" Wie sind Sie denn jetzt hier durch gekommen? " - Wie eine Autogrammanfrage beinahe zum Politikum wurde.


Heute Morgen konnte ich noch ein paar Seiten des Taschenbuchs der deutschen Schriftstellerin Jana Hensel mit dem wunderbar reißerischen Titel " Zonenkinder " lesen. In dem Kapitel beschreibt sie einen winzigen Ausschnitt zu und über die DDR - Sportpolitik. Diese war ja in der Tat sehr vielschichtig. Um dieses alles aufzuschlüsseln, müsste der Interessierte mehrere Bücher lesen. Frau Hensel skizziert in ihrem Büchlein nur ganz grob, wie der DDR - Sport aufgebaut war. Es sind somit allenfalls Bruchstücke, die zudem mit ihrer eigenen Meinung und Einstellung behaftet, sich in ihrer " Jugend - Biographie " wieder finden.

Dennoch: Hensel´s Erinnerungen an die nur kurze Kindheit und Jugendzeit in dem zweiten deutschen Staat sind schon interessant, wenngleich sie diese und hierbei den  wohl dazu gehörenden Schulsport, doch sehr unkritisch, ja, sogar naiv, bewertet. Dieser war Teil des politischen Propaganda - Mechanismus, mit dem die DDR - Nomenklatura sich selbst und die vermeintlichen Vorzüge des real existierenden Sozialismus in Szene setzen wollte.

Na, gut, lassen wir das!

Mich hat der DDR - Sport allerdings auch nur des Sports willen interessiert. Abseits der durchschaubaren, durch das ständige Herunterbeten irgendwelcher Begriffe und Floskeln eingefärbter " Klassenkampfrhetorik " der an-sich sehr kompetenten DDR - Sportkommentatoren, sah und hörte ich mir bei jeder Gelegenheit auch die Fernsehübertragungen und Rundfunkreportagen der DDR - Sender an.

Als die Dynamos aus Dresden gegen den Arroganz - Verein aus München im Landesmeisterpokal anzutreten hatten, war ich in beiden Begegnungen ein verkappter Dynamo - Fan. Nur, ich durfte es eben nicht so zeigen. Als dann die DDR - Fußballauswahl 1974 in Hamburg gegen die BRD im Vorrundenspiel ihrer Gruppe um den Gruppensieg spielte, hat mich das Tor von Jürgen Sparwasser zwar nicht aus dem Sessel des elterlichen Wohnzimmers, dass zu jenem Zeitpunkt mit meinem gleichnamigen Schulkollegen, meinen Geschwistern und Eltern belegt war, gerissen, aber gefreut hatte ich mich damals darüber schon. Zumal unserer FOS - Mathelehrer, ein aktives CDU - Mitglied, noch im Unterricht tönte, dass die DDR mit ihrem Sozialismus am folgenden Samstagabend ordentlich " Senge " bekommen müssten. So, als Strafe für die falsche Politik und als Demütigung der inakzeptabel Staats - und Wirtschaftsform.

Dass er dann am Montagmorgen gleich kundtat, sein Sohn wolle von nun an nur noch Jürgen Sparwasser sein, brachte  dieses ihm einen kollektiven Brüller der FOS -  Klasse ein
Mathe hin, Sparwasser her, für mich waren die DDR - Sportler nur eins, nämlich Sportler und ganz besonders, Fußballer.

Beinahe 29 Jahre nach der Implosion des Warschauer Pakts, der Auflösung der Sowjetunion und der DDR, sehe ich dieses zwar mit noch kritischeren Augen, aber geblieben sind mir eben trotzdem einige Erinnerungen an jene Jahre, in denen ich mit durchaus intensiv mit dem DDR - Sport befassen konnte. Vor allem interessierten mich die DDR - Fußballvereine. Ob nun Dynamo Dresden, der FC Rot - Weiß Erfurt oder auch der 1. FC Magdeburg, der FC Carl - Zeiss Jena, Wismut Aue und der BFC Dynamo Berlin, ich kannte ab Mitte den 1980er Jahren sogar viele Spieler dieser Klubs, weil ich mir gleich zu Beginn der Fußball - Bundesligasaison das neue "kicker " - Sonderheft für anfangs 5 Deutsche Mark kaufte, in dem auch europäische, somit die DDR - Klubs, aufgeführt waren.

