Radio Eriwan: " Im Prinzip, ja! "
Gestern Morgen las ich im " SPIEGEL " einen Artikel über die kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien um Teil der Enklave Bergkarabach. Offiziell haben die beiden, an der Fehde beteiligten Staaten, noch keine Kriegserklärungen abgeben, womit die militärischen Aktionen dort nicht als Krieg angesehen werden. Die Auseinandersetzungen um jenes Gebiet, das jedoch nur 11.458 Km ² umfasst und in dem lediglich 146.000 Bewohner registriert sind, traten in der Moderne erstmals nach den Unabhängigkeitserklärungen der beteiligten Staaten auf. Seit dem Ende der einstigen UdSSR 1991, kam es immer wieder zu Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen, obwohl die Bergkarabach Enklave sich seit dem 02. September 1991 für unabhängig erklärte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bergkarabachkonflikt
An dem seit Juli 2020 kriegerischen Auseinandersetzungen sind auf der einen Seite armenische Einheiten sowie Streitkräfte der Republik Aznach, auf der Gegenseite aserbaidschanische Einheiten, die von Truppen mit syrischen, von der Türkei unterstützten Söldnern, ergänzt werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Armenisch-Aserbaidschanische_Zusammenstöße_2020
Nun bekriegen sie sich nach über 100 Jahren erneut. Allerdings mit modernen Waffen als es damals der Fall war. Die Streitkräfte aus Aserbaidschan sind dank des durch die gefundenen und geförderten Ölvorkommen in dem Land bestens ausgerüstet. Das Land hat genug Geld, um sich High Tech - Kriegsspielzeug kaufen zu können. Das ärmere Armenien und der verarmte,hauptsächlich die gleiche Sprache sprechende Staat, der sich Arznach nennt, ist hierbei klar benachteiligt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Aserbaidschan
Wer allerdings die Auffassung vertritt, dass es sich bei den Armeniern um die so genannten Guten handele, der irrt gewaltig. Das Land hat zwar nach seiner Unabhängigkeit 1991 einen erkennbaren Transformationsprozess, hin zu einer parlamentarischen Demokratie westlichen Musters vollzogen, doch die Menschenrechtslage ist auch nach beinahe 3 Dekaden in Armenien als kritisch einzustufen. Das gilt auch für die zwar in der armenischen Verfassung postulierte Religionsfreiheit.
Seit der Unabhängigkeit werden religiöse Minderheiten in Armenien benachteiligt und deren Glaubensausübung behindert. Von der Armenischen Apostolischen Kirche aus, der 90 % aller Staatsbürger angehören und die ihr Alleinstellungsmerkmal über die herrschende Politik exzessiv untermauern lässt, wird damit de facto keine andere Glaubensrichtung zugelassen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Armenien#Religion
Hermit wird deutlich, warum sich gerade der westlich gelegen Nachbar Türkei in den kriegerischen Konflikt um die Bergkarabach - Region aktiv einmischt,denn hier gilt der Islam als Staatsreligion. Ebenso in Syrien, das mittel der von Aserbaidschan angeheuerten Milizen gleichfalls aktiv in die Auseinandersetzung eingreift.
es war in der Mitte eines der frühen 1990er Jahre als ich von einer armenischen Frau, die aus dem Umkreis der Hauptstadt Jerewan ( Eriwan ) stammte, aufgesucht wurde. Sie war mit ihren beiden Kindern aus dem Land geflohen und beabsichtigte einen Asylantrag zu stellen. Dieses gestaltete sich mehr als schwierig.
In diesem, unserem, frisch wieder vereinigten Lande, tobte ein verbrecherischer Rassisten - und Neofaschisten - Mob. In Hoyerwerda, Hünxe, Rostock - Lichtenhagen, Mölln und Solinger kommt es zu Gewaltexzessen und Brandanschlägen, bei denen Menschen getötete werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1089400.rechtsextreme-uebergriffe-seit-eine-auswahl.html
Der selbst ernannten Kanzler der Einheit Kohl lässt durch eine Verfassungsänderung das Asylrecht de facto und de jure beschneiden, Danach gilt die sichere Drittstaatenregelung, wonach ein Asylbewerber einen entsprechenden Antrag in dem Staat stellen muss, dessen Territorium er nach seiner Flucht zu erst betritt bzw. erreicht. Eine Flucht über den Landweg nach Deutschland ist damit nicht mehr möglich. Kohl will wieder Ruhe in das wieder vereinigte Deutschland bringen und den rechtsradikalen Tendenzen entgegentreten. Dafür verhandelt er aber mit seinem Busenfreund - und Wodka - Fan Jelzin,d er jetzt russischer Staatspräsident ist, über eine nahezu bedingungslose Übersiedlung von " Russlanddeutschen ". In den Folgejahren wandern mehrere Hunderttausend aus der einstigen Sowjetunion nach Deutschland über. Auch dieses Projekt, dass Kohl los trat, sorgte für erhebliche Konflikte. Zwar erhielt er aus lauter Dankbarkeit von den " Befreiten " deren Stimmen und blieb als CDU - Vorsitzender dort beliebt, doch die Integration der " Neudeutschen " verlief häufig nicht sehr harmonisch.
