Der Fischwilderer aus der Wormser Straße 4 in Bremen - Osterholz - Tenever.


Heute wird in dem kleinsten Bundesland dieses, unseres Landes, wieder gewählt. Die Bürgerschaft der Freie und Hansestadt Bremen soll neu zusammen gesetzt werden. Dabei bliebt vielleicht doch Alles beim Alten. Die Sozialdemokraten werden - wohl mit den GRÜNEN - erneut die Mehrheit der Bürgerschaftsabgeordneten stellen und - wie überwiegend seit 1946 / 1947 - die Mehrheitsfraktion in der Bremische Bürgerschaft bilden und damit den Bürgermeister stellen.
Der heißt zurzeit Jens Böhrnsen, ist 65 Jahre alt und war zuvor Justizsenator, davor Vorsitzender Richter der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bremen.

Sein Vorgänger war der Jurist Henning Scherf, der wiederum die Nachfolge von Klaus Wedemeier antrat, dem davor Hans Koschnick im Amt vorstand.
Allesamt sind es SPD - Mitglieder, die Bremen regierten.

Aus der Koschnick - Ära stammt eine bremische Bausünde, die ihre negativen Einflüsse auf die Hansestadt Bremen bis heute erkennen lässt: Die Trabanten - Siedlung Osterholz - Tenver, im bremischen Jargon kurz " Tenever " oder auch " Klein Manhattan " genannt.

Bremen Osterholz - Tenever ist vor mehr als 40 Jahren durch die Großbausiedlung der damaligen gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft " Neue Heimat ", die bis zu ihrem Verkauf einziger Vermieter war, aus dem Boden gestampft worden. Das einstige Konzept dieser Plattenbausiedlungen war, für Menschen mit kleinerem bis mittlerem Einkommen, entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Aus den Nachkriegsjahren war die Wohnungsknappheit immer noch nicht behoben worden, so dass auf diesem Gebiet durchaus Handlungsbedarf bestand.

Koschnick setzte, zusammen mit den zu jener Zeit starken Gewerkschaften, dieses Pläne zügig um.  Es entstand ein Beton - Ghetto mit 46000 Wohnungen und über 10.000 Einwohnern. Was zunächst als hoch modernes Bau - und Wohnungskonzept gelobpriesen wurde, veränderte sich bereits zum Ende der 1970 Jahre zu einem sozialen Brennpunkt der Hansestadt. Viele Erwerbslose, Sozialhilfeempfänger und später Menschen mit ausländischen Wurzeln zogen in die teilweise bis zu 21 Stockwerke umfassenden Betonklötze. Damit bildete sich aber auch ein Kriminalitätsschwerpunkt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Osterholz_%28Bremen%29

Als ich 1987 meine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in der Tasche hatte, rekrutierte sich unsre noch überschaubare Mandantschaft überwiegend aus dem eigenen Familienumfeld oder dem Umkreis zu unserer Kanzlei im Viertel. Das waren dann Studenten, Arbeitslose und andere Rechtssuchende mit eher geringen Einkommen.

Als in den ersten Jahren der Nachwendezeit dann zunehmend einstige DDR - Bürger in meinen Kanzleiräumen eintrafen, änderte sich das Klientel alsbald. Hier ging es zwar auch um Rechtsprobleme im Zusammenhang mit Mietstreitigkeiten, Forderungsangelegenheiten oder Familienrechtsfälle, aber ab und an kam auch mal eine Strafsache auf meinen Schreibtisch. Nichts spektakuläres, aber immerhin eine willkommene Abwechselung.

Eines Tages erschien denn eine kleine, schon leicht dickliche Frau mit ihrem Lebensgefährten in meinem Büro. Sie kam aus Bernau bei Berlin, dem einstigen Bezirk Frankfurt / Oder, dem heutigen Bundesland Brandenburg. Die junge Frau hatte drei Kinder von drei Vätern und zog nach der eltzten Scheidung nach Bremen. Dort wohnte sie in einem der Blocks in der Wormser Straße in Bremen - Tenever; inmitten des Beton - Ghettos.

Sie wollte nun von ihren Ex - Männern Unterhalt für ihre Kinder verlangen. Nun, dieses Verlangen kam nicht von ungefähr, denn das damals zuständige Sozialamt machte Druck. Sie sollte zumindest diesem nachweisen, dass sie sich bemüht, die Unterhaltsansprüche ihrer Kindern rechtlich durchzusetzen. So bearbeitete ich die drei separaten Unterhaltsfälle und kam schon bald zu dem Ergebnis, dass dort nichts zu holen war.
Immerhin konnte die Ex - Bernauerin der Behörde ihre Bemühungen belegen, damit diese ihr die Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz gewähren konnte.

