Süßes, sonst Saures! " - fiel aus.


Der letzte Oktobertag dieses ereignisreichen Jahres machte der Plattitüde vom Goldenen Oktober alle Ehre. Das Wetter war wirklich gülden. Deshalb entschlossen wir uns, den Garten ein wenig aufzuräumen. Es könnte in den kommenden Tag des angeblich trüben Novembers schon die ersten Nachtfröste geben. Das wäre für einige, eher exotische Pflanzen des Gartens nicht gut. Deshalb legten wir für zwei Stunden richtig los. Das Laub von den Gehölzen des Nachbargrundstücks wurde zusammen gekehrt, die Gartenmöbel winterfest gemacht und selbst die Dachrinnen des Schuppens befreite ich von dem herunter gefallenen Blattwerk.

Der 31. Oktober war einst, also in meiner Kindheit, nicht nur als Reformationstag schulfrei, sondern damit verbunden war ab 9.30 Uhr ein Pflichtbesuch in der evangelischen Kirche Bad Eilsen. Hierbei sollten wir uns an Martin Luther erinnern, der angeblich so große, großartige Reformator. Ich habe - trotz einer 2 im Pflichtfach Religion - damals nie verstanden, was denn die Verdienste dieses Mannes wirklich waren. Der uns aufoktroyierte Religionsunterricht wurde nicht so tief schürfend abgehalten, als dass wir als " einfache " Volksschüler davon Kenntnis erlangen konnten, was Martin Luther nun für die christlichen Kirchen bedeutet. Weil die Evangelen den Katholen nicht in die Suppe spucken wollten, wurden die Ereignisse rund um den Reformator der Kirche eher abstrakt und wertungsfrei übermittelt. Dass Luther ein Antisemit war, kam eh nicht zur Sprache.

Dann war der 31. Oktober in jener Zeit der Weltspartag. Nach dem obligatorischen Kirchgang gingen wir an jenem schulfreien Tag ab 15.00 Uhr mit einer farbigen Spardose aus Metall zur örtlichen Sparkasse. Dort warteten wir dann - wohl erzogen und voller Respekt  - bis uns eine eigens abgestellter Mitarbeiter die schwere Spardose abnahm, sie hoch offiziell mit einem Schlüsse am Boden öffnete und den Inhalt, der ausschließlich aus Münzgeld bestand, abzählte. Danach wurde der Betrag handschriftlich in ein Sparbuch eingetragen. Es waren damals zwar nur ein paar Mark, aber wir waren immer stolz wie Bolle, wenn sich die Summe in dem Sparbuch dadurch erhöhte.

Den Weltspartag in der einstigen Form gibt es ja seit vielen Jahren nicht mehr. Warum soll ein Schüler heutzutage noch ein Sparbuch anlegen, wenn es eh keine Zinsen dafür gibt?

Statt des Reformationstages, der nur noch in einigen Bundesländern begangen wird, oder des Weltspartages, wird das in Amerika erfundene " Halloween " zelebriert. Dabei ziehen bekanntlich verkleidete Kinder mit einem Elternteil ( zumeist der Mutter ) durch einige Straßen in der unmittelbaren Nachbarschaft, klingeln an den Haustüren und geben nach deren Öffnen immer den gleichen Spruch von sich: " Süßes, sonst Saures! "

Dieses Bekleidungszeremoniell kannte ich nicht. Und deshalb staunte ich nicht schlecht, als vor einigen Jahren die Kinder aus der Nachbarschaft in Dresden vor unserer Tür standen und mir just diesen Spruch entgegneten. Wir waren auf den Zinnober nicht vorbereitet, so dass ich meine eigenen Süßigkeitsbestände opfern musste.  

Letztes Jahr aber waren wir präpariert. In der Küchenschublade lagen einige Beutel mit Süßwaren. Doch es kamen nur wenige Kinder aus der Nachbarschaft. Wir hatte zuviel Süßes besorgt - das war gut für mich.

Halloween 2020 indes war anders. Zwei Tage vor dem zweiten " Corona " - Lockdown wurde aus dem nahe gelegenen München offiziell davon abgeraten, das Halloween - Klingelspiel abzuhalten. Nun ist der Grad der Akzeptanz inoffizieller und sanktionsfreier Vorgaben aus dem Hohen Haus der Bayrischen Staatsregierung nicht immer sehr hoch, weil die Bewohner der Landeshauptstadt nicht mit dem Klüngel der Söder´schen CSU - Freie Wähler - Koalition konform gehen, doch dieses Mal funktionierte das Umsetzen der Regenten - Empfehlung nahezu perfekt.