Mein damaliger Kommilitone Lothar G., der drei Etagen über dem Flur, auf dem sich mein eigens Zimmer befand,  hauste, hatte irgendwann zwei ausrangierte Antennen an seine Balkonbrüstung angebracht. Er bohrte dazu den Beton an und schraubte mehrere Halteschellen an einen eigens zu gesägten Metallmasten. Mit dieser Konstruktion gelang es ihm, sämtliche DDR - Radiosender sowie den DDR I - Fernsehkanal, der damals von einem auf dem Brocken um Harz installierten Sendemasten ausstrahlte, empfangen zu können.

So saßen wir am Samstag während der Radioübertragung der Oberligaspiele in seinem Zimmer und beschäftigten uns mit Kartenspielen, aber hörten nebenbei die Sportsendung. Später sahen wir uns die TV - Berichterstattung noch an. Ob nun Sir Heinz - Florian Oertel, der Grandseigneur unter den Sportreporter und Moderatoren, Uwe Grandel, Gottfried Weise, Hubert Knobloch oder Wolfgang Hempel, sie alle waren uns dadurch längst bekannt.

Aber auch viele Vereine aus der Oberliga waren mir ein Begriff. Dass sie dort eher ungewöhnliche Namen trugen, wie " Stahl ", " Vorwärts " oder " Chemie " hatte mich dabei nie gestört. Fußball hat eben nichts mit Namensgebung zu tun. Und Fußball spielen konnten die DDR - Männer alle Male. Vor allen dann, wenn es gegen Vereine aus dem Umfeld des westlichen Klassenfeindes ging. Neben dem beinahe legendären Begegnungen der Dynamos aus Dresden gegen die Bazis, dem längst in der Versenkung verschwunden Klub Bayer 05 Uerdingen, hatte auch mein SV Werder einst in den Europapokal - Begegnungen, DDR - Vereine als Gegner zugelost bekommen. Neben dem Abo - Meister BFC Dynamo Berlin, war es der FC Vorwärts Frankfurt / Oder, der im Weserstadion zu Gast war.

Und mit Frankfurt / Oder verbanden mein einstiger Wohnheim - Mitbewohner Lothar L. den Profi Harald Gramenz. Er entwickelte sich zu einem Synonym für den DDR - Fussball, ach, was sage ich, er repräsentierte diesen und die gesamte DDR gleich mit. " Gramenz " war bei uns Kult. Nicht, weil er nun ein so außergewöhnliche, fußballerische Klasse besaß, nein, Gramenz war die lebende DDR. Die Deutsche Demokratische Republik mitsamt ihren - jedenfalls für Lothar und mich - sichtbaren Zerfallserscheinungen, ihrer ober - piefigen, oktroyierten Biedermichelkultur und den zur Schau gestellten Massenaufmärschen, der Propaganda - Rhetorik, der Umweltzerstörung und der Mauer. Nein, Gramenz stand als Inbegriff des real - existierenden Sozialismus made in GDR.

Als ich im ersten Drittel meiner Juristenausbildung endlich ein wenig mehr Geld zur Verfügung hatte, weil ich in die praktische Ausbildungsphase kam, lies ich mir von meinen monatlichen Bezügen, die zirka 840 DM ausmachten, von der Deutsche Bundespost einen Telefonanschluss legen. Die Chose kostete einmalig 200 DM und jeden Monat etwa 25 DM Grundgebühren. Eigentlich ein sündhaft teures Vergnügen. Doch dadurch war ich für meine Bekannten, die allesamt im Szeneviertel Ostertor / Steintor wohnen oder sich eine Wohnung in der Neustadt genommen hatten, jederzeit erreichbar.

Von diesem, meinem ersten eigenen Telefonanschluss, rief ich eines nachmittags eine Rufnummer des Fußballklubs FC Vorwärts Frankfurt / Oder an, um dort  Autogrammkarten unseres Harald Gramenz erhalten zu können. Die Telefonnummer hatten wir aus dem " kicker " - Sonderheft entnommen. Wie die Sportzeitschrift und / oder seine Redaktion zu dieser gekommen war, lässt sich im Nachhinein nur vage erklären. Vielleicht musste der Klub der " UEFA " diese mitteilen. Es kann auch sein, dass die Anschrift des Vereins dem " kicker " selbst verkauft wurde.