Es dauerte weitere Monate, ehe ich die Unterhaltsklagen für die drei Kinder der Mandantin beenden konnte. Trotz der Unterhaltstitel, floss jedoch nie Geld in die Kasse der Freie und Hansestadt Bremen, weil die Erzeuger der Kindern im Beitrittsgebiet nix hatten.

Dennoch war die Mandantin mit meiner Arbeit wohl zufrieden und legte mir neue Rechtsfälle auf den Schreibtisch. Allesamt von wenig Erfolg beschieden. Es ging dabei um einen Ehekredit, den ihr die DDR vormals gewährte und den sie nun zurückzahlen sollte. Es ging um Schulden bei den üblichen Versandhäusern, wie Quelle, Neckermann, Otto. Es ging um nicht bezahlte Stromrechnung, um Kfz - Versicherungsprämien, die fällig waren und nicht bezahlt wurden, so dass eine Zwangsabmeldung des PKW bevor stand. Alles im Allem, eben jener alltägliche Wahnsinn des Kleinen Mannes, der geschiedenen Frau mit drei Kindern, der noch heute vorkommt.

Eines Tages, es war ein heißer Julitag, irgendwann in den ersten Jahren der 1990er Jahre, als mich der Freund jener Neu - Bremerin aufsuchte. Plötzlich saß er auf einem der Stühle im Büro - Vorraum. Es waren längst Gerichtsferien. Das Telefon klingelte nur sporadisch. Termine waren eher selten. So dass ich meinen Azubildenen Urlaub gegeben hatte. Da saß er mit einer leicht betrübten Mine auf dem Stuhl und wartete darauf, dass ich ihn in mein Büro herein bat. Ich hatte den jungen Mann zunächst nicht wahr genommen. Er machte sich auch nicht bemerkbar. Wohl deshalb nicht, weil er wohl ein wenig Respekt vor mir hatte. Seine Freundin aus Bernau war da anders. Sie hatte diese Typische Berliner - Kodderschnauze. Quasselte wie ein Wasserfall und zeigte sich - obwohl sie mit ihrem Leben nie klar kam - denn eher furchtlos.

Ich muss wohl auf meinem " Nintendo " mal wieder " Tetris " gespielt haben und war in dem Spiel so vertieft, dass ich den jungen Mann immer noch nicht bemerkte. Dann hörte ich das Faxgerät schnurren. Ich öffnete die Tür und sah den Freund der Ex - Bernauerin auf dem Besucherstuhl sitzen.
Ich setzte eine betont freundliches Gesicht auf und flachste: " Ach, Guten Morgen Herr P! Heute ohne Frau S? " Er druckste herum und antwortete dann: " Ja, ich habe da was vom Gericht bekommen. "
" Na, dann kommen Sie doch mal bitte rein!", sagte ich zu ihm.

Er plumpste in den Stuhl vor meinem Schreibtisch und übergab mir ein DIN A4 - Blatt, auf dem deutlich zu lesen war: " Anklage im beschleunigten Verfahren ". Es folgten weitere Daten, wie dessen Geburtstag, Wohnort etc. Herr P. legte mir dieses Schreiben zusammen mit einer Ladung des Amtsgerichts Bremen auf den Tisch. Daraus entnahm ich, dass bereits Anfang August ein Verhandlungstermin angesetzt war.
" Oh, das wird knapp, Herr P. ", sagte ich zu ihm und ergänzte noch: " Da muss ich mir mal erst die Akte holen. "

Ich zog eine Schublade auf und kramte eine der handelsüblichen Vollmachten hervor. " Können Sie mir die unterschreiben? ", fragte ich ihn ein wenig fordernd.
Er nahm den Kugelschreiber in seine linke Hand und krakelte seinen Vor - und Zunamen oberhalb einer Linie.
" Joh, danke. Dann hole ich mir erst mal Ihre Akte. ", erklärte ich Herrn P.
" Ach, ja, das ist zwar ein Jugendgerichtsverfahren, aber eine Pflichtverteidigung werde ich dafür nicht bekommen. Könnten Sie mir 200 Mark Vorschuss zahlen? ". " Äh, ja, aber ich hab´nur 100 dabei!", war seine Antwort. Er fummelte in seiner Gesäßtasche das Portemonnaie hervor und zog zwei 50 DM - Scheine heraus. " Brauchen Sie eine Quittung? ", wollte ich noch wissen.
" Ja, geben Sie mir bitte eine Quittung. ", antwortete der Mandant mir.

