Wie kommen Sie auf " edge " ?


Als ich vor knapp einem halben Jahrhundert meine letzten Monate, Wochen und Tage beim " Bund " ( der Bundeswehr ) in Munster / Lager zählen durfte, hatte ich " bereits " den Dienstgrad des Obergefreiten erhalten. Zu mehr hätte es einst eh nicht gelangt, denn ich nutzte damals die Gelegenheit, statt der vorgesehenen 2 Jahre Dienstzeit als Soldat, die Bundeswehr ein Vierteljahr früher verlassen zu können. Ein entsprechendes Gesetz wurde zuvor von der sozial - liberalen Koalition des Bundeskanzler Schmidt, der ja selbst Verteidigungsminister war, verabschiedet. Auf Helmut Schmidt folgte der SPDler Georg Leber, ein ehemaliger Gewerkschaftsvorsitzender.

Leber ließ die so genannte Reformpolitik seines Vorgängers fort führen. Die sah vor, aus dem Soldaten einen " mündige Bürger in Uniform " zu kreieren. Die Schlagworte, wie " Reform ", "  Demokratie " oder " Innere Führung " sollten vor dem Verteidigungsministerium in Bonn nicht Halt machen.

Ob dieser - zumindest damals noch - Staat im Staate überhaupt reformierbar war, bleibt bzw. blieb in jenen Jahren danach mehr als zweifelhaft. Wie dem auch immer war, mich als " Freiwilliger " hat jene Zeit beim " Barras " nicht so sehr geprägt. Vielen anderen " Kameraden " indes ging es anders. Sie sehnten sich - obwohl sie " nur " Wehrpflichtige " waren - nach jenem Lebensabschnitt zurück. Es könnte daran gelegen haben, dass diese jungen Herren davor keinerlei Strukturen aus dem Elternhaus und / oder der Schule kannten. Und in dem geregelten, auf Befehl und Gehorsam getrimmten militärischen Umfeld, diese in erfüllender Weise wieder fanden.

Das war bei mir anders. 

Von dem proletarischen Elternhaus ausgehend waren mir Über - und Unterordnung bestens bekannt. Diese Grundvoraussetzungen setzten sich nahezu nahtlos in den 9 1/2 Jahren Volksschule, mit knapp 1 1/2 jähriger Unterbrechung für einen versuchsweisen Besuch der Realschule in Bückeburg, fort. Schläge, Strafen, verbale Demütigungen, standen hier wie dort auf der Tagesordnung. Der junge Mensch sollte dadurch frühzeitig zum Funktionieren getrimmt werden. Das war gut für de eigene Bequemlichkeit, gut für die individuelle Pflege des Egos und noch besser für einen reibungslosen Ablauf des gesamten Ganzen ( des Staates ).

So vorgeformt verließ ich Mitte März 1969 die Volksschule in Heeßen. Mit einem überschaubaren Fundus an schulischen Wissen wurde ich ab dem 1. April 1969 in die Lehre bei der Herm. Altenburg KG in Bückeburg getrieben. " Du machst eine Lehre! ", lautete der Befehl meiner - selbst ungelernten - Mutter, dem Spieß der Kompanie.

" Jawoll, Herr Hauptfeld! "

Nach den drei Jahren Leere in der Lehre stellte sich bereits zum Spätherbst des Jahres 1969 für mich die Frage, des " Was mache ich danach bei der Bundeswehr ? "

Es wehte einst ein anderer Zeitgeist. Ein Geist des Wiederstandes gegen das Althergebrachte, verkörpert durch die aus den Jahren des Faschismus geprägten Elternhäuser. Wodurch auch erklärbar wird, warum es aus den Jahrgängen, die das einzige Gymnasium in Bückeburg - aber, nicht nur dort - verlassenen jungen Männer massenhaft den Wehrdienst verweigerten. Jene Unangepassten wurden alsdann im Sprech jener Aufbruchszeit als " Kriegsdienstverweigerer " bezeichnet. Unter dem Kürzel " KdV " lobhudelten sie sich ob ihrer Ruhmestat selbst.

