" Freedom " und der heroinsüchtige Stockschirmträger



Der Juli 2023 hatte sich endlich verabschiedet. Dieses mit Regenschauern. Der Folgemonat August beginnt deshalb so, wie der Juli 2023 endete: Mit Regen und kühlen 18 ° C. Ist das eigentlich der Sommer in den Zeiten des globalen Klimawandels?

Wäre ich ein AfD - Faktenverdreher, würde ich jetzt glatt auf irgendeinem der vielen Hetzseiten im Internet einen Lügen - Beitrag zu der angelich Lügen über den von Menschenhand verursachten Klimawandel einstellen. 

Das war vor 53 Jahren noch nicht der Fall. Der Sommer 1970 war eher verregnet und mit einer Durchschnittstemepratur von nur 18,3 ° C zu kühl. Daran kann ich mich zwar nur sehr vage erinnern, doch ich weiß noch, dass ich häufig während der einstündigen Mittagszeit mit einer angezogenen Regenjacke meine Schaufensterbesichtigungen machte. Dabei interesssierte ich mich vor allem die Auslage des Plattengeschäfts Pelzig in der Lange Straße. Dort waren nämlich auch die aktuellen Chartlisten ausgehängt.

Ich blieb hier dann minutenlang stehen, um die Hitparadennotierungen zu lesen. Sie sahen im Sommer 1970 in etwa so aus:

https://hitparade.ch/charts/singles/28-07-1970   

Einige der platzierten Single hatte ich in meiner - eher überschaubaren - Sammlung. Andere wiederum, vor allem die deutschsprachigen Lieder, waren mir zu kitschig oder zu seicht. Deren Chartnotierungen überlas ich deshalb geflissentlich. Mit der Erkenntnis, dass meine lumpige Ausbildungsvergütung von 150 DM, wovon mir nach Abzug des Kostgeldes an die Eltern noch 80 DM verblieben, eh nicht ausreichend würde, um alle von mir begehrten 45er - Vinylscheiben erwerben zu können, trottete ich gemächlich wieder in Richtung Schulstraße und dort zu dem Ausbildungsbetrieb Herm. Altenburg KG.

Auf dem Rückweg, manchmal auch zu Beginn der einstündigen Mittagspause, die ich beinahe jeden Tag im Freien verbrachte, sah ich regelmäßig eine meiner vielen Leidensgenossinnen. Ich kannte sie nur unter dem Namen " Freedom ". Mein Bruder, der dem anderen Geschlecht weitaus unkritischer als ich gegenüberstand, stellte mir die junge Dame irgendwann während der Mittagspause vor. 

Nun neben einem von mir her schmallippig geführten Dialog von Frau zu Mann, also von Jungmann zu junger Frau, entstanden daraus keine festen Bande. Ich hatte unisono keinen Bock auf eine feste Freundschaft, die sich bei der Umsetzung meiner Freizeitinteressen eher als lästig gezeigt hätte.

Okay, " Freedom " sah so schlecht nicht aus. Sie war mindestens einen Kopf keliner als ich, trug - wie damals üblich - langes, krauses, manchmal zerzaustes Haar, war sehr schlank und trug - so wie ich - entweder eine farbige Cordhose oder eine Jeans sowie ein popiges, grell - buntes Sweatshirt. Manchmal auch einen dünnen Pullover.  

Wann immer wir uns zufällig während der Mittagspause begegneten, lächelte " Freedom " mir etwas verlegen und dabei auch leicht verschämt auf die akkurat verlegten Gehwegplatten des Bürgersteiges an der Schulstraße guckend zu. Sie mochte mich. Ob ich jene Sympathie und mehr ihr hätte entgegenbringen können, war jedoch eher unklar.

Ja, gefallen hatte sie mir schon; entsprach " Freedom " dann doch meinen Vorstellungen einer jungen Frau. Nicht zu dick, nicht zu klein und keine roten Haare. Keine Brillenträgerin, keine Zahnlücken, kein " Atombusen " und vor allem nicht zu dumm. Letzteres wusste ich allerdings nicht mit Sicherheit, denn aus dem kurzen Anbahnungsgespräch, das mein Bruder eingefädelt hatte, konnte ich dazu wenige Erkenntnisse ziehen. Andrerseits wusste ich, dass " Freedom " - wie ich auch - eine Lehre als Verkäuferin / Einzelhandelskauffrau in einem damals existierenden Fachgeschäft begonnen hatte. Womit klar war, dass sie " nur " einen Volksschulabschluss. allenfalls einen Mittelschulabschluss, vorweisen konnte.

Über ihre familiäre Herkunft wusste ich noch weniger. Sie kam aus Bückeburg. Das war alles, was ich heraus bekommen konnte. 

Wie es heutzutage auch immer noch üblich ist, hätte der Kerl den ersten Versuch starten müssen, um mit der Dame Kontakt aufzunehmen. Doch meine anerzogenen Hemmungen, gepaart mit viel Unwissenheit über die Sexualität, waren damals größer. Dass eine Frau vom Küssen nicht schwanger werden konnte, wusste ich aus der " BRAVO ", ebenso, dass es inzwischen die " Anti - Babypille " gab und dat Ding da unten nicht nur zum Pinkeln herum hängt. Das war es dann aber auch schon.

Nun, ich startete nicht den ersten Versuch zur erwünschten Kontaktaufnahme. " Der Sommer verging und  " Freedom " angelte sich ( oder auch umgedreht ) einen twas älteren Knilch. Es war der Sohn einer Familie, die am Rande von Bückeburg eine Holzhandlung betrieb. Von ihm wusste ich, dass er angeblich Drogen nehmen soll. Auch von Heroin war damals die Rede. Ich sah den mutmaßlichen Drogenkonsumenten einige Male in Bückeburg. Er trug schulterlanges, dunkelblondes Haar, war öfter in schwarzen Klamotten gekleidet und hatte bei schlechten Wetter einen ebenfalls schwarzen Stockschirm dabei, den er beim Gehen auf die Gehwegplatten auftippen ließ. Er erinnerte mich an Graf Yoster aus dem Fernsehen oder auch ein kleines bißchen an Mr. Cox, der im Ersten zu sehen war. Vielleicht auch an das Lied der " Kinks ", das den Titel " Mr. Pleasent " trägt. 

" Mr. Pleasent " aus der Provinz soll ab Herbst dann mit " Freedom " gegangen sein.

So erledigten sich denn auch gleich meine unterschwellig mitlaufenden Bedenken, dass ich als möglicher Freund der jungen Dame " Freedom " irgendwann auch Vater oder Erzeuger eines nicht gewollten Kindes mit ihr sein könnte. " Freedom " verschwand aus meinem Alltag, der eher aus einer sinnfreien Lehre, der Freizeitgestaltung mit Musik und dem Hinterherjagen von Wünschen, unerfüllten Träumereien über Reisen und Aufenthalte in fernen Ländern sowie dem Kampf gegen eine ständige bevormundende Einflussnahme durch die Eltern, die Bauern im Ausbildungsbetrieb und den Leistungsdruck durch die  Berufssschule bestand.

Ob " Freedom " mit " Mr. Pleasant " zusammenblieb und gar heroinsüchtig kann ich nicht sagen; wohl aber, dass erzählt wurde, sie habe die Lehre abgebrochen. Diese beendete ich dann knapp 1 1/2 Jahre später nach zwei bestandenen Prüfungen.


GRAND FUNK RAILROAD  -  Mean Mistreater/ Heartbreaker  -  Live  -  1971:

   







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