Nachdem er seinen Zahlungsbeleg erhalten hatte, gab er mir die Hand und verabschiedete sich. Sie war schweiß - feucht. Ich wusste, dass  Herrn P. das Fracksausen heim gesucht hatte.

Es vergingen einige Tage bis dann die Strafakte des Mandanten über das Jugendgericht Bremen zugesandt wurde. Ich kopierte die wichtigen Seiten und brachte die, in einem  roten Aktendeckel eingelegten Seiten am nächsten Morgen zu der Geschäftsstelle zurück. Kurz danach erhielt ich eine Ladung durch das Gericht. Ich informierte Herrn P. über den Erhalt der Akte und bat um einen Rücksprachetermin.

Herr P. erschien wenig später erneut in dem Büro und wir unterhielten uns über den Fall. Im wurde von der Staatsanwaltschaft Bremen zur Last gelegt, ohne ein Fischereiausübungsrecht ( Fischereischein, Angelschein, Gastschein ) in einem fremden Gewässer gefischt zu haben. Dieser Straftatbestand ist durch § 293 des Strafgesetzbuches normiert, in dem es heißt:


Wer unter Verletzung fremden Fischereirechts oder Fischereiausübungsrechts
1.
fischt oder
2.
eine Sache, die dem Fischereirecht unterliegt, sich oder einem Dritten zueignet, beschädigt oder zerstört,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.


Weil Herr P. zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat jedoch erst 19 Jahre alt war, hat die Staatsanwaltschaft beantragt, das Verfahren nach Jugendstrafrecht abzuhandeln ( § 105 Absatz 1 Jugendgerichtsgesetz ).

Fischwiderei? Ich befragte ihn nach seinem Motiv. Er habe lange Weile gehabt. Eine Angel habe er sich zuvor bei Aldi für ein paar Mark gekauft. Er sei dann zu einem der vielen, künstlich angelegten Seen rund um das Ghetto in Tenever gefahren und habe dort geangelt - bis die Polizei kam und ihm die Angel abgenommen habe. Ihm sei dabei gesagt worden, dass der Teich das Eigentum des Vermieters sei und dieser das Angeln dort verboten habe. Die Angel habe er nicht wider bekommen. Das sei wirklich ärgerlich.

Ich machte Herrn Jörg P. wenig Hoffnung, dass er seine Angel wieder sehen würde. Die Staatsanwaltschaft habe beantragt, die Angel endgültig einzuziehen. Später würde sie entweder vernichtet oder auf einer Jahresauktion meist bietend versteigert werden.

Da saßen wir nun an einem frühen Vormittag in einem der so genannten Sitzungssäle des Amtsgericht Bremen. Die Verhandlung war natürlich nicht öffentlich. Die Jugendrichter war ein eher gutmütiger, älterer Mann mit schwarzen Haaren. Er hatte seine Richterrobe halb geöffnet und fletzte sich eher gelangweilt in seinen Stuhl, der auf einem Podest hinter einem langen, Tresen artigem Aufbau platziert war.

Ich kannte den Jugendrichter vom Sehen. Er saß regelmäßig in der Kneipe im Untergeschoss des Amtsgerichtsgebäudes, aß dort zu Mittag, las " Bild " - Zeitung und blieb dann und wann bis zum Ende der Öffnungszeit. Eine Justizangestellte trafen sich dort auch. Sie waren mit dem Jugendrichter per Du. Ich hörte einmal, wie ein Justizangestellter ihn laut mit " Sperr´se´alle ein,....! " ansprach.

Ein harter Hund war der Jugendrichter indes nicht. Er las sich die Akte während er meinen Mandanten nach seiner Person befragte, nur kurz durch und schüttelte, dabei leicht zu uns herüber grinsend den Kopf. " Herr RA W...., den Beiordnungsantrag meine Sie hier doch wohl nicht ernst? ", sagte er flapsig zu mir. Ich schaute den Richter flehendlich an, so, als sollte er sofort merken, dass der Mandant ein absoluter Hungerleider ist und meine Gebühren eigentlich nicht bezahlen könne.
Doch der Jugendrichter blieb in dieser Sache hart. Schließlich ging es um Geld vom Staat und der ist gehalten davon - zumindest in solchen Dingen - so wenig, wie möglich auszugeben. " Na, gut, ich mache einen Vorschlag. ", brummelte der Jugendrichter zu uns herüber. Sie nehmen Ihren Beiordnungsantrag zurück, Ihr Mandant verzichtet auf die Herausgabe der Angel und ich stelle das Verfahren nach § 47 I ( JGG ) ein? ", gab er uns in einem fragenden Unterton mit auf den Weg, ehe wir den Sitzungssaal verließen.

