Wo liegt Odenkirchen?


 

In den 1970er Jahren besaß ich bereits einen eignen PKW. Keinen so großen Schlorren, wie ihn sich so mancher Nachbar hier vor die Tür oder die mittlerweile viel zu kleine Garage stellt, weil der Mini - Panzer dort nicht mehr hinein passt, sondern nur einen Kleinwagen, der zudem auch sehr spartanisch ausgestattet war. Renault zählte einst zu den größten Automobilkonzernen der Welt und das dort konstruierte Modell R 4 war ein Verkaufsschlager. Dessen technische Zuverlässigkeit indes sehr zu wünschen übrig ließ. Sicherlich brachte mich der " Gartenstuhl " regelmäßig  ohne große Zwischenfälle von A nach B, aber dazu bedurfte es vor Fahrtantritt einiger Tricks und Kniffe.

Als ich in den letzten Jahren der 1970er - Dekade mir einen lindgrünen R4 zugelegt hatte, wagte ich mit diesem sogar das Abenteuer einer Nordkap - Reise. Mit über 8.000 Kilometern in etwa 3 Wochen setzte ich den R4 - Rödel auf eine doch arge Belastungsprobe. Die das französische Gefährt nicht ohne Blessuren überstand. Während der Fahrt verstopfte der Benzinfilter, so dass ich eine norwegischen Werkstatt aufsuchen musste, die das Teil ausbaute, reinigte und wieder einsetzte. Nach der Rückkehr schlug der hintere Stossdämpfer  ein Gaul aus und musste ersetzt werden. Diese kleinen Wehwehchen waren allerdings gegen den Totalschaden, den ich Ende de 70er Jahre auf einer Autobahnraststätte fabrizierte, kaum erwähnenswert.

Davor aber brachte mich der lindgrüne Franzose einige Male von Bremen nach Odenkirchen, einem später zu der Gemeinde Rheydt und ab 1929 zu der kreisfreien Stadt Mönchengladbach eingegliederten Dorf am Niederrhein. 

Hier lebte mein Bruder ab 1978 mit seiner frisch Angetrauten mehr als 2 Jahre, ehe er dann nach der Geburt seines Sohnes 1981 in eine größere Wohnung in die Stadt Mönchengladbach umzog.

Odenkirchen zum Ende der 1970er Jahre, das war ein überschaubares Örtchen mit einigen Seiten - und Nebenstraßen entlang der Bundesstraße 59, in denen sehr oft schlichte Einfamilienhäuser, eher selten Blocks mit vier bis sechs Parteien lebten. In einem dieser zweigeschossigen Häuser hatte mein Bruder eine zirka 75 m² große Dreiraumwohnung gemietet. Die damalige Vermieterin hieß Jans, war so um die Ende 60 ( für uns also steinalt ) und seit längeren Zeit Witwe. Deshalb musste sie den oberen Bereich des Hauses vermieten. Die Renten dürften wohl zum Bestreiten des Lebensunterhalts nicht ausgereicht haben.

Odenkirchen zählte einst weit weniger als jene 20.000 Einwohner, die es aktuell verzeichnet.    

https://de.wikipedia.org/wiki/Odenkirchen   

Damals war alles beschaulicher; man kannte sich seit langem. Die verbriefte Spießigkeit basierte weites gehend auf das ländliche Umfeld, die Einflüsse der römisch - katholischen Kirchen in der Niederrhein - Region und die stark konservative Ausrichtung, die durch das politische Meinungsbild in Gestalt der CDU - Wahlergebnisse zum Ausdruck kam.

Da las ich im " SPIEGEL " - Ausgabe 48 / 2022 eine Gerichtsreportage zu einem Strafverfahren vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mönchengladbach, in dem es um eine beinahe unfassbare Bluttat geht. Eine 71jährige Rentnerin soll im Mai 2022 ihre damalige Lebensgefährtin ( 70 ) mit 26 / 29 Messerstichen getötet haben.