Ja, auch die " KdVs " hatten ihre Existenzberechtigung, denn ohne sie wäre ich erst gar nicht auf die Idee gekommen, mich mit den Nachteilen und Vorzügen des Dienstes an der Waffe auseinanderzusetzen. Und so kam ich auf die Idee - im Gegensatz zu meinen flüchtigen Bekannten / Freunden aus dem Kaff - mich freiwillig zur Truppe zu melden. Okay, meiner proletarischen Herkunft und der darin, mit der Muttermilch ausgesogenen Grundeinstellung, der römischen Handlungsmaxime " pecunia non olet ", lockte der Sold des Hochverrats an der KdV -  Bewegung natürlich auch. Statt mickriger 650 DM brutto als popeliger Verkäufer bei der Herm. Altenburg KG oder sonst wo in dem schaumburg - lippischen Umfeld, zahlte mir die BRD bereits mehr als 720 DM im Monat dafür, dass ich mich an den Waffen ausbilden ließ, um den Bonner Staat nebst seiner kapitalistischen Wirtschaftsordnung vor einer drohenden Invasion des böseren Ostens ( UdSSR, Warschauer Pakt, Bruderland DDR ) mit schützen helfe.

Eines Tages so zum Ende der Leerzeit flatterte eine Nachricht des Kreiswehrersatzamtes ( KWA ) aus dem nahen - für mich aber fernen - Nienburg an der Weser in den elterlichen Briefkasten ein. Hierin hierin war sinngemäß zu lesen, dass ich nunmehr der Wehrerfassung unterläge und jedwede Veränderung meines Wohnsitzes und in meinem persönlichen / beruflichen Werdegang umgehend - unter Angabe meiner Personenkennziffer - dem KWA in Nienburg / Weser zu melden habe. Weiterhin wurde mir mitgeteilt, dass ich als Jahrgang 1953 in absehbarer Zeit mit einer schriftlichen Aufforderung zur Musterung durch das KWA zu rechnen habe. Ich könne mich allerdings auch als Freiwilliger melden und sollte dazu eine beiliegende Postkarte mit meinen Personenstandsdaten ausfüllen und diese an das KWA zurücksenden.

Aha, ah ja! So funktionierte das also. 

Ich tat, wie mir vorgegeben, und schickte die frankierte Postkarte an das KWA zurück.  Bis kurz vor Weihnachten blieb es danach ruhig. Irgendwann erhielt ich einen DIN A4 - Umschlag aus Nienburg / Weser. Darin befanden sich jede Menge Formulare, die ich bitte schön, fein säuberlich und lesbar ausfüllen und in einem Freiumschlag bis zum Ende des Jahres zurücksenden möge.

Kurz nach dem Jahreswechsel 1971 / 1972 erhielt ich dann einen Brief von der Bundeswehrfreiwilligenannahmestelle in Hannover / Bothfeld. Darin wurde ein Termin zur Tauglichkeitsprüfung  ( Musterung ) ende Januar 1972 benannt. Ich musste zwar dafür zwei Tage Urlaub nehmen, hatte aber die begründete Hoffnung demnächst für nahezu das fünffache an monatlichem Geld dem Land, diesem Staat, der Bundesrepublik Deutschland treu dienen zu dürfen.

Nun, die Prüfungen während jener zwei Tage waren vielfältig und umfangreich. Neben einer Reihe von Tests, in denen die kognitiven Fähigkeiten abgeklopft wurden, wurde die körperlich Fitness abgeklopft ( Laufen, Springen, Seil klettern, usw. ) war hierbei angesagt. 

Okay körperlich konnte ich ganz gut mithalten. Ich war rank und schlank wie eine Tanne, dazu Nichtraucher, kein Trinker ( Alkoholiker )hatte mit Halluzinogenen in anderer Form nichts am Hut und war nicht , wie die Untersuchungen ergaben nicht erkrankt. Und, nachdem ein Stabsarzt meinen " Willi " in Augenschein genommen hatte, wobei er mir die nahezu obszöne Frage stellte, ob ich beim " Verkehr " Probleme hätte ( was ich kurz und knapp mit einem " Nein " beantwortete, denn ich hatte bis dato keinen ) durfte ich meinen Tauglichkeitsgrad Eins in Empfang nehmen. Womit ich die erste Hürde genommen hatte.

