Der " Babysitter -Boogie " aus der Nordmende Musiktruhe


Als die Wirtschaftswunderjahre Westdeutschlands, die sich vornehmlich in den 1950ern ereigneten, so langsam vorüber zogen und die erste große Ernüchterung in Form der - eher unbedeutenden - Agrar - und Montan - Krise eintraten, hatte es auch der eher einfachere BRDler zu einem gewissen Wohlstand gebracht. 15 Jahre nach Kriegsende deuteten zwar viele Ruinen, die Millionen so genannten Vertreibenen aus den einstigen Ostgebieten und eine piefig - miefig, klerikale Gesellschaft mit ihren Steinzeit - Pädagogik - Anhängern noch auf das Vergangene aus dem " Tausendjährigen Reich " hin, doch der gemeine Westdeutsche entwickelte, dank seiner durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung geförderten Schaffenskraft eine auf " Raffe - Schaffe - Häusle baue " extreme Eigendynamik, mit der er sich und der übrigen - exakt in Freund - Feind - Kategorien unterteilten - Welt zeigen durfte, was er - trotz des verloren II. WKs - wahrhaftig " drauf hat ". Er musste es auch, denn der böse kommunistische Nachbar in der DDR ließ nichts unversucht, das eigene System über den Grünen Klee zu loben und den Kapitalismus nach US - amerikanischer Machart zu verteufeln.

Zu den Wohlstands - Reliquien vergangener Dekaden - insbesondere der 1950er bis Mitte der 1960er - zählte die Wohnungseinrichtung. Und innerhalb dieser, die Kategorie Ton - oder auch Musikmöbel. 

Es waren Gegenstände, die nach dem Prinzip, alles unter einem Dach, konstruiert wurden. Neben dem längst üblichen Radio, dass sich inzwischen in beinahe jedem Haushalt wieder fand, bauten die Anbieter einen ( wenig später sogar zwei ) Lautsprecher in das kastenförmige Möbel hinein. Zudem zählte auch ein Plattenwechsler dazu. Die Krönung dieses Einrichtungsmonstrums war sodann ein zusätzlich eingebauter Schwarz - Weiß - Fernseher.

Als Anbieter dieser Luxus - Wohnkultur im Stil der 50er bis 60er Jahre taten sich die Firma " Kuba - Imperial " und auch " Nordmende ", " Graetz " sowie " Telefunken " " SABA " hervor.
Aber auch " Loewe - Opta - ", " Braun ", " Dual ", " ELAC " wie auch " Philips "  sowie " ILSE - Tonmöbel " fanden sich unter den Herstellern in dieser Art Möbel. 

Dabei lässt sich zwischen zwei Herstellungsvarianten unterscheiden. Die erste stellt auf den Einbau von eigenen Geräten in dafür vorgesehenes Möbel ab; die zweite Bauweise, auf das integrative Konzept verschiedener Fremdhersteller.

Zu der ersten Bauart hatte sich die Firma " Kuba - Imperial " des Unternehmers / Firmengründer Gerhard Kubetschek aus dem niedersächsischen Wolfenbüttel. Kubetschek gründete den Betrieb im Jahr 1948 und verbaute anfangs Geräte von anderen Herstellern. Kubetschek änderte in den 1950er Jahren seine Fertigungsstrategie und ließ in seine Tonmöbel, die sich bereits wenige Jahre nach seiner Betriebseröffnung glänzend verkauften, mit Eigenentwicklungen bestücken. Die Marke " Kuba Imperial " wurde zum Renner auf diesem Gebiet und die Firma expandierte enorm.
Was vornehmlich an der mit 80% verbuchten, sehr hohen Export - Quote lag.

20 Jahre nach der Gründung verkaufte Kubetschek die Firma, die mit 4.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von 220.000.000 DM verbuchen konnte, für " nur " 80 Millionen Deutsche Mark an den US - amerikanischen Mischkonzern " General Electric ". Er zog sich wenig später aus dem Unternehmen zurück.

1968 ließen die amerikanischen Firmeninhaber das Werk in Osterode / Harz schließen; kurz darauf verkauften sie den Restbetrieb an den " AEG " - Konzern. 1972 wurde auch dieser endgültig aufgelöst.

  




In den frühen 60er Jahren kauften sich meine Eltern ein " Kuba - Imperial " - Model bei einem damaligen Möbelhändler mit Namen Göbel in Stadthagen. Der Radio - Phonoschrank fand seinen Platz im Wohnzimmer, wo er linksseitig an der Wand, neben dem Fenster, über mehr als 15 Jahre stand. Es war ein aus hellem Nußbaumholz gefertigter Korpus mit den für damaligen Zeiten üblichen, abgewinkelten Stelzenbeinen, unter denen so genannte Parkettgleiter pappten. Die technischen Gerät befanden sich oberhalb der beiden Lautsprecher, einem Bass sowie einem Hochtöner, der durch eine Stoffbespannung geschützt war. Über den Lautsprechern war linksseitig ein Röhrenradio mit Eklit - Drucktasten sowie zwei drehbaren, gleichfarbigen, wesentlich größeren Knöpfen. Der rechte war für die Lautstärke vorgesehen, der linke diente der Frequenz - und Sendersuche. Das Radio bot drei Wellenlängen an. Neben der Ultrakurzwelle ( UKW ), der Mittelwelle ( MW ), gab es noch eine Langenwellentaste ( LW ).

