Peter V. aus Bückeburg



Wenn sich das eigene Leben langsam, kontinuierlich und auch unaufhaltsam in Richtung des letzten Atemzugs zubewegt, könnte es sein, dass der ältere Mensch dann und wann in seinen Erinnerungen herum kramt. Dass er hieraus so einige Erlebnisse, Begebenheiten und Begegnungen, insbesondere mit anderen Erdenbürgern, vielleicht Revue passieren lässt.

Vor einigen Tagen fiel mir bei der Gartenarbeit, bei der ich den einstigen Bundeswehrspaten, oliv, mit dem sich vormals der gemeine Schütze Arsch, der Panzergrenadier ( Slogan aus jener Zeit: " Er ist kein Mensch, er ist kein Tier; er ist Panzergrenadier " ) sich im Gefechtsfeld, im V - Fall ( die Doktrin der Bundeswehr war ja nun mal eher auf Defensive ausgerichtet ) sein eigenes Grab schaufeln sollte, in meinen Händen hielt, der Name eines ehemaligen bekannten ein. Peter V. aus Bückeburg.

Peter V. wohnte ab den frühen 1970er Jahren mit seiner geschiedenen Mutter in einer Mietwohnung in Bückeburg. Ich lernte Peter über den CVJM, genauer gesagt, später auf einer Fete kennen. Zunächst blieb es eine eher lose Bekanntschaft, die sich auf die Treffs im Jugendheim beschränkte.
Peter spielte Gitarre. Nicht sehr gut, aber für einige Griffe reichte es schon. Er hatte sich das Spielen selbst beigebracht. Neben den zu jener zeit üblichen " Schrammelliedchen ", wie " Banks of Ohio ", " My Bonny is over the ocean ", waren auch jene Lagerfeuer - und Wanderlieder aus der " Mundorgel " in seinem Fundus.

Nun, ja, es reichte alle Male, um sich ein paar Minuten außerhalb der Beschallung durch die all gegenwärtigen Radios und meiner zusammen geklaubten Stereo - Anlage im so genannten " Beat - Keller " des elterlichen Hauses zu genehmigen. Dann saßen wir zusammen und sangen - mehr falsch, denn den O - Ton treffend - irgendwo am Waldrand des Harrls, im Garten oder auf einer Parkbank.

Im November 1971 musste Peter V. zur Musterung in das Kreiswehrersatzamt nach Nienburg an der Weser. Da er knapp ein halbes Jahr älter war als ich, wurde er vor mir heran gezogen. Er verweigerte den Kriegsdienst. Seine Argumentation dazu war skurril. Peter behauptete, er könne nicht auf Menschen schießen, weil er durch einen etwas längeren Aufenthalt in einem Kibbuz in der Nähe von Haifa, einer Hafenstadt an der israelischen Küste, eine streng humanistische Lebenseinstellung erhalten habe, die darin mündet, nur an das Gute im Menschen zu glauben, weshalb er jedwede Form von Gewalt ablehne. Militärdienst sei jedoch das Anerziehen zur Ausübung von Waffengewalt.

Das stimmte zwar und der Prüfungsausschuss nahm ihm diesen erhobenen Einwand vorbehaltlos ab, doch die weiteren Teile in seiner Begründung waren eher dürftig; wenn nicht sogar reiner Mumpitz. Wer, wenn nicht gerade das von feindlichen Nachbarn umzingelte Israel, hat das Recht auf Selbstverteidigung schon damals für sich deklariert? Und just dieses wurde Peter V. in dem Ablehnungsbescheid um die Ohren gehauen.

Auch das Kibbuz erhielt bereits zu jener Zeit bewaffnete Soldaten und Sicherheitspersonal, um sich vor befürchteten Anschlägen schützen zu können. Wer - so ein Teil der Begründung in dem ablehnenden Bescheid - jedoch eine Waffe trägt, wird diese im Notfall wohl auch einsetzen.

Peter zeigte mir später den Bescheid aus Nienburg. Ich verstand damals zwar nur Bahnhof, empörte mich aber darüber. Er solle doch einfach selbst Widerspruch einlegen, empfahl ich ihm. Für die Beauftragung eines Rechtsanwalts hatte er natürlich kein Geld. Seine Mutter war eher arm. Sie arbeitete zeitweise als Aushilfe in einem Einzelhandelsfachgeschäft in Bückeburg. Damit konnte sie sich gerade so über Wasser halten.

