Geschichten aus der Straßenbahn: Schweinskopfsülze



Am gestrigen Freitag, den 13. November des Jahres 2020 trat ich gegen 8.30 Uhr meinen beinahe täglichen Gang zum Brötchen holen und Kleineinkauf an. Das neblige, nass - kalte Wetter war vorbei. Die damit verbundenen Kopfschmerzen indes hielten an. Sie quälten mich seit dem Aufstehen ab 6.00 Uhr. Ich bin kein Freund von Medikamenten. Kein Medizin - Gläubiger und ein Kritiker der übrigen Quacksalberei. Doch an jenem Freitag nahm ich mir ein Glas, goß Mineralwasser ein, schnitt eine Einheit " Ibuprofen " auf und rührte den Inhalt ordentlich um. Dann trank ich das Zeuch zügig weg.

Noch während meines Gangs zu der " Norma " - Filiale in der Echinger Bahnhofstraße begann das Schmerzmittel zu wirken. Die heftigen Kopfschmerzen ließen nach. Dafür fühlte ich mich ein wenig schlaff. Zwar nicht so schlapp, als dass ich unseren einstündigen Dauerlauf um den Hollener See nicht hätte bewältigen können, aber eben ein wenig träge.

In diesem Zustand betrat ich mit schwarzem - vorschriftsmäßig angelegten - Mund - und Nasenschutz den " Norma " - Markt. Ich schob den Einkaufswagen, der seine besten Tage längst hinter sich hat, vor mich her. Um diese Zeit herrscht in dem Supermarkt, der von einem Mann so um die Mitte bis Ende Dreißig geleitet wird, kaum Betrieb. Ein wenig Andrang gibt es dann erst ein Stunde später, wenn wir bereits die Jogging - Runde begonnen haben. Dann erledigen dort zumeist ältere Stammkunden aus dem Wohnumfeld, manchmal Bauarbeiter oder andere Handwerker oder Mitarbeiter der Kindertagesstätte ihre Einkäufe.

Während ich meine Brötchen, darunter die leckeren Olivenbrötchen, in eine Tüte bugsierte, schob eine noch ältere,ebenso ergraute Kundin ihren Metallwagen an mir vorbei. Ich sah sie kurz darauf wieder. Sie unterhielt sich mit dem Marktleiter, der bei uns seit einigen Wochen in Anlehnung an den Sketch von Anke Engelke  nur noch " Orhan " heißt. " Orhan " spricht allerdings fließend, nahezu akzentfreies Deutsch und hat die hier in Oberbayern üblichen Floskeln und sprachlichen Versatzstücke voll drauf. Zudem duzt er gnadenlos jeden Kunden. Wenn er gute Laune hat, macht er seine Späßchen mit den eher einfach gestrickten Stammkunden. Es sind überwiegend Einheimische, also in Eching oder um zu Geborene. 

" Orhans " Stammkunden gehören überwiegend zu den finanziell und sozial nicht so gut Betuchten, die es auch im " reichen " Bayern häufig gibt. Die hier aber nicht so sehr auffallen, weil der Wohlstand die Armut überdeckt. Die Kundin mit der sich " Orhan " unterhielt und mit der er herum frozzelte suchte die Unterhaltung. Ich vermutete, dass sie längst Witwe oder vielleicht eine Geschiedene ist. Davon gibt es im " reichen " Bayern, im Landkreis Freising, im  hiesigen Eching, nicht wenige. 

Nun, während " Orhan " mit der Dame herum witzelte, schob ich meinen Einkaufswagen weiter. Bis zum nächsten Gang des sehr überschaubaren Supermarktes, der - wie schon geschrieben - nicht den aufgeräumten, fast klinisch sauberen, genormten Eindruck macht, wie ich es von der " Penny " oder " REWE " - Filiale her kennen. Aber, das Obst beim " Norma " ist gut, das Gemüse noch besser und irgendwie ist es dort ein wenig gemütlicher. 

Dann war Schluss mit meiner Einkaufsrundfahrt. Vor den Regalen mit den Backwaren lagen zwei Paletten, auf denen sich Kartons befanden. Die - mutmaßliche - Ehefrau von " Orhan ", ich habe sie seit kurzem " Derya " genannt, weil ich irgendwann zuvor diesen Namen in einem Gespräch zwischen ihr und einer Aushilfskraft aufgeschnappt hatte; also " Derya " schlichtete Waren in die Regale ein, die sie aus den Kartons von der Palette nahm. Diese Tätigkeit ist körperlich anstregend. Das Bücken , Hochheben, Einordnen, es geht ins Kreuz. 