Damit gelangte ich zu einem anderen Gebäude innerhalb des Kasernengeländes. Und dort saßen bereits gut zwei Dutzend weitere Anwärter auf den Einheitsstühlen, die mich nach dem ich mich in eine ausgelegte Anwesenheitsliste eigetragen hatte - wie eine Spezies aus einer anderen Welt ansahen. Allesamt waren jene Sitzenden Abiturienten und zugleich " KDVs ". Boah, wo war ich jetzt hin geraten? Die zwei Dutzend " KDVs " verschwanden im Eilzugtempo aus dem Wartezimmer.    

Anschließend prüfte dann ein Musterungsausschuss meine Verwendung. Für die Marine war ich zu groß ( diese Waffengattung hatte ich auch nicht präferiert ), für die Luftwaffe kam ich nicht in Betracht, weil meine Fremdsprachenkenntnisse, insbesondere das angegebene Englisch nie und nimmer dazu ausreichten, um etwa als Pilot oder ähnlicher Soldat dienen zu können. Ein Prüfkommission, bei der ich mich einzufinden hatte, erklärte mir dieses. Vor just jener Kommission, die als eine Art Gericht vor mir thronte und für mich im Nachgang eine Form eines Tribunals besaß, sollte ich nämlich meine behaupteten Englisch zu Besten geben. Der Vorsitzende dieses Ausschusses, ein vielleicht damals Mittvierziger plapperte mir ein einige Sätze in deutsch vor, die ich ins Englische zu übersetzen hatte. Ich wusste selbst, dass meine freiwillige Teilnahme an dem Englischunterricht in der Volksschule Heeßen, inklusive jene 1 1/2 Jahre innerhalb des Versuchs, die Realschule in Bückeburg zu besuchen, die sich dann nur über drei Jahre erstreckte, allenfalls rudimentäre Sprachkenntnisse hervor gebracht hatten. Der, zumeist über das Hören englischsprachiger Beat - Pop - und Rockmusik, beigebrachte dazu ergänzende Rest, reichte keineswegs aus, um diese als alltagstauglich einzustufen.

Ich verstand zwar einige englische Begriffe, doch über jene Grundkenntnisse des " I, You, He, She, It, We, You, They " oder " One, Two, Three... " sowie " I want to buy an egg (apple ) " ging es eben nicht hinaus. Ganz im Gegenteil. Bedingt durch meinen entwickelten Faible für englische Musiktitel aus den Charts, vermischte ich, immer in der Hoffnung, dass was ich gerade auf den Plattentellern oder vom Tonband sowie aus dem Radio hörte, nun doch verstehen zu können, viele englische Begriffe. Die Musikstücke sang ich - nicht nur - falsch, sondern ausschließlich nach Gehör mit. Eine unverzeihliche Fehlentwicklung, die mir dann jene Möglichkeit nahm, den Kelch in Gestalt einer Heereswaffengattung an mir vorüber gehen zu lassen, sofort und bei der Befargung durch den Kommissionsvorsitzenden nahm.

Der stellte mir nämlich die Aufgabe, den deutschen Satz: " Dieser Raum hat vier Ecken " zu übersetzen. Heraus kam meine Antwort: " This room has four edges ". Betretens Schweigen folgte in der Runde der fünf Prüfer. " Wie kommen Sie auf edges? ", wollte er von mir wissen. Ich hatte keine Antwort parat und wurde abgebügelt. Nix mit Luftwaffe, sondern Heer und zwar, weil ich körperlich fit war, die Ausbildung zum Panzergrenadier stand mir ab dem 2. April 1972 bevor.

Nein, das heißt doch nicht " edge ", sondern - wenn schon - " nook " oder noch besser: " corner ".

Jawoll, ja!  

Ich habe den Barras trotzdem schadenfrei überlebt. 


SMOKEMASTER  -  Trippin´ Blues  -  2020:




















                 

        

 

  

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