Villa Rosi


 

Als die 1950er, " Goldenen Jahre ", die Wirtschaftswunderjahre sich dem Ende neigten, waren wir Kinder inzwischen zu dritt, die Familie zählte damit 5 Personen, dazu kamen die beiden Großeltern mütterlicherseits sowie zwei " Ausgebombte ", ein heimat - und obdachlosen Ehepaar, dass die Eltern zwangseinquartieren musste. Damit lebten 6 Erwachsene und 3 Kinder auf knapp 100 m² in einem Zweifamilienhaus mit Schuppen und Kaninchenställen im Haus.

Die WiWu - Jahre waren deshalb nicht unbedingt so wundervoll, wie sie von der Regierungspropaganda im fernen Bonn gerne dargestellt werden sollten. Immerhin mussten wir auf dem Lande keinen Hunger schieben, noch uns Sorgen um die Preisentwicklung bei vielen Lebensmitteln machen. Hier war seit dem Kriegsende 1945 und der Gründung der BRD die Eigenversorgung angesagt. Es wurden Schweine, Hühner, Kaninchen, manchmal auch Gänse, Ziegen oder sogar Kühe gehalten. Daneben pachteten nicht wenige Familien von den örtlichen Bauer Land, das dann im Nebenerwerb bewirtschaftete wurde. Auf den Felder wurde neben Roggen, Gerste, Weizen, eher selten: Hafer, eine Reihe von Feldfrüchten, wie Kartoffeln, Runkeln, einige Kohlarten, angepflanzt.

So oder so ähnlich hielten sich unzählige Nachkriegsdeutsche - aber nicht nur die - irgendwie über Wasser. Da Fleischgerichte eher die Ausnahme waren, Gehörte die Hausschlachtung eines der beiden in einem Stall im Haus, später dann im Stall am Schuppen, gemästeten Schweines zu den Höhepunkten des Jahres. Das zweite Schwein wurde an einen Schlachter verkauft. Mit dem Erlös kauften die Eltern Saatgut und Schrot für die beiden neuen Ferkel bei der Mühle in Ahnsen.

Zu Beginn der 1960er Jahre entfernte unser Vater den Kaninchenstall im Haus und baute aus dem Holz einen neuen Stall, der neben dem Schuppen stand. Hier lebte eine Zippe mit fast weißen Fell, die wir später Rosi nannten. Rosi war ein Deutscher Riese, eine Kaninchenrasse, die der Größe eines Feldhasen entsprach. Wir pflegten und fütterten unsere Rosi mit Liebe. Eines Tages lagen fünf Junge in  dem aus Holz und einer mit Maschendrahttür versehenen Stall.

Die Jungen wollten unsere Eltern möglichst schnell wieder los werden. Doch auf unser unermüdliches Bitten, behielten wir zwei Junge. Es waren beides Rammler. Und die dunkelgrauen Kaninchen wurden langsam größer, somit bald geschlechtsreif. Sie wurden in einem zweiten, durch ein mehrere Zentimeter dickes Holzbrett abgetrennten Teil des Stalles eingesperrt.

Eines Tages bemerkte unser Vater, dass die beiden Rammler sich durch das dicke Brett gefressen hatten und so in den anderen Teil des Stalles gelangen konnten. Hiernach mussten sie wohl Rosi gedeckt haben. Unsere Mutter fluchte und meckerte. Sie wollte keine Tiere mehr. Nachdem der Hühnerstall abgerissen wurde und die Tiere verkauft worden waren, hatte sie mit Tieren auf dem Grundstück nichts mehr am Hut.

Irgendwann waren die beiden Rammler aus dem Stall verschwunden. Unsere Eltern hatten sie verkauft. Rosi aber blieb. Wir kümmerten uns weiterhin um die Zippe. Sie bekam sogar ein mit weißer Farbe aufgetragenes " Villa Rosi " an ihren Stall gemalt. Das blieb auch in den folgenden Jahren so. 
Doch. Nicht nur wir wurden älter; auch unser Kaninchen Rosi.

Eines Tages lag Rosi tot im Stall.    
   
Wir heulten um die Wette, begruben das Tier am Rande des Gartens und setzten sogar ein selbst gebasteltes Holzkreuz an die Stelle. Die " Villa Rosi " war nun unbewohnt. Der Kaninchenstall blei noch eine kurze Zeit am Schuppen stehen, ehe auch er ausgedient hatte. Die Zeiten waren jetzt andere. Nutztier wurden kaum noch gehalten, weil es vielen BRDlern finanziell  langsam besser ging.

Die Holzlatte mit dem weißen Schriftzug " Villa Rosi " fand ich viele Jahre später bei einem Besuch auf dem Dachboden des Schuppens wieder. Auch das Holz des einstigen Kaninchenstalls wurde eigentlich nicht mehr gebraucht, weil die Eltern längst eine Ölheizung einbauen ließen.  


POSEIDON  -  Cold Farmer  -  Found My Way  -  1975:





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