Die Pferdehaftpflichtversicherung, die Mithaftungsquote und der Streit um horrende Tierarztrechnungen.
Heute las ich - eher zufällig - im ARD - Teletext, dass das Oberlandesgericht ( OLG ) Frankfurt am Main in einem Berufungsverfahren entschieden hat, dass eine Tierhalterhaftpflichtversicherung sich nicht grundsätzlich auf einen Haftungsausschluss berufen kann, wenn dem Versicherungsnehmer ein grob fahrlässiges Verhalten nicht nachzuweisen ist. Der diesem Urteil zugrunde liegende Fall kann u.a. hier nachgelesen werden:
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.07.2020 - 7 U 47/19
Mit solchen oder ähnlichen Streitigkeiten hatte ich einst auch während meiner anwaltlichen Tätigkeit in Bremen zutun. Nicht immer verließen die Mandanten dabei die Arena als Sieger. Oft ging es dabei auch nicht unbedingt nur um einen Schadensfall, um eine streitige Auseinandersetzung zwischen zwei Tierhaltern, sondern vielmehr um tief gründiger sitzende Ursachen, die ihren Ursprung in dem menschlichen Wesen selbst haben.
Einst, so ab den frühen 1990er Jahren, hielt ich mich häufiger auf einem Privatreiterhof in der Nähe von Bremen auf. Hierdurch lernte ich auf Mitmenschen kennen, deren Lebensumfeld nicht das widerspiegelte, was das sehr kostspielige Hobby einem Außenstehenden vielleicht vermitteln könnte. Es waren überwiegend eher einfach Strukturierte, die mir dort auf dem Hof der Familie B. begegneten. Sie alle stellten einen Querschnitt der Bevölkerung dar. So einfach deren Denk - und Handlungsweisen auch waren, so geschickt verstanden sie es, nach außen mehr darzustellen als sie in Wirklichkeit waren.
Hier tummelten sich keine Wohlhabenden, hier traf sich nicht die geistige Elite aus der nahe gelegenen Hansestadt und dort gab es auch keine tief greifenden Gespräche über die Welt außerhalb des Pferdehofes. Ab und zu kam ein Einsteller auf mich zu und bat um einen Rechtsrat.
So auch irgendwann im Sommer Mitte der 1990er Jahre. Es ging um einen Vorfall, der sich einige Wochen zuvor auf einer der Weiden vor den Stallungen bei B. zugetragen hatte. Ein dort in einer Gruppe von Pferden grasender Wallach soll eine ebenfalls in der Pferdegruppe stehende Stute an dem rechten Fesselgelenk verletzt haben. Angeblich sei dieses im Verlaufe einer Auseinandersetzung vor der Wassertränke geschehen.
Ein alltägliches Geschehen, ein nicht außergewöhnlicher Vorfall, eine beinahe kaum erwähnenswerte Bagatelle. So dachte auch der spätere Mandant. Doch aus der Mücke wurde sinnbildlich ein Elefant.
Nachdem die Halterin der Stute die Verletzung am Abend nach dem Vorfall erkannte, reif sie sofort den tierärztlichen Notdienst an. Der Bereitschaft schieben Dr. vet. erschien auch prompt und diagnostizierte eine tiefe Fleischwunde sowie eine Schwellung an dem Pferdebein. Er verschrieb diverse Salben, legte dazu einen Verband an und verordnete dem Tier für mehrere Wochen Stallruhe. Ängstlich versuchte die Halterin, eine geschiedene Angestellte aus einem Dorf bei Bremen, die Vorgaben des Tierarztes nahezu minutiös umzusetzen. Sie betrieb dafür einen riesigen Aufwand. Sie erschien mehrmals am Tag auf dem Hof, um ihr Pferd dort zu versorgen. Die sichtbare Schwellung ließ nicht nach. Der Tierarzt ließ die Stute in einer Pferdeklinik röntgen. Dort wurde kein Befund festgestellt. Also: Kein Bruch des Beines.
Nach Wochen und intensiver Pflege durch die Halterin durfte das Tier wieder auf die Weide. Die Halterin war überglücklich. Bis die erste Tierarztrechnung kam. Der Veterinär verlangte satte 1.700 DM für seine " Leistungen ". Die Dame fiel aus allen Wolken.
