Mercedes versus Marine oder: Ich tadele meinen Sohn auch nicht erst ein halbes Jahr später.



Es muss wohl in den ersten Nachwendejahren, als zwischen Ost - und Westdeutschland schon einiges klar, vieles diffus und noch mehr unklar war, als ich eine der diversen roten Strafakten der Bremer Justiz auf meinen bei Möbel Meyerhoff in Osterholz - Scharmbeck erworbenen, durchaus opulenten, Schreibtisch gelegt hatte.
Dort lag die rot eingedeckelte Akte, neben den von kroatischen, mazedenonischen und bosnischen Asylbewerberfällen und einigen Zivilrechtsstreitigkeiten, bei denen es um so existenzielle Grundsatzfragen ging, wie die, ob ein türkisch - stämmiger Mieter eine Satellitenschüssel an die Hauswand zu seiner bei einem Landmann gemieteten Wohnung platzieren darf, um dort den türkisch - sprachigen " TRT " sehen zu können.

Bei der Strafakte, die unter anderem auch einen Heranwachsenden, deutsch - türkischen Auszubildenden der Mercedes Benz AG in Bremen betraf, lautete der Vorwurf: schwere Körperverletzung gemäß § 223a Strafgesetzbuch. Nach der Strafrechtsreform vom Januar 1998 ist dieses Gesetzt dann ersatzlos gestrichen worden. Statt seiner hätte dann  gemeinschaftliche, schwere Körperverletzung angeklagt werden müssen. Die Strafe, also der mögliche Strafrahmen, wurde im Zuge dieser Veränderung auch drastisch erhöht ( von mindestens 6 Monaten bis zu 10 Jahre Haft und in minder schweren Fällen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren Haft ).

Damals aber war dieses Delikt zwar ein Vergehen, das Tausendfach in jener Polizeilichen Kriminalstatistik ( PKS ) jedes Jahr vorkam und bei Gerichten eher häufiger zu Verfahrenseinstellungen führte.

Auch in dem Fall des jungen Auszubildenden sollte es so kommen, obwohl der Fall durchaus Besonderheiten vorwies, die im Erwachsenenstrafrecht wohl eher zu einer Verurteilung geführt hätten.

Das Verfahren gegen den jungen Mandanten begann mit einem Diskothekenbesuch im Spätsommer, etwa 3 Jahre vor dem Gerichtstermin.

Eine kleinere Gruppe von jungen Männern, die allesamt bei der Niederlassung des Autoherstellers mit dem " Guten Stern " in Bremen als Auszubildende geführt wurden, betrat in den Abendstunden eine Diskothek in Westerland auf Sylt. Die noble Marke aus dem fernen Stuttgart unterhielt damals ein so genanntes Ausbildungsheim auf der, ebenso noblen,nordfriesischen Insel. Sylt war bereits in jener Zeit eine feine Adresse  -wenn auch nicht gerade mit dem größten Ort Westerland - für Besuche oder Daueraufethalte des Schickeria - Pack und sonstige Gernegroße, wenn auch nicht so überlaufen, wie es heutzutage der Fall ist.

Zu diesem Zeitpunkt des geplanten Diskothekenbesuchs der Mercedes - Jüngline, befanden sich auch einige Dutzend Bundeswehrsoldaten der hier stationierten Marineversorgungsschule in der Gaststätte. Bei diesen Besuchern floss bereits reichlich Alkohol.

Nach einer Weile folgte das, was man gemein hin als Massenschlägerei bezeichnet. Nach einer kurzen, verbalen Auseinandersetzung, bei der es um zwei der anwesenden jungen Frauen. Die Testosteron gesteuerten Bundeswehrmänner versuchten bei den jungen Damen zu laden. das missfiel wiederum den jungen Herren der Mercedes -Gruppe, von denen wohl einige Anwesende glaubten, ein Vorrecht zu besitzen.

Plötzlich flogen die Fäuste, Stühle und Biergläser. Innerhalb ein bis zwei Minuten war alles vorbei. Die Mercedes - Truppe trollte sich, nachdem es eine ordentlich Abreibung durch die Soldaten gegeben hatte.

Doch: Rache ist süß.

