Der letzte Storch im Feld

Heute ist Donnerstag und nach unserem Wochenplan ein weiterer Zwei - Seen - Lauf auf der Agenda. Doch daraus wurde nichts. Zumindest in der vorgesehenen Form nicht, denn die Tierärztin kam nicht bzw. hatte ein verspätetes Komme avisiert. Nun, gut, damit kann auch ein eher ruhe - und rastloses Rentner - Ehepaar durchaus leben. Selbst dann noch, wenn diese Bevölkerungsgruppe, deren Zahl jährlich steigt, sich selbst das Attribut verabreicht hat, nie Zeit zu haben. Zeit aber dürfte doch eigentlich gar keine Rolle mehr spielen. Zumal die Jahrzehnte des aktiven Schaffens in der Ausbildung, dem Beruf sowie der Familie längst vorüber sind.

Was also tut ein Rentnerpaar, wenn der Zeitplan über den berühmten Haufen geworfen wird? Nein, es geht nicht an einem Donnerstagnachmittag ab 17.00 Uhr, dann, wenn alle Berufstätigen die gleiche Idee haben, zum Einkaufen in den Supermarkt. Es stellt sich auch nicht - wir eh nicht mehr! - in einer langen Autoschlange bei der " IKEA " - Billig - Tankstelle an, nur weil der Kraftstoff jetzt zwischen 3 bis 8 Eurocent günstiger ist. Oder es geht auch nicht in irgendeinen Klamottenladen, um hier bereits Weihnachtsgeschenke für die Enkel zu besorgen. 

Wir improvisierten einfach. Statt der vorgesehenen 2 Stunden Laufen, reduzierten wir die Strecke auf 1 1/2 Stunden, womit wir nicht nur rechtzeitig, also vor 11.00 Uhr wieder ins Haus zurück kamen, sondern darüber hinaus und Umziehen sowie auch noch Duschen konnten. Flexibilität ist just im Rentner - Alltag durchaus gefragt.

So zogen wir unsere Sportsachen an und los ging es in Richtung Echinger See. Bereits nach einigen Hundert Metern war klar: Es regnet heute nicht mehr, denn am Horizont konnten wir die Silhouetten der Bayrischen Alpen erkennen. Das Vorhaben, die verkürzte Laufstrecke zu absolvieren, um den Zeitrahmen nicht zu überschreiten, sollte damit aufgehen. Der Weg führte uns an den Außenbereichen, den Rändern des Echinger Sees vorbei. Auf diesem lagen jede Menge bunte Blätter, manchmal auch Kastanien, deren stachelige, aber weiche Schalen aufgeplatzt waren. Die dunkelbraune Früchte lagen dann irgendwo beidseitig des Weges im Gras. Es ist längst Herbst geworden und die Luft roch auch danach. Beim Vorbeilaufen nahm meine Nase den leicht modrigen, muffigen, nach langsam Dahinwelkendem Grün riechenden, den spezifischen Duft der dritten Jahreszeit eben, auf.

Nach einer halben Stunde hatten wir den Echinger See umlaufen und bewegten uns parallel vom Friedhof auf einem befestigten Weg in Richtung Mallersthofer Holz. Die Felder waren längst abgeerntet, auf einigen Flächen grünte aber schon wieder die Wintersaat. Es könnte Winterweizen, Raps oder Ölrettich gewesen sein,die das Feld mit einem grünen Teppich belegten. Deshalb fiel er uns auch sofort auf, der Storch, mit seinem eher leicht schmutzig weißem Gefieder. Es war nur eine einziger Vogel, der dort durch das Grün schritt. Er suchte offenbar Nahrung.

Eigentlich haben seine Artgenossen ja schon längst die weite Reise in die wärmeren Gefilde, nach Südeuropa sowie Nord - oder Zentralafrika angetreten. Nachdem die Jungstörche ab Juli flügge geworden sind, sammeln sie sich ab August zu ihren Rückkehr in die Winterquartiere.    

http://www.deutsche-storchenstrasse.de/index.php?id=13

Doch dieser Storch hat wohl seine Zeit, den Abflug verpasst. Vielleicht war es ein Nachzügler, der erst im August oder September flügge wurde. Es kann auch sein, dass er irgendwo aus dem Nest gefallen war und von Menschenhand hoch gepäppelt wurde, ehe er dann in die Freiheit, die Natur, entlassen werden konnte. Er stolzierte über das grüne Feld und senkte dabei ständig seinen Kopf, so dass der spitze Schnabel beinahe der Erdboden berührte. 

Beim Vorbeilaufen drehte ich mich immer wieder um. Der Storch schien sich daran nicht zu stören. Als der Vogel außer Sichtweite geriet, grübelte ich kurz darüber nach, ob es dem Nachzügler wohl gelänge, lebend bis zu seinem Winterquartier zu gelangen. Wenn dieses in Spanien liegt, hätte der überwiegend weiße Vogel es nicht so weit.

https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/artenschutz/weissstorch/03562.html

Bei unserem einsamen Freund handelte es sich um einen Weißstorch, der beim Anflug auf sein Nest den Partner durch deutlich vernehmbares Geklapper mit seinem Schnabel begrüsst. Im landläufigen Vokabular wird er deshalb auch " Klapperstorch " genannt.

In meiner Kindheit wurde regelmäßig das Lügenmärchen aufgetischt, dass der so genannte Klapperstorch nachts die Babys zu den Müttern und in die Familien bringt. In entsprechenden Kinderbüchern war er dann mit einem Neugeborenen, dass er in einem Leinentuch umwickelt, welches über seinen überdimensioniert gezeichneten Schnabel geknotet war, zu sehen. Da die menschliche Fortpflanzung ein aus der Zeit des Nationalsozialismus stammendes Tabu war, wurden wir mit solchem Schwachsinn belegt, nur um unerwünschte Frage nach der Herkunft von Kindern auszuschließen. Inzwischen wissen wir ja, dass Störche weder Babys vorbei bringen, noch sonstige, überragende Fähigkeiten besitzen.

Was sie allerdings von der Natur her mit bekommen haben, ist ein Eigenschaft, ihr Nest auch nach mehr als einem halben Jahr wieder zu finden. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Weißstorch

Dieses wird wohl hoffentlich auch für den vereinsamten Weißstorch von Eching gelten?



HEADSTONE  -  Turn Your Head  -  1975:





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