Das Unrecht von Ellen Sandberg - Eine andere Rezension
Der Tag der Deutschen Einheit 2023 zählt seit zwei Wochen wieder der Vergangenheit an. An jenem seit 1990 eingeführten Feiertag soll mit mehr oder minder großem Brimborium auch an jene Ereignisse erinnert werden, die vor dem 9. November ( dem Tag der Grenzöffnung für die DDR - Bürger ) und bis zum offiziellen Zusammenschluss beider deutscher Staaten an eben jenen 3. Oktober 1990 durch den Einigungsvertrag erinnert werden. Doch auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen sowie geschichtlichen Unterschiede finden hier Berücksichtigung.
Ob diese immer und überall umfassend und richtig erklärt oder wiedergegeben werden, muss allerdings stark bezweifelt werden. Nicht selten werden nämlich Fakten verdreht, es wird Wesentliches nicht angeführt oder Nebensächliches unverhältnismäßig aufgebauscht. So entseht ein - wohl auch gewolltes - Zerrbild über die einstigen Lebensvrhältnisse im untergegenagnen zweiten deutschen Staat, der sich Deutsche Demokratische Republik nannte.
Wenn eine im größeren Nachbarstaat, der einst Bundesrpublik Deutschland hieß, lebende Schriftstellerin sich über eine Romanhandlung zu der DDR - Vergangenheit auslassen möchte, läuft sie Gefahr, in den Bereich der Sagen, Märchen und Fabeln abzudriften.
Die in München lebende Literatin Inge Löhning produziert seit vielen Jahren unter dem Pseudonym Ellen Sandberg ebenfalls lesbare Kriminalromane; unter ihrem bürgerlichen Namen auch hoch interessante Jugendbücher, in denen sie sich unter anderen mit dem Lebensalltag von Jugendlichen beschäftigt.Dieses gelingt ihr durchaus, weil sie auch dort in gewisser Weise einen erforderlichen Spannungsbogen erzeugen kann.
Das lässt sich - selbstredend - von ihrem Roman " Das Unrecht ", der im Oktober des vergangenen Jahres als Hardcover im " Penguin Verlag " erschien, nicht sagen. Hier wurden Fiktion mit Historie und aufgeschnappten Erzählungen kräftig vermengt. Die Melange daraus wird dem Leser in Gestalt einer wechselnden Geschichte in Vergangenheits - sowie Gegenwartsform kredenzt.
Okay, unappetitlich ist sie nicht; allerdings in einigen Passagen reichlich fade.
Es geht - kurz gesagt - um eine verhinderte Republikflucht, die eine damals noch junge Frau zusammen mit ihrem Lebensgefährten dann in die Fänge der Staatssicherheit der DDR bringt. Als sie viele Jahre später nach Wismar, dem Ort des Geschehens, zurückkehrt um zu recherchieren, wer aus der ehemaligen Gruppe von etwas gleichaltrigen Freunden den Fluchtplan verraten hat, wühlt sie damit nur in der Vergangenheit herum und quält sich damit selbst. Der Wunsch, Ungeklärtes aus dem eigenen Lebensablauf aufklären zu wollen, ist vielen Menschen immanent. So auch bei jener Frau mit Namen Annett, die in dem Sandberg´schen Roman die Hauptrolle spielt.
Ja, dieser Annett ist nach heutigen Rechtsverständnis Unrecht geschehen. Denn ein Straftatbestand, der als " Ungesetzlicher Grenzübertritt " subsumiert wurde, den kannte das westdeutsche Strafgesetzbuch nicht. Doch es gab vor mehr als 32 Jahren einen weiteren deutschen Staat, der sich eben DDR nannte und der hatte ein zumindest nach außen hin funktionierendes Rechtssystem. Hierzu zählte das Strafgesetzbuch der DDR ( StGB / DDR ), welches eine Vorschrift enthielt, die als Paragraf 213 eine Sanktionierung ( Absatz 2 ) bei einem Verstoß gegen jenes Gesetz vorsah.
Um einen solchen Fall rankt sich dieser Roman. Dass es darin auch um einen zweifachen Mord geht, könnte der Rezipient durchaus als - gewolltes ? - Beiwerk ansehen.
Nun, ja, der Roman liest sich flüssig. Der Sandberg / Löhning´sche Schreibstil stellt nicht zwingend einen an derartiger Literatur - wenn auch nur - mäßig interessierten Leser vor hohe intellektuelle Hürden. Wer indes mehr, vornehmlich die in dem vorstellenden Cover - Text avisierte Spannung, dürfte das Werk enttäuscht in das Regal zurückschieben. Nichts davon trifft in ein. Eher flapsig, zumeist aber gedrechselte Dialoge, wechseln sich mit langatmigen Schilderungen von Nebensächlichkeiten ab. Auch die ausschweifenden Beschreibungen zu bestimmten Abläufen bei dem Umgang mit den geläufigen Kommunikationsmitteln erscheinen eher überflüssig, denn eine inzwischen Mittsechzigerin muss dem Leser eines ihrer Romane nicht permanent unter Beweis stellen, dass sie sich auch in diesem Genre durchaus auskennt.