Kaum waren die Unterlegenen in ihrer Unterkunft, schmiedeten sie dort mit den weiteren Auszubildenden einen Plan für einen Gegenschlag. Flugs wurde eine Strategie entworfen, sich mit Knüppeln und Besenstielen bewaffnet und los gegangen. Die Armee der Mercedes - Auszubildenden bestand aus mindestens 40 Männern; die der Gegner in der Diskotheken allenfalls aus der Hälfte.

Die Holzutensilien hatten die Angreifer in ihren Jacken versteckt. Ahnungslos saßen die Bundeswehrangehörigen noch beim Bier oder flirteten mit den jungen Damen, als die Mercedes - Armada dem Eingang zu dem Lokal zusteuerte. Geschickt und völlig unauffällig betraten die Aggressoren einer nach dem Anderen oder in kleinen Gruppen die Diskothek.

Nachdem die Rachebengel sich in dem Raum verteilt hatten, gab einer der Auszubildenden ein Handzeichen. Dann ging alles rasend schnell. Die Mercedes - Buben öffneten ihre Jacken, zogen die Prügel hervor und droschen auf alles, was nach Bund aussah und als solches identifiziert werden konnte, ein.

Gegen die Übermacht hatten die Soldaten keine Chance. Es setzte ordentlich Hiebe. Es floss Bier, Blut und es ging so einiges zu Bruch. Der Diskothekenbetreiber rief sofort die Polizei.
Die Beamten befanden sich quasi um die Ecke und erschienen binnen einiger Minuten. Dennoch gelang es ihnen nicht, sämtliche Beteiligte der Mercedes - Truppe namentlich zu erfassen. So fuhren die Sylter - Polizisten zu dem Mercedes - Ausbildungsheim und überprüften dort die Personalien der Anwesenden. Sie fertigten gleich vor Ort von jedem Auszubildenden Lichtbilder an, erstellten eine dicke Mappe davon und legten diese einige Tage später den Geschädigten und zum Teil erheblich Verletzten vor.

Aus dem Kreis der möglichen Täter konnten aber nur 30 Personen wieder erkannt werden. Gegen diese wurde sodann ermittelt. Der Papierwust wuchs und wuchs. Die Zeit verrann. Es verging mehr als ein halbes Jahr, ehe die Sylter Polizei die Ermittlungen abschloss und die Hauptakte nebst 16 Sonderakten der zuständigen Jugendstaatsanwaltschaft in Bremen zusenden konnte.

Hier lag der Papierberg und lag und lag. Nach mehr als einem Jahr entschloss sich der zuständige Dezernent bei der Bremer Strafverfolgungsbehörde, Mühsam prüfte der Staatsanwalt die Fakten, sondierte die Ermittlungen erneut und befand, dass nur gegen 16 Beschuldigte Anklage erhoben werden könne. Die übrigen Verfahren musste er mangels hinreichendem Tatverdachts einstellen.

Es verging ein weiteres halbes Jahr, ehe der Dezernent die Anklage fertigte. Ein Teil der einstigen Soldaten lebte nicht mehr in Westerland, einige der Auszubildenden nicht mehr in Bremen. Weitere Monate vergingen, ehe die Anklage dem Jugendgericht übermittelt werden konnte.
Der zuständige Richter, ein Alt - 68er, ein milder Mann mit viel Erfahrung und eher wenig Motivation, prüfte zunächst seine Zuständigkeit. Er verneinte diese und sandte die Strafakten der Jugendkammer des gegenüber liegenden Landgerichts zu. Dort lag der Papierberg und lag und lag.

Mittlerweile waren fast zwei Jahre vergangen. Die Jugendkammer hielt sich wegen des Umfangs des Verfahrens für zuständig, eröffnete das Verfahren und begann die Anklageschriften jedem der 16 Angeschuldigten zuzustellen. Einige lebten oder wohnten längst nicht mehr in Bremen. Die Zustellurkunden kamen mit dem jeweiligen Vermerkt " unbekannt " und " unbekannt verzogen " zurück. Nach müshsamer Ermittlung der jeweiligen Wohnsitze der jungen Männer,
erhielten dann deren Verteidiger, also auch ich, Akteneinsicht.

Es vergingen weitere Monate.