" Derya " ist nicht mehr so jung. Ich schätze, sie dürfte in " Orhans " Altersgruppe sein. Sie ließ es deshalb etwas langsamer angehen. Plötzlich stand " Orhan " neben ihr und blaffte sie an. Sie solle schneller arbeiten und dann auch noch an die Kasse gehen. " Derya " widersprach ihm. Dann stritten sich beide in der türkischen Sprache, die ich nicht verstehe. Ich bekam nur mit, dass es offenkundig um andere Dinge ging als die Erledigung der vielen Arbeit, die noch vor Öffnung des Geschäfts auf sie zukommt. Es waren eventuell private Dinge - ein Ehekrach sogar.

" Derya " ging von ihrem Arbeitsplatz weg. Ich schob meinen Wagen in die entgegengesetzte Richtung weiter, weil der Gang noch blockiert war. Dabei überlegte ich kurz, dass die beiden Streitenden den großen Vorteil haben, dass sie sich in türkischer Sprache fetzen können, die außer den Aushilfen und einer Hand voll Kunden niemand versteht. Dann fragte ich mich erneut, worum es bei dem Zoff wohl gegangen sein könnte?

Noch auf dem Rückweg beschäftigte mich der Streit der beiden, den sie sogar in zwei Sprachen ausgefochten hatten. So, wie ich es manchmal auch in Bremen miterleben konnte. Dann nämlich, wenn sich Mann und Frau mit ausländischen und / oder deutschen Wurzeln in meinem Büro stritten, weil sie es nicht mehr miteinander aushielten.

Dann kam mir die Erinnerung an eine kuriose Begegnung zwischen den beiden Kulturen, die ich irgendwann in den frühen 1990er Jahren bei einer Fahrt in der Linie 2 der Bremer Straßenbahn ( BSAG ) hatte. Die Linie 2 nutzte ich regelmäßig, um von der Hastedter Heerstraße in die Innenstadt, vornehmlich zu den Gerichten, zu gelangen. Ich stieg dabei zumeist an der Haltestelle " Malerstraße " ein und an der " Domsheide " wieder aus. Ab und zu fuhr ich auch bis zur Endstation der Linie 2 in Gröpelingen. Die Stadtteile Sebaldsbrück und Gröpelingen, von wo die die Bahnen der Linie 2 jeweils abfahren bzw, enden, waren vor vielen Dekaden von Arbeitern bewohnt, weil sich dort große Industriebetriebe angesiedelt hatten. Die verschwanden nach und nach und mit ihnen die einstigen Bewohner der Bremer Stadtteile. 

Heute wie damals leben dort sehr viele ausländische Bewohner. Davon mehrheitlich Türken. Die Stadtteile Gröpelingen und Sebaldsbrück veränderten deshalb zum Teil ihr Bild. Es entstanden kleinere Geschäfte, die von türkischen Inhabern betrieben werden. Beide Stadtteile waren ab den 1980er Jahren soziale Brennpunkte, weil hier eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte.

Wer, so wie ich einst, über viele Jahre regelmäßig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzte, kann beobachten, wie die Fahrgäste sich von Stadtteil zu Stadtteil im Aussehen ändern. Busse und Bahnen aus dem Stadtkern Bremens beförderten demnach andere Fahrgäste als jene, die in Sebaldsbrück oder Gröpelingen ein - oder aussteigen.

So war es auch an jenem Morgen eines Werktags in den ersten Jahren der 90er. Ich hatte einen Gerichtstermin hinter mich gebracht und wollte zu meinem Büro zurück fahren. Versehentlich stieg ich in den zweiten Wagen der Linie 2 ein und setzte mich an einen Platz im hinteren Bereich in der Nähe des Ausstiegs, so sparte ich einige Meter Fußweg zwischen der Haltestelle Malerstraße und dem Büro an der Hastedter Heerstraße.   

Der Wagen der Linie 2 war nur schwach belegt. Die so genannten Stoßzeiten, in denen die Bahnen proppenvoll sind, waren bereits vorüber. Im hinteren Bereich des Straßenbahnwagens standen zwei jüngere Frauen und hatten jeweils ein Stück Sülze in den Händen. Vor ihnen standen zwei identisch aussehende Kinderwagen. Auch die beiden Mütter sahen beinahe gleich aus. Beide waren sehr dick, trugen gleichförmige Frisuren und hatten beide einen dunklen, billigen Anorak an. Dazu trugen sie dunkle Hosen und Turnschuhe. Auf mich als geübten Straßenbahnfahrgast wirkten sie wie just jene Sozialhilfeempfänger, die ich nicht selten in irgendwelchen Rechtssachen vertrat. Arme Menschen eben, die zum Teil ohne Schulabschluss, ohne Beruf und ohne Job in Wohnungen der " GEBOBA ", der ehemaligen " Neue Heimat ", vegetierten. 

