Aus der Traum?
Das skandinavische Land Norwegen zeichnet sich primär durch spektakuläre Landschaften aus. Das lockt jedes Jahr viele Touristen an, spült ordentlich Geld in die Kassen und hebt das internationale Renommiere des Landes hoch im Norden des Kontinents.Norwegen war noch vor einem halben Jahrhundert arm. Ein Land, das überwiegend von der Schifffahrt, dem Erzbergbau, der Fischerei und der Landwirtschaft lebte.
Das Bruttoinlandsprodukt lag weit unterhalb des europäischen Durchschnitts. Dann fanden die Norweger Öl - und Gasvorkommen innerhalb ihrer Hoheitsgebiete und wurden wohlhabende Europäer.
Doch dadurch lassen sich nicht sämtliche bestehenden Probleme lösen. Zu den gravierenden Missständen Norwegens zählt zweifelsohne der Alkoholismus. Ihm begegnet der Besucher überall.
Ausgehend von diesem Voraussetzungen, könnte ein Artikel, den ich in der Frankfurter Rundschau ( FR v. 30.07.2020, S. 18/19 ) dann leichter verständlich werden. In dem Beitrag wird vermeintliche Behördenwillkür kritisiert; vornehmlich geht es um das Zusammenspiel zwischen Polizei, Schule und Jugendamt.
Eine aus Deutschland stammende Familie lebt seit zirka 12 Jahren in der Gemeinde Iveland. Der 1.331 Einwohner zählende Ort ist mit seinen 263, 63 Km² Gesamtfläche eher dünn besiedelt. In Norwegen nichts außergewöhnliches, denn das Land selbst verzeichnet bei einer Längenausdehnung von mehr als 1500 Kilometern, einer Fläche von mehr als 386.000 Km², lediglich knapp 5,7 Millionen Einwohner ( 14 Ew je Km² ).
Iveland gehört verwaltungsmäßig zur Provinz ( fylke ) Agder mit seinem Sitz in Birketvelt.
Zu der Landeshauptstadt Oslo sind es mehr als 4 Stunden Autofahrt und über 330 Kilometer; zu dem Fährhafen Kristiansand lediglich 43 Kilometer.
Die in dem Artikel benannte Familie G. stammte aus Duisburg. Zusammen mit dem damals einjährigen Sohn ließen sie sich in Iveland nieder. Beide Eltern erhielten hier einen Arbeitsplatz ( Industriemechaniker und Krankenschwester ). Später wurden zwei weitere Kinder geboren. Der Familie G. ging es finanziell relativ gut. In diesen Berufszweigen wird in Norwegen erheblich mehr verdient als in Deutschland; wenngleich die Lebenshaltungskosten um durchschnittlich 30 % höher sind.
Es mag einem Sammelsurium von dörflicher Enge, Fremdenablehnung, Sozialneid und eben auch latenter Trunksucht bei den Einheimischen liegen, dass ein Vorwurf gegen den Ehemann Sascha G. den Behörden zugleitet wurde, der da schlichtweg Kindesmisshandlung lautet.
Wegen einer anonymen Anzeige wurden sodann die üblichen Mechanismen in Gang gesetzt. Dazu gehört auch das Einschalten des Jugendamtes. Einer Institution, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Norwegen zunehmend Anlass für eine kritische Berichterstattung über die dortige Arbeitsmethodik gibt.
Jugendämter sind per Definition eine Einrichtung, die in ihrem Handeln das Kindeswohl immer in den Vordergrund stellen sollte. Der Gesetzgeber hat dieses so festgeschrieben; die Bevölkerung auch so gewollt und dabei die Exekutive entsprechend gebrieft.
Beim leisesten verdacht, kann die Behörde bereits tätig werden. Und - nicht nur - in Norwegen reicht hierfür bereits ein anonymer Hinweis aus.
" Bydedyr " so nennen die Norweger eine Abwandlung von dörflicher, provinzieller Gleichmacherei, mit der Außenseiter gegängelt werden, um sich über diese anschließend das Maul zerreißen zu können. " Bydedyr " hat zudem etwas mit Klatsch, Gerüchte verbreiten und Tratscherei zu tun.
In diesem Umfeld hat nun die " FR " - Mitarbeiterin recherchiert. Der gesamte Artikel ins hier eingestellt:
Nun, ja, die dort behauptete Behördenwillkür will ich nicht unbedingt mit unterschreiben.
Dagegen spricht zunächst, dass das Land in der internationalen, auf statistischen Erhebungen basierenden Indizierung den ersten Rang in Bezug auf Demokratieumsetzung einnimmt ( https://de.wikipedia.org/wiki/Norwegen#Verfassung ).
Zudem ist damit auch die Gewaltenteilung funktionsfähig, was dadurch die Kontrolle der drei Demokratiesäulen von Legislative, Exekutive und Judikative bedingt.
Den Behörden insgesamt und den Jugendämter speziell, eine " Narrenfreiheit " zu attestieren ist meiner Überzeugung nach sehr weit hergeholt und per se eher ein zu pauschal abgebendes Urteil, das in dem Beitrag nicht einmal ansatzweise durch Fakten ( ähnlich gelagerte Fälle ) untermauert wird. Die Verfasserin mag den Jugendämter vielleicht eine - auch bei uns nicht - immer von der Hand zu weisende Eilfertigkeit zu billigen können, doch auch dabei gilt: Jeder fall ist zu verschieden, als dass hier eine gewisse Regelmäßigkeit von unkontrolliertem, weit überzogenem Behördenhandeln zu erkennen wäre.
Mutmaßlich ist die Familie G. denn eher Opfer eines, aus den oben beschriebenen Lebensumständen hervor gegangenes Produkt aus menschlichen Unzulänglichkeiten geworden. Der vorgenommene Wegzug in einen größeren Ort dürfte wohl die beste Lösung für die Familie sein. Denn auch in dem " Traumland " von Sascha G. leben Menschen und die sind zumeist nicht so anzusehen, wie die wunderbare, die einzigartige Natur in Norwegen.
Aus der Traum?
Hoffentlich nicht. Das Land hoch im Norden braucht auch weiterhin qualifizierte Arbeitskräfte und Menschen, die den hohen Wohlstand sicherstellen können.
TITANIC - Sing Fool Sing - 1971:
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