Nach zwei Minuten hatte ich die Angelegenheit mit dem Mandanten geklärt. Er war einverstanden. Ich zog meine Robe über und wir warteten auf das Wiedereintreffen des Richters. Als dieser durch eine andere Tür eintrat, standen wir kurz auf. " Bleiben Sie doch sitzen. ", sagte der Jugendrichter freundlich, um in einem Atemzug zu fragen: " Haben Sie es sich überlegt? "
" Ja, Herr P. ist damit einverstanden. ", antwortete ich ihm. " Stimmt das so? ", wollte der Richter dennoch von ihm wissen. " Jaaaa!", hörte ich P. mit leicht zittriger Stimme sagen.
" Gut, dann wird das Verfahren nach § 47 Absatz 1 des Jugendgerichtsgesetzes eingestellt. "
" Auf Wiedersehen! ", sagte ich noch, ehe wir den Gerichtssaal verließen.

Und gerade diese letzten Worte sollten sich bewahrheiten.

Kaum erheilt ich die Einstellungsnachricht vom Amtsgericht, hatte dem Mandanten meine Rechnung zugesandt, erschien dieser wieder im Büro. P. hatte mir verschwiegen, dass er kurz vor dem Gerichtstermin ein zweites Mal beim illegalen Angeln - allerdings an einem anderen, künstlichen Teich in Tenever, erwischt wurde.
Wieder die gleiche Anklage, die gleiche Staatsanwältin, der gleiche Richter.

Ich wandte die gleiche Masche an. Einen Antrag auf Beiordnung zum Pflichtverteidiger und gleichzeitig beantragte ich Akteneinsicht. Wieder kopierte ich die Gerichtsakte, besprach die Sache mit Herrn P. und erschien mit diesem zum Hauptverhandlungstermin Ende August.

Dieses Mal wusste ich, dass der Jugendrichter wohl ungehalten werden würde, weil P. schon wieder vor ihm saß. Und, so spielte es sich auch ab. Der Jugendrichter grummelte etwas von " Ist der schon wieder da? " und schaute in einem etwas düsteren Blick den Mandanten an. Wieder schüttelte er den Kopf. Wieder fragte er, ob die Pflichtverteidigerbeiordnung ernst gemeint sei. Wieder stellte er das Verfahren ein.
Wir wollten gerade den Sitzungssaal verlassen, als der Jugendrichter während des Durchlesens einer anderen Strafakte noch kurz hoch schaute und dann, in einem leicht süffisanten Ton, fragte: " Sagen Sie mal, wieviele Angeln haben Sie denn noch? "
" Keine mehr. Beim Aldi gab es keine mehr. ", antwortete der Mandant P. dem Richter.
Der sah ihn leicht vorwurfsvoll an und formulierte dann - dieses Mal in einem drohenden Ton :
" Herr P., ich will Sie hier nie wieder sehen!"

Eilig zog es Jörg P aus der Wormser Straße 4 in Bremen - Osterholz - Tenever aus dem Sitzungssaal.

Meine Rechnungen hat er nie vollständig bezahlt, sondern einige 50 Mark - Raten abgestottert. P. und die Ex - bernauerin trennten sich ein jahr später. Sie hielt es mit ihm nicht mehr aus. Der Vater von P. war einst LPG - Melker, ehe er in Bautzen wegen versuchter Republikflucht und anderen Delikten einflog. Er wurde dann von der BRD frei gekauft.und hasste die DDR, wie die Pest. Die dreifache Mutter aus Bernau zeigte mir später, während ich ihre beiden heranwachsenden Söhne regelmäßig vor dem Amtsgericht in Syke wegen ähnlicher Dummheiten vertrat, irgendwann Bilder von P.´s Familie. Der Vater und ein weiterer, minderjähriger Sohn saßen auf einer völlig zerschlissenen Coach und hatten zum Deutschen Gruss den rechten Arm gehoben.

Jetzt konnte ich auch die Mandantin verstehen.

AC - DC haben ihre Krawall - Vorstellung in Dresden vor Zehntausenden mit einem riesigen Feuerwerk beendet. Ruhe ist´s wieder. Deshalb: Gut´s Nächtle mit
" YES " und " The Fish " in einer Live - Version:




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