Heinz Dreier´s mobile Diskothek


Gestern habe ich endlich die Muse gefunden, an meiner Satellitenanlage herum zu schrauben und einige Zeit später die restlichen Verlegearbeiten der Zuleitungen für die JBL - Boxen zu beenden. Irgendwie kam in den letzten Monaten dazu wenig Lust bei mir auf. Nun aber, zudem auf sanften Druck meiner besseren Hälfte, ist eine weitere Baustelle erledigt.

Während ich die Kabel verlegte, kamen mir einige Erinnerungen an jene umtriebigen Jahre ab 1970. An die Aktivitäten als Hobby -  Plattenaufleger einer selbst zusammen geklaubten, mobilen Klein - Diskothek, die ich dann und wann bei Feten im Jugendheim aufbaute, um in den Abendstunden die mehr oder weniger aktuellen Hits abzududeln. Meine technischen Möglichkeiten waren dabei sehr, sehr begrenzt. Ich besaß nur eine tragbare 2 x 15 Watt Stereoanlage der Firma Universum, der Hausmarke des einstigen Versandhändlers Quelle aus Fürth, ein Mikrophon sowie einige Dutzend Singles. Doch selbst diese, teilweise selbst auferlegte, vornehmlich aber durch die Geldrafferei der Mutter zustande gekommene Bescheidenheit, kam in der damaligen, eher freudlosen Zeit in der Pampa rund um die niedersächsische Landeshauptstadt, noch gut an.

Zu den Feten im Jugendfreizeitheim des CVJM Bad Eilsen, dass hinter der vormaligen Volksschule sowie der Turnhalle liegt, kamen immerhin mehr als 50 Jugendliche. Okay, man kannte sich. Weshalb damals, als es weder Handy, sondern nur öffentliche Fernsprechzellen der Deutsche Bundespost gab. Als das Internet noch nicht erfunden war und ein " Flashmob " in der Provinz nicht via " Whatsapp ", " Instagram " oder gar " Facebook " , sondern ausschließlich durch Mund zu Mund - Propaganda initiiert werden konnte. 
Ab und an haben wir DIN A 3 - oder DIN A4 - Plakate entworfen, auf denen dann die geplante Veranstaltung in kreativer Bebilderung angekündigt wurde.

Dadurch kamen ein paar Jugendliche mehr. Oft aus den Nachbardörfern. Bei den so genannten " Jugendheim - Feten " wurde geraucht, Cola, Fanta, Sprite getrunken und - etwas später am Abend, bei gedimmten Licht und entsprechender Titelauswahl, mit Mädchen herum geknutscht. das war´s aber auch schon. Keine Alkoholexzesse, keine wüsten, brutalen Schlägereien, keine wilden Orgien, also.

Diese zeit, so ab Ende der 1960er bis zu Beginn der 1970er, sie war auch die kurze Ära der mobilen Diskotheken. Es gab sie aber nicht nur bei der Dorfjugend, nein, auch in dem städtischen Umfeld war diese Form der Musikwiedergabe, der lokal - patriotischen Aufmüpfigkeit gegen die Phalanx der herrschenden Einheitsdudelsendungen in den wenigen, immer empfangbaren Rundfunkprogrammen, sehr beliebt.

Die Stadt Bückeburg, für uns als Dörfler, bereits die Reinkarnation des non-konformen Lebens, weil dort mehr Gleichgesinnte zu sehen waren, es eine Reihe von Fachgeschäften und sogar eine Diskothek gab, sie bot dem jugendlichen Unterhaltungssuchenden aus der Tristesse der provinziellen Abgeschiedenheit, ein wenig mehr an Möglichkeiten. So fand regelmäßig ein Disko - Abend im " Brauhaus " statt. Einem alt eingesessenen Lokal mit einem großen " Tanzsaal ". Wenn jene " Disko - Abende " plakatiert waren, strömten einige Hundert Jugendlich in die Gaststätte und sorgten für ordentlichen Umsatz. Solche - zwar nicht gerade geliebten, aber wegen der Geldeinnahme durchaus geduldeten - Veranstaltungen gab es dort vielleicht ein Mal im Monat.

Federführend und als der Plattenaufleger in persona war ein ehemaliger Schulkollege mit dem Namen Rainer Kupich. Er hatte wohl just seinen Realschulabschluss, seine mittlere Reife, abgelegt und verdingte sich danach eben als Hobby - DJ in Bückeburg. Kupich konnte reden, weshalb er auch als Hobby - Plattenaufleger taugte. Kupich war es - im Gegensatz zu mir - gelungen, statt eines minderwertigen Volksschulabschlusses, die mittlere Reife zu bekommen. Ein Schulabschluss, der ihm die Tür zu einer " besseren ", zu einem gesellschaftlich anerkannteren Beruf öffnen konnte. Was er tatsächlich daraus gemacht hat, ist mir bis heute nicht bekannt. Kupich und ich waren eine Zeit lang befreundet. Dann verloren wir uns aus den Augen. Er wohnte damals irgendwo in Bückeburg; ich im Dorf Heeßen. Er besuchte die " Herderschule ", die Mittelschule; ich " nur " die Volksschule. Na,ja, das waren einst schon Welten. Er konnte später Englisch; ich musste mir die Sprache Jahre danach mühsam größtenteils selbst erlernen.

