Radtour am Sonntagmorgen




Der Sonntag war ja mal der Familientag schlechthin. In den 1960ern, als es nicht wenigen Westdeutschen finanziell sowie materiell etwas besser ging, holte der Herr Papa seine Blechkarosse aus der Garage, packte die immer noch nicht arbeitende Ehefrau nebst mindestens zwei bis vier Kinder in den Karren und kutschierte irgendwo hin. Sofern der obligatorische Kirchgang, der anschließende Aufenthalt in der Kneipe oder das Portemonnaie es zeitlich und / oder geldlich zuließen, steuerte die Familie dabei ein Ziel an, dass sich bequem ab dem frühen Nachmittag bis zum verpflichtenden Abendessen erreichen ließ.

Spätestens zum Ende der 60er Dekade war das Freizeitverhalten ein anderes. Die heranwachsenden Genrationen hatten keine Lust auf trautes Familienidyll mit gemeinsamen Tagesausflügen. Sie schlugen die zur Verfügung stehende freie Zeit an den Sonntagen in anderer Weise tot. Zudem nahm die Anzahl der Berufstätigen, die auch an dem siebten Tag der Woche malochen mussten, stetig zu.   

Der Sonntag ist deswegen längst kein freier, kein Familientag mehr.

Als ich am gestrigen Sonntag gegen 9.00 Uhr mein schon betagtes Fahrrad aus der Garage schob, um im Mallershofer Holz nach Sandpilzen Ausschau zu halten, zeigte sich der Wohnort als verschlafen. Kein Autoverkehr, keine lärmenden Baufahrzeuge und keine sonst störenden Zivilisationsgeräusche.

 Einfach nur Totenruhe!   

So radelte ich über die x - fach genutzten Wege in Richtung des Waldgebietes. Jetzt kamen mir Hundehalter und zwei, sich mühsam abplagende Jogger entgegen. 

Man kennt sich. Ich grüßte freundlich mit " Morgääään! " und erhielt einen freundliches " Guten Morgen ! " zurück.

An der ersten, uns bekannten Stelle, die beinahe in jedem Herbst mit Sandpilzen aufwartete, war von den schmackhaften Erdlingen nichts zu sehen. Nur leicht herunter gedrücktes, eine Spur abzeichnendes Gras, sagte mir klar, dass hier andere Sammler ihr Glück versucht hatten.

Am zweiten Ort, einem Wirtschaftsweg am Rande des Waldes, zeigte sich das gleiche Bild. Außer einigen Fußspuren und längst verrotteten Pilzfragmenten fand ich auch dort nichts. Selbst an den noch taufeuchten Rändern des Waldweges herrschte gähnende Leere.

Auch an der letzten angesteuerten Stelle, einer Waldlichtung, zeigte sich das gleiche Bild.  

Leicht frustriert stieg ich auf meinen Drahtesel und fuhr über einen mit Grobkies belegten Weg am Rande des Holzes zurück. Es war kurz nach 10.00 Uhr. In einiger Entfernung erkannte ich eine Gruppe Radfahrer. Es waren E - Biker, die mir entgegen kamen. Vor dem leicht abschüssigen Teilstück wäre einer der Pseudo - Radler beinahe weggerutscht und gestürzt. Seine Begleiterin wählte deshalb die Sicherheitsvariante und steig von ihrem teuren Gefährt ab, dass sie dann durch die zirka 30 Meter messende leichte Senke schob. 

Ich überholte das sich schwer bemühende Jogger - Paar erneut. Er war eher normalgewichtig; sie hatte deutlich mehr Pfunde auf dem Allerwertesten. Beide legten eine Pause ein. Ich nickte beim Vorbeiradeln anerkennend. Aller Anfang ist halt schwer; auch beim Laufen / Joggen.

 Beim Befahren des letzten Feldweges, vorbei an den Ländereien, auf denen noch vor mehr als vier Wochen die " Bras Wiesn " ihre Bühne aufgebaut hatte; vorbei dem Äckern, die dann zum Zeltplatz umfunktioniert wurden, kam mir die Idee, auf dem " Heidefriedhof ", der nur wenige Hundert Meter vor mir entfernt liegt, mal nach dem Grab der erst kürzlich verstorbenen Nachbarin zu suchen.

Ich stellte das Fahrrad vor dem Haupteingang der Friedhofsanlage ab. Beim Betreten hörte ich eine laute Unterhaltung zwischen einigen längst Ergrauten. Man kennt sich halt und wo man sich trifft, wird geredet. Wer allein lebt, weil der Partner nicht mehr auf dieser Welt ist oder nach einer Ehescheidung / Trennung, füllen derartige Gespräche den tristen Alltag durchaus auf.

Nach vielleicht einer Viertelstunde hatte ich das Urnengrab gefunden. Eine sehr schlicht gehaltene Grabstelle. Das mit Abstand kleinste auf dem gesamten Friedhof. Im Verhältnis zu dem Lebensstil der verblichenen Dame und ihres Mannes, eher ein Witz. Der Jetzt - Witwer branste so einige Male herum, wenn es um seinen Sohn ging, von dem er behauptete, dass dieser ja fünf Häuser bauen könne, denn er verdiene ja gut. In dieser Aufschneiderei entsprach er in etwa dem Bild der verstorbenen Frau.








Klar, die Bestattungen sind nicht nur hier sehr teuer. Und selbst für relativ gut situierte eine finanzielle Herausforderung, denn da können im Einzelfall locker untere fünfstellige Summen zusammen kommen.

Doch diese Grabstelle sah eher nach eine Sparvariante aus, die zudem wenig Pflegeaufwand verursacht. Vielleicht war es denn doch nicht das großartige Verhältnis zwischen Frau und Mann? Oder die Grabausstattung hielt sich wegen der finanziellen Situation in sehr engen Grenzen. Wie dem auch sei, ich verabschiedete mich informell von unserer Nachbarin, mit der ich noch einige Jahre davor einige Gespräche geführt hatte.



Danach führte mich der Rückweg an einigen Apfelbäumen vorbei, die wohl auch dank des ständigen Regens in diesem Sommer üppig tragen. Eine Vielzahl der Früchte lag bereits auf der Wiese. Ich sammelte einige Äpfel auf und legte sie in den Fahrradkorb.

Wenigsten etwas, das ich von der mehr als 8 Kilometer langen Fahrt mitbringen konnte - wenn es schon keine erhofften Sandpilze waren.  


ONE WAY TICKET  -  Time Is Right  -  1968:










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