Im Januar 1972 erhielt Peter V. einen Einberufungsbescheid zur Bundeswehr. Er sollte. so wie ich, seinen Dienst in Munster - Lager an der Oertze im Landkreis Soltau antreten. Am 1. April war es soweit. Ich hatte - weil ich mich wegen der wesentlich besseren Bezahlung als Freiwilliger auf 2 Jahre verpflichtete hatte - ebenfalls am 1. April 1972 dort die Grundausbildung in der Kompanie 408 beginnen.

Die Zeit verging, ich hatte Glück, denn über einen Kurgast, dessen Frau in der " steuerlich neutral " betriebenen Privatpension meiner Eltern wohnte, wurde ich in die Stammkompanie II / III in der Panzertruppenschule versetzt. Und dieses vorzeitig. Beziehungen waren schon immer wichtig.

Peter indes musste die weiteren Wochen bis zum Ende der so genannten Grundausbildung abreißen. Das bedeutete, er wurde auch an den " schwereren " Waffen, wie das MG, die Gewehrgranate oder schlussendlich die Panzerfaust eingewiesen. Zum Schluss stand für ihn noch ein mehrtägiges Biwak an. Ich besuchte Peter einige Male in der einst gemeinsamen Einheit. Nach drei Monaten wurde er zu einer anderen Einheit, die in der " Boeselager - Kaserne " in Munster untergebracht war, versetzt.

Sein Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid fand beim Kreiswehrersatzamt kein Gehör, die dortige Widerspruchsstelle, an die das Rechtsmittel weiter geleitet worden war, bügelte diesen einige Monate später ab.
 Das war´s dann mit dem KDV - Antrag. Peter musste zunächst die 18 Monate Wehrpflicht absitzen, die dann im Herbst 1972 durch eine Gesetzesänderung zum 1. Januar 1973 auf 15 Monate verkürt wurde. Er riss seine Zeit, die er ohne Beförderung durchlief, bis zum 21. Juni 1973 ab.

In diesem Zeitraum entstand eine engere Freundschaft zwischen uns. Wir besuchten uns nicht nur wechselseitig in den Kasernen, sondern verbrachten auch während unserer dienstfreien Wochenenden viel Zeit miteinander.

Peter V. verknallte sich einige Monate nach seiner Entlassung vom Bund in eine ehemalige Mitschülerin meiner Schwester. Noch bevor ich im Dezember 1973 selbst beim Barras die Uniform an die Kleiderkammer zurück geben durfte, zog er aus Bückeburg weg und nahm sich zusammen mit ihr eine Wohnung an der damals noch nicht so stark frequentierten Bundesstraße 83 in Luhden.

Dort wohnte er bis Ende 1970er Jahre.

Ich habe Peter V. aus Bückeburg bereits in einem anderen Post etwas genauer beschrieben.


 https://lobster53.blogspot.com/2014/08/tod-im-kibbuz.html


Beim Buddeln mit dem oliv - grünen Bundeswehr - Klappspaten fiel mir wieder ein, dass er das durchaus handliche Werkzeug aus Munster mitgenommen hatte. Er gab vor seiner Entlassung einfach eine schriftliche Verlustmeldung ab, zahlte dann 5 DM als Entschädigung an Papa Staat und behielt das Ding sowie auch den sehr robusten Schlafsack, den er unter anderem als Souvenir aus der Bundeswehrzeit mitnahm.

Der Klappspaten aus jenen Bundeswehrtagen existiert immer noch. Ich habe mit ihm eine Vielzahl von Pflanzen, darunter auch den etwas teuern schwarzen Bambus eingebuddelt. Was aus dem oliv - grünen Schlafsack und aus Peter V. aus Bückeburg geworden ist, kann ich indes nicht sagen.
Seit unserer letzten Begegnung sind 40 Jahre vergangen. Eine verdammt lange Zeit. Irgendwann konnte ich in Erfahrung bringen, dass sich Peter von seiner damaligen Lebensgefährtin getrennt hatte. Vielleicht hat er seinen immer wieder geäußerten Wunsch, nach Israel auszureisen, in die Tat umgesetzt?

Peter V. aus Bückeburg, ein Name, wie deren viele, die mich in meinem Leben ein kleines Stück meines Weges begleiten konnten, ehe unsere Richtungen sich voneinander entfernten und nur noch die Erinnerungen aus vergangenen Zeiten blieben.


" Djem Karet " -  " Old Soldier´s Desease " -  " The Devouring "  - 1997:




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