Ich hatte bereits am Tag vor Halloween in den Nachrichten gehört, dass das USA - adaptierte Zeremoniell in diesem Jahr nicht gerne gesehen wird. Deshalb waren wir auch nicht gerade auf einen Türbesuch nach dem Anbruch der Dunkelheit vorbereitet. Doch: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wir saßen so gegen 17.30 Uhr auf der Coach und erfreuten uns einer weiteren Folge aus der ZDF - Konservendose der Serie " Der Kriminalist " als es klingelte. Die Katze " Nele " sprang - mit einem Panik erfüllten Blick in den Augen  - in einer fleißenden Bewegung von dem Sitzmöbel über den Teppich zur Zimmertür, schob ihren kleinen Kopf zwischen den Türspalt, schlängelte sich in Windeseile dort hindurch und ward nicht mehr gesehen.

Ich drückte auf die Taste der elektrischen Türöffner - Anlage und sah auf den Kontrollmonitor. Vor der Tür stand auf jeden Fall mindestens eine Person. Das könnte ein Mitarbeiter des Spätlieferservice von " amazon prime " sein, vielleicht ein Nachbar oder gar - überraschender Weise - unsere von Oberschleißheim aus joggende Tochter? Ich knipste im Flur das Licht an, stieg die vier Stufen zur Hauseingangstür herunter und öffnete schwungvoll die Tür.

" Süßes, sonst Saures! ", so schallte es mir hörbar entgegen. Ich schaute auf ein in einem Anorak verhülltes Kindergesicht und in das einer jüngeren Mutter hinein. " Hallo! Ich dachte, Sie dürfen nicht! ", entgegnete ich verdattert. Mein Gesicht muss auf die beiden Halloween - Fans wohl wie der eines stehendes Treckers gewirkt haben. " Doch! ", sagte die Mutter, die sich wie eine Zauberin verkleidet hatte, zu mir. " Na, denn. Ein Moment bitte, ich muss mal eben nach oben und nachsehen. ", sagte ich zu der Verkleideten. Dann eilte ich in die Küche, zog die untere Schublade auf und griff zielgerichtet zu der bunten Tüte mit den " Haribo " - Gummibärchen, für die unter anderem auch " Mr. Herbstblond " Thomas Gottschalk viele Jahre lang Werbung gemacht hatte.

Routiniert riss ich die Plastetüte auf und ging nach unten. Dann griff ich in die " Haribo " - Verpackung und füllte die rechte Hand mit den Mini - Tüten, in denen die Zucker lastigen " Goldbären " lagen. " Bitte, sehr! Ein Junge? ", wollte ich dazu wissen. " Nein, ein Mädchen! ", antworte mir die Mutter. " Aha, dann noch viel Erfolg! ", so verabschiedete ich das Halloween -  Duo. Erneut bedankte sich die Mama bei mir.

Hätten wir selbst keine drei Enkel, so wäre uns möglicherweise gar nicht in den Sinn gekommen, die " Goldbärchen " in der Küchenschublade zu bunkern. Doch, so war klar, dass diese spätestens bei dem nächsten - dann aber noch erlaubten - Besuch unserer Enkeltochter eh aufgerissen worden wären.

Für unsere Kinder ist diese " Corona " - Geschichte nicht gerade einfach. Im Unterricht müssen Masken getragen werden. Außerhalb der Klassenräume auch. Dann soll dort regelmäßig der Raum ausgelüftet werden. Und so weiter und so fort.

Das Jahr 2020 ist keines von denen, das " normal " verlief. " Corona " hat überall in unseren Tagesabläufen, in der eigenen Lebensplanung, tiefe Spuren hinter lassen. 

Ich drückte die Haustür wieder zu. Eigentlich ist es doch schön, dass es Halloween in diesen Zeiten gibt, auch wenn unsere teilweise stark veramerikanisierte Gesellschaft viel zu viel sinnlosen Schund aus dem land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten kritiklos absorbiert hat. Es lebe Halloween, dachte ich, weil die sozialen Kontakte wieder extrem eingeschränkt werden.

" Bring mir mal die Haribos mit! ", schallte es mir aus dem Wohnzimmer kommend, entgegen. Meine bessere Hälfte ist ein Fan von " Goldbären ", aber nur aus dem Hause " Haribo ". Dem soll es laut eines " SPIEGEL " - Berichts seit längerem wirtschaftlich betrachtet nicht mehr so gut gehen. Das kann wohl nicht an unserem Kaufverhalten liegen. Vielleicht hat der jute Hans Riegel aus dem Schwabenland dem Herbstblonden zu viel Geld für seinen Werbeeinsatz gezahlt? das rächt sich jetzt! 

Ich betrat das Wohnzimmer, die Tüte mit den " Goldbären " in der rechten Hand.

" Süßes, sonst Saures! " - sehr wohl, da mag " Corona " zurück kommen oder nicht.   



MR. QUIMBY´S BEARD  -  Mossy  -  1994:


   




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