Obstsalat ohne Obst



Montag, der 9. November 2020. Vor 31 Jahren öffnete sich die Mauer in Berlin. Eine Ära endete abrupt durch den Druck von der Straße. Die DDR, der zweite deutsche Staat brach unter der selbst auferlegten Last seiner greisen Politruks zusammen. Die Planwirtschaft war gescheiter und ihre volkseigenen Betriebe wurden platt gemacht, aufgelöst, bestenfalls mit zeitlicher Verzögerung abgewickelt. 

Mit dem Ende der DDR - Planwirtschaft endete für viele Bürger dieses Staates auch die Mangelversorgung von Gütern des täglichen Bedarfs. Die Regalen füllten sich sukzessive, wenn auch mit Westartikeln, was jedoch nicht immer die beste Lösung des Versorgungsproblems war. Wie dem auch gewesen sei, in den meisten Geschäften gab es alsbald in ausreichendem Maße Obst und Gemüse. Ein Zustand der zu DDR - Zeiten nahezu undenkbar war, weil die Früchte zumeist gegen harte Devisen in die Verkaufsläden des Klassenfeindes gekarrt wurden. Wer keine Beziehungen ( vulgo: Vitamin B ) vorweisen konnte, erhielt eben nur jene Lebensmittel, die zur absoluten Grundversorgung zählten.

31 Jahre später, wir hatte gerade unseren einstündigen Lauf hinter uns gebracht, hatten das darauf folgende Brunch abgehalten und machten uns an die Zubereitung des Abendessens, als meiner besseren Hälfte - nach einem prüfenden Blich hinüber zur Obstschale - die Idee kam, doch mal wieder einen Obstsalat auf den Tisch zu stellen.

" Boah, nee! ", intervenierte ich sogleich. Mein Veto kam wie aus der Pistole geschossen, weil ich mit dem Begriff " Obstsalat " jenen Lebensabschnitt verband, an den ich - so 50 Jahre später - nicht unbedingt die besten Erinnerungen hatte. Es war die Endsechziger bis frühen 70er Jahre, als im " Goldenen Westen " eine Marotte in der Nachkriegsgesellschaft Platz griff, die sich kulinarisch in Form von diversen Obstvariationen ausdrückte, Die jetzt moderne Hausfrau des Westens griff zunehmend zur Konservendose. Das sparte ihr oft viel Zeit, jedoch kein geld. Ganz im Gegenteil, der Konserven - Fraß war enorm teuer. 

In dem elterlichen Haushalt kamen Lebensmittel aus Konservendosen ( im ländlichen Sprachgebrauch: Büchsen ) denn eher selten auf den Tisch. Die Ausnahmen machten Pfirsiche, Ananas Mandarinen und manchmal Birnen sowie eine Obstmischung aus jenen Sorten, die in der Büchse mit einer süßen Kirsche angeboten wurden. Ob nun von dem Herstellern " Brandt ", " Libby´s " oder " Bonduelle ", das Zeug war enorm teuer und zudem ungesund, weil der Zuckergehalt sagenhaft hoch war.

So griff auch die selbstbewusste, die modern denkende westdeutsche Hausfrau nicht selten in die Trickkiste und kredenzte ihren Lieben daheim einen - frischen - Obstsalat, der zumeist aus den regional bekannten Sorten, wie Äpfel, Birnen, den überall erhältlich, jedoch ebenfalls sehr teuren Bananen sowie - um zu sparen - einer kleinen Dose Ananas bestand. Dazu wurden einige Teelöffel Zucker und Rosinen eingestreut, ehe der Salat ordentlich umgerührt werden konnte und anschließend in kleinen Schälchen ( Obstschälchen ), unter Beigabe eines gehäuften Esslöffels Schlagsahne, auf die hungrigen Mäuler verteilt werden konnte.

Diese vermeintliche Köstlichkeit gab es allerdings nur an einigen Sonntag, zu den Hohen Feiertagen und vielleicht bei Geburtstag. Im übrigen Jahr musste kräftig gespart werden - auch am Essen!

Da holte ich denn eine Glasschüssel aus Großmutter´s Zeiten heraus, schälte zwei Äpfel, eine Banane, zerteile gut zwei Dutzend Weintrauben und fügte eine Mango hinzu. Zwei Teelöffel Rohrzucker, zwei ausgepresste Zitronen und einige Teelöffel Sultaninen rundeten meinen " frischen " Obstsalat ab.

Ich rührte meine Kreation kräftig um und stellte diese auf die Küchenplatte. Dann aßen wir unsere selbst zubereitete Linsensuppe. 

" Hattet ihr in der DDR auch Obstsalat? ", wollte ich von meiner besseren Hälfte wissen. 

" Du träumst wohl! Wie denn? Salat ohne Obst? ", antwortete sie mir.

In diesem Moment wurde mir erst klar, welch provokante Frage ich da gestellt hatte. Die DDR - Mangelwirtschaft konnte diese Köstlichkeit - sofern selbst zubereitet - für den Normalbürger im real existierenden Sozialismus gar nicht bereit stellen. Das heimische Obst ging überwiegend in den Westen, die Banane machte einen großen Bogen um die DDR, die exotische Ananas war nur in den " Exquisit " - Schuppen gegen harte Westmark zu bekommen und die weiteren Beigaben auch.

Dann lachte ich lauthals los. " Obstsalat ohne Obst! Der ist gut! "

Ja, war aber bittere Realität, in jener Zeit, in der ich den Sparsamkeitszwang der Eltern erlebte, obwohl es nahezu all jene für einen Jugendlich interessante Lebensmittel gab. Ach, ja, an Silvester wurde die seit vielen Jahren bekannte Früchte - oder Erdbeerbowle kredenzt. Dieses Mal aus der teuren Konservendose. Immerhin was!



RPWL  -  Opel  -  Stock  -  2003:











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