In meiner damals eher grob fahrlässigen Naivität rief ich jedenfalls dort in Frankfurt an der Oder an. Mein ehemaliger Studienkollege, ein ebenso glühender SVW - Anhänger, animierte mich noch dazu. Tja, und trotz der eigentlich vorhandenen Abhör - und Sicherheitsmassnahmen, gelang es uns, den gewählten Anschluss dort zu erreichen. Das Freizeichen war jedenfalls in dem Telefonhörer deutlich vernehmbar. Ich kann mich allerdings nicht mehr so genau an den Wortlaut des anschließenden Dialogs mit einem DDR - Volksarmee - Offiziers erinnern, aber ich weiß noch wie heute, dass dieser aus allen Wolken fiel, als er mit bekam, dass ich aus dem Westen, aus Bremen, anrief.
Er konnte es kaum glauben, dass ich ohne großartiges Drumherum, ohne bereits irgendwo an einem Knotenpunkt, in dem die BRD - Anrufe gefiltert wurden, um sie bereits dort abzuwürgen, so ohne weiteres durch gekommen war.
Der Volksarmee - Offizier an der Vereinsnummer in Frankfurt / Oder hörte sich  mein Anliegen geduldig an. Er musste wohl so perplex gewesen sein, dass ich überhaupt mit ihm telefonieren konnte, dass er auf einem höflichen, aber sehr direkten Weg, mein Anliegen, von dem Fußballspieler Harald Gramenz ein Autogramm zu bekommen, mit dem Hinweis, dass es weder Karten von der Mannschaft, noch Autogramme des Spielers Gramenz gäbe, abbügelte. Dabei fragte er mich nicht nur ein Mal: " Wie sind Sie denn jetzt hier durch gekommen? "

Ich beantwortete ihm diese - durchaus berechtigte und nachvollziehbare - Frage mit dem Verweis auf die im " kicker " - Sonderheft nachlesbare Anschrift des Klubs nebst Telefonnummer. Mein Gesprächspartner konnte und wollte es wohl nicht glauben, dass dieses so einfach vonstatten gegangen war, denn der Fußballklub wurde offiziell als Armeesportklub in der DDR geführt. Und deshalb war auch klar, dass Kontakte mit West - Personen nicht nur nicht erwünscht, sondern wohl auch verboten waren.

Es wurde also nichts mit einer Autogrammkarte des Fußballer Harald Gramenz. Dafür hat der Angerufene am anderen Ende Deutschlands, nämlich in Frankfurt an der Oder, also in der Nähe der DDR - Grenze, mit Sicherheit eine Meldung zu diesem geführten Anruf erstatten müssen.
Mehr als 30 Jahre danach ist es für mich auch eindeutig, dass ein Armee - Sportklub unter den damaligen politischen Verhältnissen niemals Autogrammkarten zu Klassenfeind versenden durfte.

Nun, ja, ich bin eben als Fußballfan eher mit der erforderlichen Unbekümmertheit an dieses Vorhaben heran gegangen. Zum Europapokalspiel gegen den SV Werder Bremen im Weserstadion lief Gramenz  neben Andre´Jarmusczkiewicz auf.

https://de.wikipedia.org/wiki/1._FC_Frankfurt#Europapokalbilanz

Zudem konnte ich noch Lutz Otto sehen.


https://www.transfermarkt.de/fc-vorwarts-frankfurt_sv-werder-bremen/index/spielbericht/964017

https://www.transfermarkt.de/sv-werder-bremen_fc-vorwarts-frankfurt/index/spielbericht/964018


Leider sind alle drei Ehemaligen des Sportklubs inzwischen verstorben.

https://www.moz.de/heimat/artikel-ansicht/dg/0/1/1427115/


Die Erinnerung indes bleibt.
" Wie sind Sie denn jetzt hier durch gekommen? " - tja, dat hätte ich heute immer noch gerne gewusst.

In diesem Sinne: Gut´s Nächtle mit

Sydney Youngblood - " If Only I Could " - so aus den 80ern eben:










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