Der Fensterputzer von Hastedt

 


Tja, in 8 Tagen beginnt unser Urlaub. Da heißt es, es sollten noch so allerlei Vorbereitungen getroffen werden. Und - weil wir die Hausschlüssel wieder an die Nachbarin zwecks Blumen und Garten gießen vergeben werden - die Räume können noch eine Art von Grundreinigung vertragen.

Deshalb bewaffneten sich meine bessere Hälfte und ich ab 9.00 Uhr mit einigen Putzutensilien und legten los. Während ich mir die vom Blütenstaub, Sahara - Sand und ständigem Mairegen ordentlich verschmutzten Fensterscheiben vornahm, begann sie das Esszimmer zu reinigen.

Nach knapp 2 Stunden hatten wir mehr als die Hälfte aller Räume gesäubert. Ich stellte die Putzutensilien wieder an ihre angestammten Plätze zurück und erinnerte mich dabei an eine Geschichte, die sich zu Beginn der 1990er Jahre zutrug und auch irgendwie mit Sauber machen und Fenster putzen zu tun hatte.

In meinem damaligen Büro an der Hastedter Heerstraße in Bremen, das damals noch der Mutter eines zuvor hier tätigen Steuerberaters gehörte, gab es eine nicht gerade kleine Fensterfront zu der Straßenseite. Die drei, relativ hohen und breiten Fenster waren zudem unterteilt. Sie ließen sich eher schlecht putzen.

Nur, gar nicht reinigen, dass ging nach den Vorstellungen der Vermieterin, einer schon über 80jährigen, typischen Bremerin, nun nicht. 

So sprach sie meine damalige Angetraute mehrfach wegen der verschmutzten Scheiben an, die diese doch bitte schön, mal putzen möge. Da meine Ex mit Saubermachen und ähnlichen Haushaltsdingen wenig am Hut hatte, vergingen wiederum einige Wochen, ehe sie sich damit befasste. Zuvor aber hatte ich eine andere Lösung für dieses drängenden Problems ins Auge gefasst.

Während der Fahrten von dem Büro an der Hastedter Heerstraße 164 zu den Gerichten, die sich damals auf den Stadtkern verteilten, sah ich häufiger in den Morgenstunden einen eher einsamen, vor sich hin werkelnden Mann, der, mit einer Alu - Trittleiter, einem grauen 10 Liter - Plasteeimer und einigen Reinigungsgeräten bestückt, in nahezu stoischer Bierruhe dort Fenster putze. Manchmal, wenn die Linie 2, 3 oder 10, die mich durch das berüchtigte " Viertel " schaukelte, konnte ich den Fensterputzer etwas genauer beobachten. Er war nicht mehr so ganz jung. Eher um die Ende Vierzig, hatte eine untersetzte Statur, deshalb auch kräftige Arme, war aber höchstens um die 1,75 Meter groß ( deshalb auch die Alu - Haushaltsleiter von " Heilo " ).

Während er seine immer gleichförmigen Armbewegungen an den Scheiben vollzog, dabei das professionell aussehende Wischgummi abzog, dieses über den Plaste / Gummieimer abtropfen ließ, dann mit einem Lappen jene leicht erkennbaren Spuren, die auf der schon glänzenden Scheibe zurück geblieben waren, entfernte, stellte ich mir die Frage, was sich da in seinem Wischeimer befinden muss, damit er solche, super sauberen Fensterscheiben hinbekommt?

Ich konnte diese Frage nicht beantworten, vermutete aber, dass es sich um ein spezielles Reinigungsmittel handeln könnte, dass er vielleicht über den Handel ( ich vermutete, er kaufte es beim " Hellweg - Centrum in Bremen - Hemelingen / Hastedt ) bezieht. Gesehen hatte ich den Fensterputzer allerdings dort noch nicht, obwohl ich dort regelmäßig Bürobedarf holte und einen Kundenausweis besaß, der mich berechtigte, den Einkaufskomplex überhaupt betreten zu dürfen.

Wenn dann die S-Bahn an dem Fensterputzer vorbei ratterte, überlegte ich dabei auch, was eine solche Tätigkeit an Geld einbringen würde? Viel konnte es eigentlich nicht sein. Möglicherweise reichte es gerade so, die eigenen Lebenshaltungskosten decken zu können. So gerade eben, wie ich es als Studierter als praktizierender Rechtsanwalt auch kannte. Zu wenig, um etwas besser leben zu können, zu viel, um einen Anspruch auf Sozialhilfe zu erhalten.

Es waren einige Tage vergangen, seit ich den Fensterputzer zum letzten Mal gesehen hatte. Dann fuhr plötzlich ein heller Renault Kastenwagen, ein " Rapid " oder " Estafette " in die Parktasche vor dem schmutzigen Bürofenster. Es stieg ein Mann aus, den ich als jene Person ausmachte, die ich zuvor in unregelmäßigen Abständen bei den Straßenbahnfahrten beobachten konnte - der Fensterputzer. Meine Chance, mein Auftritt also, um das leidige Thema der verdreckten Büro - Scheiben aus der Welt zu schaffen. Ich wollte mit der Vermieterin keinen Ärger, denn die wohnte ja eine Etage über dem Büro und ihr Sohn ebenfalls.

Ich sah, dass der Mann aus seinem Vehikel, einem schon leicht betagten Kastenwagen, sein Arbeitsgerät heraus kramte und mit diesem linksseitig zum Fenster meiner Kanzlei entschwand. Ich erkannte meine Chance und stürzte aus dem Büro in Richtung Eingangstür. Dort sah ich noch rechtzeitig, dass sich der begehrte Mann zu der Eingangstür des Bäckerfachgeschäfts bewegt. Hier packte er seine Arbeitsmittel aus. Ich stellte mich neben ihm und brachte mein Anliegen vor.