Die beiden Jungmütter also, hatten sich aus der Innenstadt bei einem Fleischer jene Sülze gekauft, die sie nun am frühen Morgen genüsslich verzehrten. Nun, dieses wäre nicht auffällig geworden, obwohl der Verzehr von Speisen und Getränken nach den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der BSAG verboten ist und ein Fahrer oder gar Kontrolleur, unter Bezug auf das in den Transportmitteln der BSAG geltende Hausrecht, den Fahrgast bei einem Verstoß aus der Bahn komplimentieren darf. Doch im hinteren Wagen des Straßenbahnzuges bemerkte der Straßenbahnfahrer nichts, weil es sich einst um eine dieser alten Hütten handelte, die bei der BSAG noch zum Einsatz kamen.

Von der Sülze, die die beiden Frauen genüsslich in sich hinein mampften ging ein penetranter Geruch, ja ein Gestank aus, der sich alsbald in dem BSAG - Wagen verteilte. Obwohl ich als geborenes Landei und zudem Germane diese Gerüche sehr gut kannte, waberte mir der Sülze - Gestank in die Nase und zwang mich dazu, ab und an die Luft kurz anzuhalten. Es war eine Mischung aus Essig, Sauren Gurken und Majoran, der mir in die Nase drang. Und nicht nur mir.

Zwei Doppelsitze auf der gegenüber liegenden Seite, zirka zwei Meter schräg von mir entfernt, hatte sich ein türkischen Paar hingesetzt. Sie trug Kopftuch, einen leichten Popelinemantel und darunter eine schwarze Hose mit schwarzen Schuhen. Ihr Begleiter hatte eine eher altmodisch wirkende Hose, ein helles Hemd und einen hellen Sakko angezogen. Auch er trug schwarze Halbschuhe. Beide sprachen kein Wort miteinander. Bis, ja solange, bis auch ihnen der penetrante Geruch der Sülze in die Nasen waberte. Die Frau, wohl eine gläubige Muslimin, begann ein wenig ungehalten zu werden und drehte sich dann mit einem bösen Blick leicht nach hinten um, wo die beiden Sülze - Esserinnen standen. Dieses indes schienen sich an der Reaktion der Türkin nicht weiter zu stören. Sie aßen ihre Sülze ungeniert weiter.

Mit jedem weiteren Meter Strecke wurde der Gestank in dem hinteren Wagen der Linie 2 unerträglicher. Ich wollte mich gerade umdrehen, als die türkische Frau laut zu schimpfen begann. Sie drehte sich jetzt demonstrativ nach den beiden Esserinnen um und blaffte diese auf türkisch an. Was sie ihnen zu sagen hatte, verstand ich natürlich nicht, aber ihre Mimik ließ nichts Gutes verheißen. Der männliche Begleiter versuchte sie - wenn auch vergeblich - zu beruhigen. Er redete nur wenige Worte mit ihr, dann war die Meckerei vorbei.

Die Tür im Frontbereich des Wagens ging auf. Ein erfrischender Luftzug erreichte unsere Plätze und Nasen. Geistesgegenwärtig drückte der türkische Mann auch den Knopf für die mittlere Tür. Sie klappte sofort auf. Für einige Sekunden lang entstand ein Durchzug im BSAG - Wagen. Der widerliche Sülze - Geruch verzog sich nach und nach. Dann fuhr die Straßenbahn wieder los. Die beiden Jungmütter mümmelten die Reste ihres gekauften Sülze - Stücks auf und drückten die Papierstücken, in denen sich die verzehrte Sülze befand zusammen und in ihre Einkaufstaschen am Kinderwagen. Bei der nächsten Station verließ das türkische Paar die S - Bahn wieder. Ich vermutete, dass sie in einem der türkischen Obst - und Gemüsegeschäften im so genannten Viertel Einkaufen gegangen waren.

Sülze kann je nach Zubereitung vom Schwein stammen. Nach muslimischen Glauben gilt das Schwein als unrein, weshalb praktizierende Muslims kein Schweinefleisch essen. Doch grau ist auch hier alle Theorie. Ich habe damals Landleute des besagten Paars kennen gelernt, die auf dieses Dogma pfiffen. Sie aßen nahezu alle Fleischsorten und tranken auch Alkohol.

Als ich wieder in die Straße kurz vor unserem Haus einbog, musste ich an den Krach zwischen den beiden türkisch stämmigen Supermarkt - Betreiber denken und an jenes Erlebnis in der S-Bahn der BSAG - Linie 2. Kulturelle Unterschiede spielen zwar manchmal auch bei Streitigkeiten eine Rolle, doch sie lassen sich durchaus vermeiden, wenn die Menschen eher respektvoller miteinander umgehen.

  

  


JONI MITCHELL  -  Otis And Marlena  -  Don Juan´s Recklesss Daughter  -  1977:




 

    

  

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