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/moenchengladbach-tod-durch-29-stiche-frau-gesteht-mord-an-lebensgefaehrtin-a-29ab5e10-9997-40a4-810b-3186bfa0c8e2   

        

Und dieses ausgerechnet in dem sehr provinziell geprägten Stadtteil Mönchengladbach - Odenkirchen? Doch es ist war. Es ging um Verletzungen, um Kränkungen, um Eifersucht. Jene Form niederer Beweggründe, die für die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen bei der Erfüllung eines Mordmerkmals herangezogen werden könnten. Die Grenzen zwischen Mord oder " nur " Totschlag können dennoch durchaus fließend sein. Hierbei werden die Beweggründe, die zu der Tat geführt haben oder geführt haben könnten möglichst akribisch geprüft. Zu den Fragen, die das Gericht beantworten müssen, zählen unter andrem auch jene, die nach dem " Warum ? ". Warum konnte es zu der Tat kommen?

Welche Motivlage auch immer in dem Tötungsfall der Rentnerin Walburga S. erkannt wurde, das Gericht erkannte in seinem Urteil auf eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 10 Monaten für die jetzt 71. jährige Täterin.          

Das mag für einen fachlichen Laien " milde " bis " ungerecht " aussehen, doch selbst ein " lebenslang " lässt die Getötete nicht wieder auferstehen. Der Sühnegedanke, der dem Strafrecht überall und nirgends immanent zu sein scheint, tritt in einem solchen Urteil tatsächlich zurück. Selbst dann noch, wenn hierin Begriffe, wie " Übertötung ", " Affektrausch " oder  " Beziehungstat " verwandt wurden. Das Urteil ist reversibel. Ob der Bundesgerichtshof hierzu noch ein " Wörtchen " mitredet, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. 

In einem anderen Verfahren wegen eines Tötungsdelikts hat eine Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach auf eine lebenslange bzw. siebenjährige Haftstrafe erkannt. Ein Mann hatte den fünfjährigen Sohn seiner Freundin über Monate schwer misshandelt und final " totgeprügelt ". Das Gericht erkannte auf " Totschlag "; gleichwohl verhängte es eine unbegrenzte Haftstrafe. Die die Misshandlungen ihres Kindes duldende Mutter wurde des Totschlags durch Unterlassen für schuldig befunden. Gleichwohl verhängte die Schwurgerichtskammer " nur " auf eine Strafe von sieben Jahren.

Gerecht? Ungerecht?

 Als ich von den Strafverfahren gegen die verurteilte Rentnerin Walburga S. las, erinnerte ich mich vielmehr an meine Fahrten nach Odenkirchen. Ich fuhr von Bremen über die Autobahn A1, die A 46 und die A 44 bis zur Ausfahrt Mönchengladbach - Odenkirchen und dann jene Reststrecke auf der B 59, entlang einer sehr ländlich geprägten Region. Weite Felder, Wiesen, einzelne Höfe, Waldhaine, Gräben, kaum befahrene Straßen waren zu sehen. Alles sehr beschaulich. So wie der Menschenschlag auch, den ich in Erinnerung bekam. Bieder aussehende, grauhaarige oder auf " Silverager " getrimmte Damen, unscheinbar aussehende, leicht übergewichtige bis dickbäuchige Herren im gleichen Alter. Dazu Spießertum par exellence in Gestalt der katholisch geprägten Lebensweise und der stock - konservativen Denkformen, verkörpert durch die niederrheinische CDU.  

Das war einst nicht meine Welt.       

Wie kann ein, nein, wie können solche Gewalttaten da eigentlich entstehen?

Die Zeiten ändern sich. Die Moralvorstellungen vielleicht mit ihnen. Das Standardmodell der in der christlichen Glaubenswelt qua der " Bibel " als zur Seite gegebenes Handbuch ist zwar nicht passe´- ganz im Gegenteil. Aber: Es werden auch andere Formen des Miteinander und / oder Zusammenlebens - zumindest oberflächlich - toleriert. 

Das war damals, so vor beinahe 45 Jahren undenkbar. Weshalb mein Bruder auch mit Anfang 20 Jahren heiratete ( heiraten musste ), um überhaupt eine eigene Wohnung zu bekommen - in Odenkirchen. Wo es auch Messer - Tötungsdelikte gibt!

" To be on a knife edge " ?



EMERSON, LAKE & PALMER  - Knife Edge  -  1970:







 

  

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