Nun versuchte sie, das nicht vorhandene Geld von anderer Seite irgendwie herein zu bekommen. Und? Tatsächlich, es fanden sich zunächst zwei, dann gleich mehrere Zeugen, die gesehen haben wollten, dass der Wallach des Mandanten die Stute der Dame getreten haben soll. Tja, wer´s glaubt?
Den vierbeinigen Übeltäter hätten die beiden Zeugen angeblich dabei beobachtet, wie dieser auskeilt habe. Dazu sei ihnen aufgefallen, dass das Pferd des Mandanten dunkelblaue Bandagen an beiden Vorderbeine getragen habe. Deshalb hätte beide Zeugen das Tier genau erkannt, obwohl sich mindestens ein halbes Dutzend Pferde in der vor der Wassertränke stehenden Gruppe befanden.
Der Mandant meldete die Forderung seiner abgeschlossenen Pferdehaftpflichtversicherung und ließ sich einen so genannten Schadenbogen zuschicken, den er dann ausgefüllt zurück sandte. Die Versicherung prüfte die Angaben der so genannten Anspruchstellerin mit denen des Versicherungsnehmers und sagte der Halterin der verletzten Stute zu, nach Abschluss der Überprüfung, die Frage zu einer verlangten Übernahme der Tierarztrechnung entscheiden.
Das dauerte. Die Halterin der verletzten Stute kam unter Druck, denn der Veterinärer wollte sein Geld. So suchte sie ebenfalls einen Kollegen in ihrer Nähe auf und der schrieb nun den Mandanten an. Nach einem schriftlichen Geplänkel erhob der promovierte Kollege Klage beim Amtsgericht Bremen, weil der Mandant dort wohnte.
Die Wochen und Monate vergingen. Ich hatte mich mittlerweile zu der Klageschrift geäußert und beantragt, die Forderung abzuweisen. Dann kam der Termin zur mündlichen Verhandlung und mit dieser ein Beweisbeschluss, wonach gut ein halbes Dutzend Zeugen geladen wurden.
Der Richter, ein von dem gegenüberliegenden Landgericht abgestellter Kollege, so um die Mitte Vierzig, war uns als Beklagtenseite bereits einige Minuten nach Verhandlungsbeginn überhaupt nicht wohl gesonnen. Er hatte den Rechtsstreit durch einen ihm zugeteilten Referendar prüfen lassen, der wiederum die - wenn auch zu diesem Zeitpunkt völlig irrige - Auffassung vertrat, dass der Klage in vollem Umfang zu entsprechen sei.
Die Beweisaufnahme durch Einvernahme der vielen Zeugen geriet zu einem Schaulaufen der unbegründeten, selbstdarstellerischen Eitelkeiten der geladenen Pferdenärrinnen und ihrer männlichen Pendanten ( die allerdings, wie immer, in der Minderheit waren ).
Wenn eine Schlangengrube eine Gefahr für Leib und Leben darstellt, so sind es ein Haufen Gift und Galle speiende Pferdebesitzerinnen alle Male.
Nun, der Klage wurde entsprochen. Ich wartete die Urteilszustellung ab und beriet mich telefonisch mit dem Sachbearbeiter der Haftpflichtversicherung in Hannover. Der sah es genauso wie ich: Das Urteil ist falsch. Ich legte Berufung ein.
Ein halbes Jahr später sahen wir uns in wesentlich kleinerer Besetzung, nämlich nur als die beteiligten Volljuristen, vor der Zivilkammer des Landgerichts wieder.
Diese Verhandlung verlief dann genauso, wie ich es mir zuvor dachte. Der Klage wurde nur zu 50% entsprochen. Der Vorsitzende Richter bügelte den eilfertig auftretenden promovierten Herrn Kollegen - sinngemäß - mit den Worten ab:
" Herr Dr. G., wir haben solche Fälle, wie diesen hier, schon Hundert Mal vorliegen gehabt und kommen immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Bei diesem ist es genauso, wie mit einer läufigen Hündin, die gedeckt wurde, obwohl der Halter das nicht wollte. Wenn Tiere aufeinander treffen, passieren solche Sachen eben, es sei denn, der Halter vermeidet es. Die Klägerin hätte ihr Pferd nicht auf die Weide stellen dürfen.! "
Das Landgericht machte sich nicht die Mühe, den gesamten, Seiten langen Sermon, zu der durch geführten Beweisaufnahme erneut zu bewerten, sondern verwies einfach nur auf die Aussagen, wonach der Wallach des Mandanten sich in der Nähe der verletzten Stute aufgehalten habe und dabei nach hinten auskeilte.