Ja, die Fensterscheiben meines Büros zu putzen kostet insgesamt 5 DM. Aber, nein, er habe dafür keine Zeit und nochmals nein, selbst wenn ich dieses ein Mal pro Monat wünsche. Ich bedankte mich und bewegte mich zurück in das Büro. Dort erklärte ich der Ex, das Ergebnis meiner Anfrage und die damit immer noch nicht gelöste Situation, dass die Vermieterin wohl alsbald Vollzug erwarte. 

Während des Gesprächs sah meine Ex eher zufällig aus dem Bürofenster. " Das ist der Fensterputzer? ". wollte sie von mir wissen. " Ja, warum? ", lautete meine Gegenfrage. " Das ist der Vater von der Miriam X, die ein Pferd bei B. stehen hat. ", entgegnete sie mir. Ich muss wohl ein wenig erstaunt geschaut haben, denn meine Ex fragte weiter nach, ob ich diese und ihren Vater nicht kenne? Ich verneinte. Ehrlich gesagt, mich interessierten die Pferdebesitzer und ihre Verbindung mit - oder zueinander nicht. Ich wollte her Mandate abfassen, die ich damals dringend brauchte, um die vielen finanziellen Verpflichtungen erfüllen zu können.

Eines Tages traf ich den Fensterputzer nebst Tochter dann doch auf dem Reiterhof in Stuhr. Hier wohnten er zusammen mit seiner Tochter. Der Mann war seit einiger Zeit geschieden, wurde irgendwann arbeitslos und suchte sich diesen Nischen - Job, um sich über Wasser halten zu können. Das Geschäftsmodell schien zu florieren, denn sonst hätte die Tochter keinen Zossen in dem Privatstall einstellen können. Möglicherweise arbeitete er zum Teil auch ohne Rechnung, also " schwarz " und traute sich nicht, mein Angebot anzunehmen, weil ich als Rechtsanwalt keine " krummen " Dinge mitmachen würde. Vielleicht hatte er mich aber zuvor bereits auf dem Hof und dem Gelände gesehen und schämte sich, seinen Pampel - Job zu offenbaren. Auf seinem Renault - Kastenwagen stand nämlich irgendetwas mit " Gebäudereinigung ".

Wie dem auch immer war, der Fensterputzer sah mich auf dem Hof, ich ihn und ging an mir kurz nickend vorüber, weil er sich tatsächlich ein wenig schämte. Ich habe ihn danach nie wieder gesehen. Seine Tochter musste später ihren Zossen verkaufen. Auch sie verschwand aus meiner Erinnerung.

Einige Tage nach dem Gespräch mit dem Fensterputzer nahmen wir einen Plasteeimer, eine Flasche " Sidolin ", zwei Putzlappen und altes Zeitungspapier mit. In der Mittagspause putzte meine Ex alle drei Fenster, säuberte sogar die Fensterbretter und saugte die Auslegeware ab. Nach knapp einer Viertelstunde waren die Arbeiten erledigt und die alte Dame Johanna Klauß ward´s zufrieden.

Die Eheleute Klauß verkauften einige Jahre später das Haus an die Nachbarn mit dem typisch bremischen Namen Backenköhler. Denen gehörte bereits das dahinter liegende Haus sowie ein großes Areal an der Stresemannstraße, auf dem sich die Gewächshäuser einer ehemaligen Gärtnerei befanden, die zuvor irgendwann in den 1980er Jahre pleite genagen war. Backenköhlers waren demnach - wohl nicht nur - Immobilienmillionäre. Es waren aber auch - so meine Erinnerungen - äußerst schrullige Menschen. Bremer " Knippköppe ", eben!

Nun, Klaußen´s verkaufen ihr Haus an Backenköhlers für nicht gerade wenig Geld ( mindestens 550.000 DM, die schwebten dem Sohn der Vermieterin damals vor als er mir die Immobilie anbot ) und damit traten Backenköhlers in den Mietvertrag ein. Ich unterhielt die Kanzlei noch einige Jahre, dann musste ich ausziehen.  Heute befindet sich dort die Räumlichkeiten des " Mädchen_treff Hastedt ", einer sozialpädagogischen Einrichtung, die - mutmaßlich - jene Problemfälle dort vorüber gehend aufnimmt, die in ihrem Elternhaus nicht mehr ( und nicht nur dort ) klar kommen. Dieses dürfte den - bestimmt - längst verstorbenen Backenköhlers wohl nicht gerade gefallen. Doch das Leben geht weiter. Die Jahre vergingen und mit ihnen verblassten auch die Erinnerungen an jene Zeit in den 1990ern.

Ob der Fensterputzer von Hastedt noch unter uns ist, kann ich nicht sagen. Wohl aber, dass der Sohn der Vermieterin vor knapp zwei Jahren sich in den Ruhestand begeben hat. Dann las ich bei der Recherche auch: Die " Hellweg - Centrum GmbH " nach erheblichen, wirtschaftlichen Turbulenzen in 201, nunmehr endgültig Insolvenz anmelden musste. 

Alles ist eben vergänglich.


JONI MITCHELL  -  The Dry Cleaner From Des Moines  -  Shadows And Lights  -  1980:





The Silky Veils Of Ardor  -  Don Juan´s Reckless Daughter  -  1977:





        

  

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