Die Gesamtstimmung blieb im wiedervereinten auch deshalb überwiegend ausländerfeindlich.
Das schlug sich auch auf die Asylentscheide durch das einstige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ( einst, kurz: BaFl genannt ) nieder. Ich machte der jungen Mutter aus dem fernen Armenien zunächst wenig Hoffnung auf einen positiven Bescheid. Dass sie bei ihrer obligatorischen Anhörung durch die ehemalige Bremer Außenstelle des in Nürnberg ansässigen Amtes ihre Zugehörigkeit zu der religiösen Gemeinschaft der Jesiden ( auch Yeziden ) angab, kam für mich völlig überraschend. In meinem Mandantengespräch, dass aus einem Kauderwelsch von deutsch und englisch verlief, hatte sie davon nichts erwähnt.
Dann flatterte irgendwann der ablehnende Asylbescheid in mein Büro. Ich informierte die Armenierin schriftlich, diese wohnte zu jener Zeit in einer so genannten Gemeinschaftsunterkunft in der Ludwig - Quidde - Straße; einige Meter von meiner Kanzlei entfernt.
Als die verängstigt wirkende Mutter zu dem erwünschten Gespräch in meinem Büro auftauchte, stellte sich mir die Frage, was ich ihr jetzt raten sollte. Eine Klage gegen den Asylbescheid einzulegen, wäre rechtlich betrachtet, der einzig gangbare Weg. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht würde allerdings Jahre dauern. Die dortigen Kammern waren völlig überlastet. Für die Armenierin bedeutete dieses, dass sie " nur " eine Abschiebeduldung von der Ausländerbehörde erhalten würde. Dieses war vormals der unsicherste Aufenthaltsstatus.
Ich erklärte der kleine, zierlichen Frau, was es mit der Duldung auf sich hätte und riet ihr, sich schnellstens eine Partner - möglichst einen deutschen Mann - zu suchen, sich ihre Geburtsurkunde zu besorgen und dann zum Bremer Standesamt zu gehen. Die Mandantin, die ich vielleicht von einer Größe von aller höchstens 1,55 Metern und einem Körpergewicht, so unterhalb der 50 - Kilo - Grenze in Erinnerung habe, schaute mich in dem billigen " IKEA " - Stuhl sitzend, völlig entgeistert an.
Heiraten? Wie sollte das gehen?
Dann erklärte sie mir im gebrochenen deutsch - englisch, dass ihre Religion dieses nicht erlaube. Ich muss sie wohl völlig verständnislos angesehen haben, weil ich überhaupt keine Ahnung von und über jene Religionsgruppe hatte. Zu jenem Zeitpunkt, also vor fast 3 Dekaden, war das all wissende Internet noch ein Phantom. Es steckte in den Kinderschuhen. Deshalb musste ich mir die Informationen über die jesidische Glaubensgemeinschaft mühsam aus schriftlichen Quellen, also diversen Publikationen hierüber, zusammen klauben. Zudem hatte ich kaum Kenntnisse über ihr Heimatland, dass mir nur als Teilrepublik der UdSSR bekannt war.
Die ruhmreiche Sowjetunion. die von meinen einstigen Kommilitonen und so manchem Hochschullehrer über den Grünen Klee gelobt worden war, sie existierte nicht mehr. Das Gebilde war implodiert und in viele, jetzt autonome Einzelstaaten ( keine Sowjetrepubliken mehr ) zerfetzt. Auch in diesen Gebieten herrschte, nicht nur politisch betrachtet, das Chaos. Woher sollte ich also aus und über Armenien Fakten und Informationen erhalten? Ich telefonierte mit einstigen Studienkollegen, die sich ebenfalls als Rechtsanwalt versuchten und sich mit der ehemals mehr als dümmlichen Rechtsanwaltskammer in Bremen herum schlugen. Dabei erhielt ich einen entscheidenden Hinweis. Ich kontaktierte einen bereits länger im überfüllten Haifischbecken der Bremer Anwaltschaft herum schwimmenden, schon älteren Kollegen, der mir wichtige Hinweise und Tipps zur politischen Lage in dem fernen Land Armenien gab.
