Polizeiruf " Ronny " : Bilder aus dem Ödland
Diese Folgen zeichnen sich seit Jahren nicht durch übermäßig viel kriminalpolizeilichen Aktionismus oder spektakuläre Fälle aus, sondern vermitteln eher düstere Bilder aus einem summa summarum hinterher hinkenden Teil Deutschlands aus. Weil hier - ob nun bewusst oder eher unterschwellig ausgewählt - Szenerien auf den Flatscreen ploppen, die in der Tat die gesamte Spannbreite der dortigen, defizitären Infrastruktur erkennen lassen.
So, wie die verödeten Landstriche einer einst reinen Agrarregion in vielen Sequenzen der Filme vorkommen, zeigt sich das Bundesland denn auch in natura. Trostlose von nahezu kahlen Äckern durchzogenen Weiten bis zum Horizont und zurück. Wer hier auf irgendeiner Nebenstraße mit einer Autopanne liegen bleibt, muss damit rechnen, dass es sehr lange dauert, ehe Hilfe naht.
In der letzten Folge des Polizeiruf aus Magdeburg gesellt sich auch noch soziales sowie materielles Elend dazu. Eine einst Drogenabhängige bekommt nach einer Therapie ihr weiteres Leben danach nicht so richtig in den Griff. Ihr Sohn aus irgendeiner Beziehung wurde deshalb in eine sozial - therapeutische Einrichtung verbracht. An seinem Geburtstag besucht er seine Mutter, von der er tatsächlich auch beschenkt wird. Doch zwischen dem Sohn und dem aktuellen Lebensgefährten der Mutter kommt es zu einem Streit. Das Kind läuft dabei aus dem Haus und wird Stunden später als vermisst gemeldet.
Die übliche Maschinerie läuft an. Bei den Ermittlungen gerät der " Neue " der Kindesmutter in den Kreis der Verdächtigen. Doch dieser Ansatz erweist sich als Sackgasse. Der " Neue " ist zwar kein Vorzeige - Ersatzpapa. doch auch kein Schläger und vor allem misshandelt er den Sohn seiner Freundin nicht. Für das Ermittlerteam rund um die sich in diesem Fall als " angefressen " gebende Kriminalhauptkommissarin Brasch und den eher sachlich nüchtern bis distanziert auftretenden Vorgesetzten Kriminalrat Lemp zeigt sich dieser Ansatz nicht nur als falsch, sondern gibt während der Ermittlungen einen gewollten Einblick in das Wohn - und Lebensumfeld der Kindesmutter und ihres " Neuen ".
Für einen Außenstehenden ein heilsamer Schock, denn das bewohnte Haus des Paares ist eine Bruchbude, die dortige Einrichtung besteht aus Möbeln, die allenfalls Sperrmülltauglichekit besitzen und der Haushalt der nicht erwerbstätigen Mutter wird als " schlampig " einzuordnen sein. Ein weiterer Blick in die nähere Umgegend zeigt dem Zuschauer einprägsame Sequenzen des Ödlandes Sachsen - Anhalt in 2023. Auch 33 Jahre nach der angeblichen Wende funktionieren dort zwar Wasserleitungen, der Strom kommt auch aus der Steckdose und es gibt Zuwegungen und Straßen, die sich mit den angeschafften, gebrauchten PKW aus den Kategorien der unteren Mittelklasse gerade so befahren lassen.
Das sachsen - anhaltinische Ödland wirkt in dem Film deshalb so authentisch, weil dieser in Originalplätzen rund um Magdeburg an der Elbe abgedreht wurde. Das Industriewerk mit Dreischichtbetrieb in dem der Lebensgefährte der Kindesmutter seine " Brötchen " sauer verdienen muss, um sich selbst und seine drogenkranke Auserwählte über Wasser zu halten, zeigt sich als ein in die Pampa hinein gepappter Moloch. Bedrohlich wirkend, abstoßend und einfach nur lebensfeindlich aussehend. Industrie im selbst ernannten " Land der Frühaufsteher " ist wegen der kritischen Infrastruktur nicht gerade mit fortschrittlicher Industrie belegt. Ganz im Gegenteil. Massen an Arbeitnehmern pendeln täglich in die benachbarten Bundesländer Niedersachsen, nach Sachsen, Brandenburg sowie auch Hessen.
Nein, die gezeigten Bilder in der " Polizeiruf " - Folge aus Magdeburg waren für mich nicht dazu angetan, dieses Bundesland als attraktiv zu benennen. Ganz im Gegenteil. Sie erweckten schlimmste Erinnerungen an jene Jahre meiner Kindheit in der niedersächsischen Provinz. Gedanklich erkannte ich jene herunter gekommenen Bauten nebst angebauter Hühnerställe, im Wohnhaus befindlicher Kaninchenverschläge und einem Schweinestall im Außenbereich des Schuppens wieder, die ab den 1950ern bis Ende der 1960er Jahre noch gang und gäbe waren.