Damit war aber auch klar, dass die Halterin des verletzten Pferdes auf der Hälfte der Tierarztkosten, die sich durch ein weitere Rechnung um 500 DM noch erhöhten, den Rechtsanwaltsgebühren auf einen vom Klägeranwalt auf fast 4.000 DM hoch gejubelt und den hälftigen Gerichtskosten sitzen blieb.
Ob sie vielleicht eine Rechtsschutzversicherung besaß, war mir nicht bekannt. Zumindest verließ se nach dem Ende der Streitsache den Hof B. in Stuhr und stellte ihr Pferd in der Nähe ein. Sie wollte wohl den für sie eventuell als Schmach, als Niederlage bewerteten Ausgang des Berufungsverfahrens gegenüber den anderen Pferde - Frauen nicht eingestehen.
Ich rechnete alsdann die aus den beiden Verfahren entstandenen Gebühren gegenüber der Haftpflichtversicherung in Hannover ab. Na, ja, dank des über motivierten promovierten Kollegen aus dem Bremer Umland, der nicht nur die beiden - völlig übersetzten Tierarztrechnungn eingeklagt hatte, sondern zudem einen so genannten Feststellungsantrag in seiner Klage aufführte, hatte es sich bei einem Streitwert von über 4.000 DM ein wenig gelohnt.
Die Versicherung bezahlte. Ich legte die Handakte in den Stahlaktenschrank ab. Das war´s?
Nein, nicht ganz, denn viele Monate später, der Rechtsstreit war längst kein Thema auf dem Reiterhof B. in Stuhr mehr, traf ich während einer Straßenbahnfahrt zufällig eine Einstellerin des Hofs. Während der Unterhaltung fragte diese mich nach dem Ausgang des einstigen Rechtsstreits. Inzwischen waren die beiden Zeugen, die den angeblichen Vorfall an der Pferdetränke beobachtet haben wollten, wegen Unstimmigkeit mit anderen Einstellern dort wieder weggegangen. Ich schilderte ihr kurz den Verlauf des Verfahrens und hörte dann von ihr, wie sich das Ganze in Wahrheit zugetragen hatte.
Ich staunte nicht schlecht, als ich das hörte. Die beiden Gäule der zwei zuvor eher als über motiviert auftretenden Zeugen standen einst auch an der Tränke. Und just der Wallach, ein stattlicher Zosse von einer Widerristhöhe von immerhin fast 1, 70 Meter, hatte nach der grazilen Stute der ehemaligen Einstellerin kräftig ausgekeilt und diese dabei getroffen. Der Gaul war als falscher Fuffziger überall in der Gegend bekannt und von anderen Pferdehofbetreibern zum Teufel gejagt worden, weil er sich überall als unangenehmes Pferd aufgeführt hatte, dass austrat und biss. Der Kaltblüter, ein großes " Shire Horse " war natürlich allein von der Statur her, den anderen Zossen überlegen.
Doch: Auch ein Pferd hat von der Natur her keinen schlechten Charakter. Es kann zwar Eigenarten entwickeln, wie das störende " Koppen ", das unbeliebte " Weben " oder das häufiger vorkommende " Flehmen ", doch ein Klopper und Beißer wird erst ein solcher durch den miesen Charakter des Halters. Und dann wurde mir während des Gesprächs auch klar, warum die beiden Zeugen wahrheitswidrig behauptete hatten, dass der Wallach des vormaligen Mandanten die Stute verletzt habe. Dieser besaß eine Pferdehaftpflichtversicherung, der Knilch für sein " Shire Horse " allerdings nicht.
So wurde dann die Sache zwar erst nach dem Verfahren geklärt, doch an der Gerichtsentscheidung hätte es eh nichts geändert, denn die Dame mit den horrenden Tierarztrechnungen wäre eh auf der Hälfte ihrer Forderung sitzen geblieben und schlechtestenfalls sogar auf ihren gesamten Kosten, denn der " Shire Horse " - Halter war ein Schaumschläger, ein Aufschneider, ein Lügenbold, der nur Schulden gemacht hatte, die er auch auf den Pferdehöfen nie zurück zahlen konnte.
GIFT - Psalm - Blue Apple - 1974:
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