Nachdem auch einige der ebenso längst verzogenen Zeugen, der einstigen Soldaten von Westerland auf Sylt,nicht geladen werden konnten, wollte die Jugendstrafkammer das Verfahren,beenden. Es erfolgte eine Terminsladung für die Angeklagten und jeden Verteidiger. jedoch mit dem Hinweis, dass sich der jeweilige Angeklagte zu dem Vorschlag äußern möge, ob eine Verfahrenseinstellung gegen eine Geldauflage von 100 Deutsche Mark zugunsten einer gemeinnützigen Organisation in Betracht kommen könnte und,  man möge doch einen Begünstigten nennen.

Ich gab eine Adresse einer Hilfsorganisation in Bremen an. Weitere Kolleginnen und Kollegen taten es auch. Die Prozesssache neigte sich damit dem Ende zu.

So gingen weitere Wochen ins Land..

An einem frühen Nachmittag im Sommer trafen sich alle 16 Angeklagten nebst Verteidiger und dem Staatsanwalt im Großen Sitzungssaal des Landgerichts Bremen. Er herrschte rege Betriebsamkeit. Wie die Hühner auf der Stange, saßen mindestens 4 Angeklagte neben ihrem jeweiligen Verteidiger hinter den Bänken. Dort wurde eifrig diskutiert und über die beinahe 3jährige Dauer des Jugendgerichtsverfahrens gesprochen. Dann öffnete sich die Seitentür zu den höhere gelegenen Richterstühlen und der Vorsitzende sowie zwei weitere Schöffen als kleine Jugendkammer erschienen. Sämtliche Beteiligte im Saal standen auf.
Der Vorsitzende begrüsste sie mit: " Guten Tag. Neben Sie doch bitte wieder Platz. "
Dann zelebrierte er den Verfahrensfortgang mit den einleitenden Worten:
 
" Dieses Verfahren ist ja eher ungewöhnlich. Aber, meine Damen und Herren, Sie stimmen mir wohl zu, wenn ich bei der Erklärung dazu, darauf hinweise, daass das Jugengerichtsgesetz nun mal vorsieht, einen Deliquenten auf dem Fuße, also umgehend, zur Verantwortung zu ziehen oder ihn bestrafen. Ich tadele meine Sohn auch nicht, für eine Sache, die er vor einem halben Jahr begangen hat. Richtig? "
Eifriges Nicken im Sitzungssaal und einige Rechtsanwälte grinsten sogar dabei.

" Nun, kommen wir mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu der Einstellung des Verfahrens. Herr A. zahlt 100 DM zugunsten der / des A, - Vereins. ". Der Vorsitzende betete dann weitere 15 Namen herunter. Nach einer etwa halbstündigen Verhandlung, war das Verfahren beendet. Der Mandant verließ mit mir den Großen Sitzungssaal des Bremer Landgerichts und schaute mich immer noch recht ungläubig an. Als wolle er fragen: " War das alles? "
Ja, es war der letzte Abschnitt eines fast dreijährigen Ablaufs. Ein eher seltsames Ende, ohne eigentliche Verlierer. Dafür mit 16 Siegern und einer eben nicht sehenden Dame Justitia.

" Was ist mit ihrem Honorar, Herr W. ", wollte der Mandant noch wissen. " Ich bin Ihnen beigeordnet worden, Das zahlt die Staatskasse. ", antwortete ich ihm. Er schaute mich wieder fragend an. Vielleicht hatte er gedacht, er müsste noch viele Hundert DM an den Verteidiger zahlen. Auch hier kam er mit einem leicht lädierten Auge davon, so, wie die übrigen 15 Mitangeklagten auch.
Die waren längst nicht mehr Auszubildende bei Mercedes. Sondern hatten zum Teil andere Berufe ergriffen, waren zu einem anderen Teil bei Mercedes verblieben und schraubten oder setzten dort am Band für gutes Geld, die T - und SE - Modelle, die dann bis zu 2 Jahresgehälter kosteetn, zusammen.
Auch schon deshalb war es richtig, das Verfahren auf diese Weise abzuschließen.

Schließlich gab es selbst zu meiner Zeit für eine Dummheit, die lange zurück lag keine Backpfeife. Insofern hatte sich an der Erziehung nicht so viel verändert.



http://de.wikipedia.org/wiki/Marineversorgungsschule

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