwort zurück, dass die Versorgungswerke bei Bauarbeiten ein Kabel beschädigt hätten. Dann kam der wichtige Strom wieder. Wir waren erleichtert, denn die OP konnte nur mit Licht vorgenommen werden.

Doch schon kurz darauf klackte es wieder überall und der berühmte " Saft " war erneut weg.

Da wurden Erinnerung an jenen 28. April des Jahres 1999, an dem meine Eltern und ich im Bremer Weserstadion das Fußballländerspiel gegen Schottland sehen wollten. Zur zweiten Halbzeit waren alle Anwesenden bereit.  Doch daraus wurde zunächst nicht. Der Grund war ein kompletter Stromausfall, verursacht durch eine durch eine Blocksicherung ließ das Stadion dunkel bleiben. Der Hausmeister rotierte und bekam die Sache wieder in den Griff. Anders als die von " Sir " Erich Ribbeck trainierte DFB - Auswahl, in der - wie sollte es unter diesem Bundestrainer auch anders sein - kein einziger Werder - Spieler stand.

Nun, die zirka 27.000 Zuschauer, die immerhin noch das elendige Gegurke der DFB - Auswahl um Lothar Matthäus, Jens Jeremis, Carsten Ramelow, Michael Ballack und Kollegen sich antuen wollten, nahmen es mit hanseatischer Gelassenheit und Humor hin. Wir sangen einige Liedchen dazu:

https://taz.de/Das-Stadion-tobte-zum-Griechischen-Wein/!1290943/

Nach mehr als 20 Minuten war der Spuk vorbei.

Zum Singen hatten wir indes danach keinen Anlass mehr, denn die Ribbeck - Mannen zeigten weiterhin grottigen Fußball und verloren am Ende - sogar hoch verdient - mit 0:1. Dass der edle Mann aus dem fernen Wuppertal nichts mit meinem SV Werder am Hut hatte, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Er war ja, bevor er das schwere Amt gegen mindestens 20 Millionen selbst ernannte Nationaltrainer, die unqualifizierten medialen Breitseiten des Boulevard ( vor allem die des Latrinenblatts mit den vier Buchstaben ) und auch des " Fachorgans " aus Nürnberg einstecken musste, unter anderen Vereinstrainer bei dem damaligen Erstligisten 1. FC Kaiserslautern, bei Borussia Dortmund und unmittelbar vor seiner Berufung zum DFB - Chefcoach bei Bayer 04 Leverkusen.

Gerade dort pöbelte er ordentlich in Richtung der Weser, denn der SV Werder war jahrelang ein unmittelbarer Konkurrent der " Pillendreher " vom Rhein.

Nun, Ribbecks Bilanz in der eher kurzen Amtszeit war unterirdisch, denn der Anspruch des DFB und der Fußballnation Deutschland wurde - nicht nur - von den einschlägigen Medien zum Gradmesser für die gesamtdeutschen Befindlichkeiten gegenüber dem Rest der Welt angesehen. Und da dieser sehr hoch angesetzt wurde, musste Ribbeck eigentlich liefern. Das gelang ihm aber nicht. So zeigte sich denn in dem Freundschaftsländerspiel gegen Schottland woran es evident haperte: Es waren 11 Einzelkönner auf dem Rasen, aber keine geschlossene Mannschaft. Einer seiner erfolgreicheren Vorgänger, nämlich Franz Beckenbauer nannte die Ribbeck - Mannen denn auch " Rumpelfußballer ". Ribbeck hatte keinen Plan, wie er nach den durchwachsenden Jahren seit dem WM - Gewinn in Rom, das entstandene Vakuum durch den Verlust einer Vielzahl von Weltklassespielern kompensieren und ein neues Team zusammenstellen könnte.  

Weshalb nicht nur dieses Länderspiel in die Büxe ging. Ribbeck wurde einige Monate später von seiner Bürde des DFB - Trainers erlöst. 

Was blieb, waren eben jene Erinnerung an den Stromausfall im Bremer Weserstadion. Wo wir nach der Länderspielpleite uns im Autoradio über den WDR noch einen dämlichen Spielbericht des damaligen Kommentators Eddie Körper anhören mussten, der sich mehr mit den Nebenerscheinung zum Spiel, insbesondere den Stromausfall befasste und sogar den sicherlich ländlichen Bereich um die Hansestadt Bremen als Provinz titulierte, aus der dann Tausende gekommen sei, um mal die deutsche Fußballnationalmannschaft sehen zu dürfen. Das arrogante und auf Einhaltung eines gestrengen NRW - Lokalkolorits bedachte A.... hatte mit dem SV Werder genauso wenig am Hut, wie der Bundesstrainer. Zudem hatte der WDR - Hansel Körper keine Ahnung, denn es waren und den Zuschauern aus einige Tausend aus der Hansestadt Hamburg und das dürfte mit Sicherheit keine " Provinz " sein. Körper war eben ein einseitig eingefärbter WDR - Knecht. 

Zu einem weiteren Stromausfall kam es dann 16 Jahre später, als die Bundesligasaison 2004 / 2005 mit dem Freitagabendspiel zwischen dem damals amtierenden Deutschen Meister, dem SV Werder Bremen und dem FC Schalke 04 kam. 

Am 6. August 2004 sollte ab 20.30 Uhr die Begegnung zwischen Werder und Schalke angepfiffen werden. Doch einige davor gingen im ausverkauften Weserstadion die Lichter aus. Eine Muffe der hierhin führenden Stromversorgungsleitung schmorte durch. Die Begegnung konnte deshalb erst mit einer 65minütigen Verspätung angepfiffen werden. Die Zuschauer sangen erneut. Dieses Mal unter anderen " Oh, wie ist das schön ".

https://www.deichstube.de/wistorie/wita/werder-bremen-wistorie-6-august-2004-bizarrer-auftaktsieg-nach-stromausfall-weserstadion-wita-10093282.html

Die Begegnung wurde von dem Bezahlsender " premiere " übertragen. Und hier war Marcel Reiff der große Zampano. Ein ebenso einseitig kommentierender Quälgeist, an dessen fachliches können nicht nur Werder - Fans schon damals zweifelten. Er blieb indes, genauso wie sein Kollege von der ARD, Gerd Delling ( ein bekennender HSV - Anhänger ) eher kühl. Beide kommentierten am Telefon weiter.

https://www.dfb.de/news/detail/bundesliga-stromausfall-im-weserstadion-zum-auftakt-2871/       

Und während ich auf dem Behandlungsstuhl in der Zahnarztpraxis auf die geplante OP wartete, schilderte ich der dort anwesenden Ärztin jene Geschichten von dem " Singenden Weserstadion ". 

Nach Singen war mir einige Stunden später allerdings nicht zumute.

TITANIC  -  Sing Fool, Sing  -  Seawolf  -  1971:





 

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