Nun ist 1953 ff nicht 2023 ff und Niedersachsen 2023 ist nicht Sachsen - Anhalt, aber Pampa bleibt Pampe, ob in Bückeburg oder der Peripherie der Landeshauptstadt Sachsen - Anhalts. Und in jener Pampa spielte sich der " Polizeiruf " vom 19. März 2023 ab 20.15 Uhr ab. Auch wenn dieser dieses Mal mit ohne einer Leiche, einem verbuddelten Toten oder ein in der Elbe bis Saale schwimmenden Menschen auskam.
Dass am Ende der knapp 1 1/2 stündigen Tristesse im " Land der Frühaufsteher ", dessen unterirdischer Charme größtenteils auch auf die dortigen Einheimischen abzufärben scheint, wird der Spross einer alleinerziehenden Leiterin jeder sozial - pädagogischen Einrichtung als Übeltäter jener Kindesentführung dingfest gemacht. Ein Jugendlicher, dessen Affinität zu virtuellen Zeittotschlagspielen im Halbdunklen der eigenen Vier Wände wohl auch dazu beigetragen hat, dass jener junge Mann nicht nur einen Kollegen der Mutter zum Päderasten abstempeln möchte, um - geplant bis gewollt - die Kripo auf eine falsche Fährte zu locken, lässt sich so gerade eben noch nachvollziehen. Warum er nun ausgerechnet den zufällig an dessen 10. Geburtstag in seiner Nähe aufkreuzenden Ronny auf ein Boot lockt, um ihn in der Wallachei auszusetzen und ihn dort sich selbst zu überlassen, bis dieser dort verreckt, bleibt indes in den hierzu konstruierten Handlungssträngen nebulös.
Klar, können aus Hard - Core - Ego - Shootern Perverse werden, die Tier und später Mensch zum Objekt innerhalb der selbst aufgebauten Scheinwelt degradieren und zu Tode quälen, aber in jenem fiktiven Kriminalfall gab es da dann doch eine fachkundige Mutter, die jene Wesensveränderung ihres Sohnes hätte erkennen und entsprechend handeln müssen. Oder sollte hiermit denn eher das Klischeehafte aus dem Bereich des Spannungsfelds von alleinerziehender, voll erwerbstätiger Mutter und einem damit potentiell der Vernachlässigung preisgegeben Sohn ( Kind ) bedient werden
Ja, die soziale Herkunft ist heutzutage mehr denn je Hauptursache für den Erfolg oder das Scheitern einer Ehe, einer Beziehung und wird zum entscheidenden Faktor des schulisch - beruflichen Werdeganges des Kindes. Doch bringt dieser Umstand per se mehr kriminelles Potenzial hervor?
Nicht unbedingt. Soziale Spannungen gibt es auch in gut bürgerlichen, finanziell besser gestellten Familienumfeldern. Und damit einhergehend kann sich durchaus Kriminalität und kriminelles Handeln entwickeln. Nur die Fassade, das Blendwerk drumherum, ist ein anderes.
Und so zeigt sich just in jener Folge des " Polizeiruf 110 " aus dem öden Umland der Landeshauptstadt Magdeburg, dass ein Krimi im Fernsehen nicht immer mit mindestens einem Toten ausgehen muss.
https://de.wikipedia.org/wiki/Polizeiruf_110:_Ronny
Dass das " SPIEGEL " - Ressort " Kultur " dazu in einer zunächst auf die Internetseite eingestellten Textversion von dem Tod des vermissten Kindes ausging, dürfte alsdann mehr als peinlich sein. Mitpalavern, nur des Mitpalaverns willens in der Medienmeute dürfte nicht gerade zum Anspruch eines Qualitätsjournalismus gehören.
Da liest sich die Filmrezension des Christian Buß ( ein Old Shark in dem Genre ) denn eher als eine solche. Auch wenn sie mir an einigen Stellen zu sehr auf ein beschreibendes Landschaftsportrait hinzudriften scheint.
Warum es rund um Magdeburg nach beinahe 33 Jahren deutsch - deutscher Wiedervereinigungsgeschwafelei in groben Zügen immer noch nach DDR aussieht, muss weder die Folge des Polizeirufs erklären, noch die " SPIEGEL " - Rezension des Christian Buß.
Ödland bleibt eben Ödland?
AD ABSURDUM - Sonne übe Gummibärchenland - Kellerspielchen - 1997:
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