Nun, Rainer Kupich, also legte zusammen mit einigen Freunden im " Brauhaus " in Bückeburg ab und zu Platten auf. Irgendwie beneidete ich ihn darum. Zumindest zu Beginn der 70er Jahre tat ich es. Vor allem aber, weil er ein tolle Anlage mitbrachte. Zwei Plattenspieler, ein teures Mischpult, zwei Verstärker, vier sehr gute Boxen, eine Lichtorgel, mehrere Spots, ein Stroboskop. Alles technische Gegenstände, von denen ich nur träumen durfte. Und Kupich´s Diskothek umfasste eine Reihe von LPs. So auch die zu jener Zeit neu heraus gekommene LP " Deep Purple in Rock ". Jenes Erfolgsalbum, dass auch 50 Jahre danach immer noch als " Meilenstein " in der Rockgeschichte eingestuft werden darf.

Also spielte Kupich an einem Abend des Sommers 1970 einige Titel aus dieser LP, die es für satte 21 DM u.a. bei " Pelzig " zu kaufen gab. Ich drückte mir während der Mittagspause an den Schaufenstern, hinter denen die Neuerscheinungen der Pop - und Rockmusik ausgelegt waren, regelmäßig die Nase platt. Vom Gefühl her, hätte ich viele der Vinylscheiben mitgenommen; von den Finanzen aus betrachtet, reichte es allenfalls zu zwei Single für zusammen 11 DM. Meine Ausbildungsvergütung in Höhe von anfänglich 70 / 90, dann 120 Mark hätte einen solchen Monatseinkauf vielleicht noch gerade so zu gelassen; doch das zu Hause abzuliefernde " Kostgeld " von 50 / 70 Mark machte mir da einen Strich durch die Rechnung.

Also beließ ich es beim regelmäßigen, monatlichen Kauf von zwei 45er Vinylscheiben.

Da hatte es mein Mitstreiter, mein Mitleidender, mein Lehrlingskollege Heinz Dreier wesentlich besser. Er bewohnte nicht nur ein riesiges Zimmer in einer zwar herunter gekommenen Villa in Bückeburg und verfügte über jede Menge Platz, um sein phonotechnisches Equipment dort unterzustellen, sondern er hatte zudem wesentlich mehr Geld zur Verfügung als ich. Und dieses, obwohl er erst im 1. Lehrjahr war. Heinz ( eigentlich Heinrich ) Dreier besaß ebenfalls dass, wovon ich nur träumen konnte: Einen leistungsstarken 2 x 150 Watt Verstärker von " Dual ", 2 voluminöse Boxen der Marke " Heco "  dazu, ein gutes Mischpult, ein Mikrophon von " Sennheiser ", 2 Plattenspieler von " Dual ", eine Lichtorgel und eine Menge Single.

Heinz´Diskothek spielte sich einige Male im Jugendfreizeitheim in Bückeburg ab. Er stellte seine Anlage selbst dort auf, kassierte eigenhändig den Eintritt und fungierte anschließend als Disc - Jockey. Zu seinen eher spärlichen Ansagen spielte Heinz allerdings Titel, denen ich schon damals eher wenig Aufmerksamkeit schenken konnte. Es waren sicherlich aktuelle Stücke aus den englischen, amerikanischen und deutschen Charts, doch nicht jene Rocksongs, die ich inzwischen favorisierte. Es handelte sich eher um überwiegend tanzbare Popsongs, die in den jeweiligen Hitparaden platziert waren.

So dudelte Heinz von seiner guten Musikanlage:

- Black Skin Blue Eyed Boys von den Equals

- Baby Jump von Mungo Jerry

- Spirit In The Sky von Norman Greenbaum

- Lola von den Kinks

- Mademoiselle Ninette von den Soulful Dynamics

- Yellow River von Christie

- Ma Belle Amie von  The Tea Set

- All Right Now von Free

- House Of The Risning Sun von Frijid Pink

- Black Night von Deep Purple



Der Übertitel des Jahres 1970 war allerdings Neanderthal Man von der Gruppe The Hotlegs.
Deutschsprachige Titel kamen bei Heinz - dem Himmels sei Dank - nicht auf den Plattenteller, obwohl es derer Schmalzstücke genug gab. Ich erinnre mich da beispielsweise an Peterle´s " Du ".




https://www.chartsurfer.de/musik/single-charts-deutschland/jahrescharts/hits-1970/top-100


Nun, ja, damals waren wir mit unseren Ansprüchen an Cola, Weib und Gesang eher sehr bescheiden und dabei eher froh, irgendwie aus dem Grau des Alltags und der piefigen Umgebung des Dorfes herauszukommen. Ohne eigenen, fahrbaren Untersatz war das schon kaum möglich, denn Busverbindungen gab es nur sehr eingeschränkt.So war ich ständig auf der Suche nach einer PKW - Mitfahrgelegenheit. Irgendwie war es dennoch damals ein wenig beschaulicher; nicht so hektisch und schnelllebig wie die heutige Zeit es ist.

Als ich im März 1972 meine Ausbildung beendete, musste Heinz noch ein Jahr in der Firma Altenburg in Bückeburg abreißen. Wir trafen uns dennoch in Abständen in unserem existierenden " Beatkeller ".  Danach habe ich nur noch über meine Eltern gehört, dass er als Geschäftsführer eines Baumarktes arbeitete. Seine Diskothek hatte er längst aufgegeben.

Die Musik von dem Ex - Mitschüler Rainer Kupich hatte mir ohnehin besser gefallen:












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