Das Radio stammte - so meine Erinnerung - von " Nordmende  "( https://de.wikipedia.org/wiki/Nordmende ).

Der rechte Teil des Möbel bestand aus einem aufschiebbaren Bereich, in dem sich der " ELAC " - Plattenwechseler befand ( https://de.wikipedia.org/wiki/Elac ).
Der aus grauem Plastik hergestellte Plattenspieler konnte 10 Single oder maximal 3 LPs hintereinander abspielen. 
Das Gerät besaß außerdem vier Einstellungsmöglichkeiten, die mittels eines mechanischen Hebels ausgewählt wurden. Neben der üblichen Geschwindigkeit von 45 Umdrehungen pro Minute für das Abspielen von Single sowie 33 1/3 Umdrehungen bei LPs, waren 78 Umdrehungen für noch existente Schellackplatten und eine mit 16 2/3 Umdrehungen / Minute, die für so genannte Sprechplatten oder auch Programmplatten gedacht war.

Das ehemalige Tonabnehmersystem war simpel und für heutige Standards eher eine Zumutung, denn der winzige Diamant in der Abtastnadel verschliss relativ schnell, was dazu führte, das die Kunststoff  - Platte zerkratzt und die Rillen ausgefräst wurden, so dass ein störendes Knistern und Knacken die Folge war.
   
Jedenfalls eines dieser - durch eine Unzahl von Fotos dokumentierten - Wunderwerke der Nachkriegstechnik stand im elterlichen Wohnzimmer.


Der Preis für jenes Tonmöbel war hoch. Für einen Arbeiterhaushalt, wie es der elterliche war, beinahe unerschwinglich, denn meine Eltern verdienten in ihren ausgeübten Berufen als Maurer bzw. ungelernte Verkäuferin wenig. Der Durchshchnittsverdienst lag bei zirka 590 DM brutto; bei den Frauen um die 400 DM monatlich. Die mehr als 1100 DM kostende Musiktruhe war also mehr als 2 bzw. 3 Mal teurer als ein Monatsverdienst.

Nun meine Eltern kompensierten dieses mit Schwarzarbeit. Mein Vater ging Samstag bis in die späten Nachmittagsstunden in der Nachbarschaft " kloppen "; die Mutter an den Samstagen ab 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie an den Sonntagen von 12. 00 Uhr bis 18.00 Uhr in einer Gaststätte mit dem Namen " Jägerstuben " in Bad Eilsen am Kurpark als Aushilfskellnerin arbeiten.

Damit konnten sie sich auch das teure Tonmöbel nebst Wohnzimmereinrichtung im Stile der biederen 1950er Jahre leisten. Alles wurde von dem ersparten Geld sofort, unter Abzug von 2 % Skonto, in bar bezahlt.

Über die Jahre hatten sie allerdings kaum oder gar keine Zeit, die klanglichen Genüsse des technischen Wunderwerks zu genießen. Da beide Elternteile kaum zuhause waren, beschlagnahmte ich zunehmend 
die Musiktruhe und spielte dort jene Platten ab, die sich meine Eltern zugelegt bzw. beim Kauf von dem Möbelhändler als Zugabe erhalten hatten.

Hierzu ist bereits ein längerer Post in meinem Blog abrufbar:



Doch neben den wenigen Schellackplatten, besaßen meine Eltern eine Reihe von Single. Ich erinnere mich da an die Schlagertante " Manuela " mit ihrem Lied " Küsse unter´m Regenbogen ", die 1965 erschien:



Dann gab es die Single mit den Gesangsversuchen des einstigen Leichtathleten und Olympiasiegers Martin Lauer, die " Sein bestes Pferd " heißt und 1964 auf " Polydor " erschien:




Dann waren da noch die " Tahiti - Tamoures" mit dem Nonsens - Titel " Wini - Wini, Wana - Wana " aus dem Jahre 1963:




Ferner lagen in dem Musikmöbel Single von Freddy ( Vergangen, vergessen, vorüber ), Sascha Distel ( Der Platz neben mir ), Siw Malmkvist ( Liebeskummer lohnt sich nicht ), " Der Textilsparverein " und der Gassenhauer " Minikini ", erneut " Manuela " mit ihrem Hit " Schuld war nur der Bossa Nova ", Marika Kilius ( eine ehemalige Eislauf - Olympiasiegerin ) mit " Wenn die Cowboys träumen / Zwei Indianer aus Winnipeg " oder auch Peter Kuhn mit seinem Säuferlied " Es gibt kein Bier auf Hawaii ". Alsbald fand sich aber auch Roy Orbinson mit " Oh, Pretty Woman ", wie auch Nini Rosso mit " Il Selenzio " dort wieder.


Doch der Über - Titel war zweifelsohne der " Babysitter - Boogie " mit Ralf Bendix aus dem Jahr 1961:





 


Weil der deutsche Text mit dem Baby - Imitationseinlagen derartig dämlich war, ließen wir die Single bestimmt Dutzend Male auf unseren Feten abnudeln, auf denen ab Mitte der 60er Jahre dann Beatmusik gespielt wurde. Auch diese selbst gekauften Single ließ ich auf dem zunächst nur einzig verhandenen Plattenspieler in dem Möbel - Monstrum abdudeln. 

Na, ja, irgendwie war´s doch schön, in dieser übersichtlichen Zeit der 60er Jahre?


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