Auch über die Religionsminorität der Jesiden wusste er einige Dinge und brüllte am Telefon laut los, als ich ihm von meiner Idee der Heirat erzählte. Die Eheschließung mit Angehörigen anderer Glaubensrichtungen war in der jesidischen Glaubensauslegung verpönt, ja unerwünscht, wenn nicht gar verboten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jesiden
So beschritten die Mandantin und ich einen anderen Weg. Sie ließ sich aus ihrem Ort bei Eriwan einen Brief schicken, indem sinngemäß zu lesen war, dass sie nicht zurückkehren könne, weil die armenischen Polizeibehörden nach ihr fahnden würden. Ihr Mann, der nach der Unabhängigkeit Armeniens als Soldat zwangsverpflichtet worden sei und bei den Kämpfen um die Enklave Bergkarabach gefallen sei, habe für die aserbaidschanische Seite Spionage betrieben. Deshalb sei sie auch als Jesidin verfolgt.
Ob diese Geschichte tatsächlich stimmte, ließ sich nicht zweifelsfrei aufklären. Ich ließ den Brief übersetzen und legte ihn als Beweismittel der Klageschrift bei. Danach hieß es lange Zweit nur Abwarten.
Nun, die zierliche Armenierin kam noch einige Male in mein Büro, um am Monatsanfang ihre Mini - Rate von 50 DM auf meine angefallenen Gebühren zu zahlen. Was sollte ich machen? Sie erhielt nur einige Hundert DM monatlich als Unterhaltsbetrag nach dem einstigen Asylbewerberleistungsgesetz, das die Kohl - Regierung wegen der ausländerfeindlichen Grundstimmung in diesem, unserem, " Bimbes " - Lande, im Schweinsgalopp durch das Parlament und die Gremien gejagt hatte, damit die kursierenden Lügen von den reichen, kriminellen " Asylanten " ( den behaupteten " Wirtschaftsflüchtlingen " ) alsbald ein Ende haben.
Für die Außenpolitik in Form des europäischen Gemeinschaftsgedankens, wie er von Kohl / Genscher propagiert wurde, machten die rassistischen Auswüchse in Deutschland keinen guten Eindruck. Offen ausgelebter und gezeigter Rassismus ist mit dem europäischen Einheitsgedanken, mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht kompatibel. Die gesellschaftliche Realität in jener Zeit, also in den 1990er Jahren, als nicht nur in der weit entfernt liegenden Bergregion Armeniens die Waffen das Sagen hatten und dort unter der Zivilbevölkerung wahllos gemordet wurde, sondern unter anderem auch in dem einstigen Jugoslawien, sah indes völlig anders aus. Ausländern, insbesondere Asylsuchende, hatten in dem Kohl - Deutschland keine Lobby, damit auch keine guten Karten.
Meiner Mandantin aus Armenien jedoch trat das Glück zur Seite. Durch einen Runderlass des bremischen Innensenators wurden die Asylverfahren von und ab 1991 als so genannte Altfälle eingestuft. Da über ihre Klage gegen den Ablehnungsbescheid noch nicht rechtskräftig entschieden worden war, fiel die Armenierin hierunter. Sie erhielt zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis, durfte damit auch eine Arbeit aufnehmen und ihre beiden minderjährigen Kindern konnte eine Schulausbildung abschießen.
Irgendwann in der Mitte der 1990er Jahre hatte sie die letzte Rate auf meine Gebührenrechnung entrichtet. Ich sah sie danach nie wieder. Noch heute bin ich ein wenig erstaunt darüber, dass so ein winziges, zierliches Persönchen zwei Kinder zur Welt bringen konnte. Aber, die Natur hat - im Gegensatz zum Menschen - für viele Probleme eine friedliche Lösung parat.
Ich drückte wieder auf den Knopf des Kaffeeautomaten. Als ich den " SPIEGEL " - Artikel zu Ende gelesen hatte, erinnerte ich mich an eine kürzlich gehörte Radiomeldung, wonach in der Bergkarabach - Region ein Waffenstillstand verkündet worden sei. Doch, der ist sehr fragil und wurde nur bedingt eingehalten. Dabei hatte ich den Gedanken an den Radiosender Eriwan, einen fiktiven Sender in der vormals zur Sowjetunion gehörenden Armenischen Republik, der - in Verballhornung der ausgeübten Propaganda der staatliche Medien - jede Frage seiner Hörer mit der floskelhaften Beantwortung einleitete: " Im Prinzip, ja. "
In Anlehnung daran, stellte ich mir selbst die Frage: " Sind die Deutschen ausländerfeindlich? "
Radio Eriwan würde somit antworten: " ............ "
BLOODROCK - Gotta Find A Way - Bloodrock I - 1970:
Kommentare