Was sich von den skizzierten Lebensbedingungen und den gesellschaftlichen umschriebenen Gepflogenheiten in der vormaligen DDR allerdings nicht sagen lässt. Hier schwächelt die Gute gewaltig. Zunächst sollte festgehalten werden, dass die einstigen DDR - Bürger sich niemals mit " Genosse " oder " Genossin " angesprochen haben. Selbst innerhalb der allmächtigen SED war dieses nur innerhalb von Reden, allenfalls dann und wann im Rundfunk - oder Fernsehen der Fall. Schon gar nicht wurde eine Verhaftete, wie in dem Roman vorkommende Straftäterin, der ein Verbrechen, nämlich die so genannte Republikflucht zur Last gelegt wurde, von dem Verhörenden, einem MfS - Mitarbeiter mit " Genossin Frey " angesprochen. Auch ein Rechtsanwalt, selbst wenn er Systemtreue erkennen lässt oder - nicht selten - " Informant " war, verwendete gegenüber seiner Mandantschaft niemals die Anrede " Genossin ".
" Genossen " waren nur Parteimitglieder, so wie es der Westen, die BRD, von der SPD oder in den 60ern bis 80ern bei den K - Gruppen her kannte.
Weiterhin wird in dem Roman geschildert, dass nur kurze Zeit nach der Maueröffnung , beinahe aus dem Nichts und über Nacht, sämtliche " Westwaren " in der DDR verfügbar waren. Wenn überhaupt, dann vielleicht nur in den größeren Städten. Ja, die Planwirtschaft der DDR als Mangelwirtschaft stellte Unterprivilegierten und jene, die ohne das berühmt, berüchtigte Beziehungsgeflecht in Gestalt der üblichen Tauschwirtschaft tagtäglich vor erheblich Versorgungsprobleme. Der private Konsum war demgemäß eingeschränkt. Doch verhungern, verdursten oder erfrieren musste auch dort niemand.
Nur mit der Meinungsfreiheit nach westlicher Ausprägung war es im ehemaligen Arbeiter - und Bauernstaat nicht weit her. Wer sich hier für die allzeit präsenten und bereiten Staatsdiener nebst Hilfstruppen ( Informanten / Spitzel ) erkennbar zu weit aus dem Fenster lehnte, der riskierte in der Tat den Knast.
Weil die angepasste DDR - Justiz alles andere als unabhängig war, wurde auf Geheiß der SED - Apparatschik der qualifizierende Straftatbestand des Absatzes 2 aus dem Paragrafen 213 des StGB / DDR zum Regelfall, womit eine höheres Strafmaß folgte; das regelmäßig bei über eineinhalb Jahren lag. Das mag für einen BRDler, der sich längst mit einem liberal - geprägten Rechtssystem abgefunden hat, als Unrecht empfunden werden. Doch die DDR war eben kein Unrechtsstaat. Es herrschte nämlich keine reine Willkür der Behörden oder vor allem in der Justiz. Willkür jedoch ist ein wesentliches Merkmal eines Unrechtsstaates.
Dass die Staatspropaganda von dem seit den 1970ern permanent Devisen klammen Staatsgebilde DDR ein vollkommen anderes Bild zeichnen wollte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dieses nun als Grundlage für die auf eigenen, nur unzureichenden Kenntnisse über die DDR heranzuziehen und dabei in einer fiktiven Romanhandlung so auszugestalten, dass es nur unzufriedene DDR - Bürger gegeben habe, deren Bestreben es gewesen sei, die angebliche Freiheit des Westens ( der BRD ) genießen zu wollen, wirkt auf einen Leser nahezu lächerlich.
Wer - so wie in Sandberg´s Handlungskonstrukt - im Jahre 1988 wegen Nichtigkeiten ( Totalverweigerung des Kriegsdienstes an der Waffe, fehlende Meinungs - und vor allem Reisefreiheit etc. ) einen nach wie vor bestehenden Schießbefehl im Auge habend, dennoch eine abenteuerliche Flucht über die Ostsee riskiert, ist ein Ignorant. Ein derartiges Verhalten ist nicht politisch motiviert, sondern ausschließlich nur dämlich. Sandberg indes heroisiert jenes Paar mit dem Namen Annett und Mischa zu politisch denkenden Menschen. Ein ungeeigneter Versuch, dort vorhandenes, egoistische Denkmuster und naives Handeln unter einen Hut bringen zu wollen.
Nein, die DDR besaß kein demokratisch geordnetes Staatswesen. Wer sich aktiv gegen den von der SED verordneten Gleichschaltungsmechanismus stellte, der musste mit Sanktionen rechnen. Dazu zählen jene beiden Protagonisten in diesem Buch eben nicht.
Es entspricht der Arroganz der ehemaligen BRDler, der Westbürger also, in einer Mischung von Unwissenheit, Überlegenheitsgehabe und wirtschaftlicher Protzerei, mehrere Dekaden nach dem Zusammenbruch der DDR, diesen einst dort lebenden Menschen und vernehmlich den zahlungskräftigeren, sich zu Siegern im einstigen Systemkampf erklärenden Westlern, erklären zu wollen, wie ein Gemeinwesen zu funktionieren hat.
Ein solcher Ansatz ist denn wohl auch die Triebfeder für den Sandberg´schen Roman gewesen.
Dass zudem der Süd - Nordkonflikt hierbei eine unterschwellige Rolle spielt, kann als Marginalie abgetan werden. Der inzwischen wesentlich stärker gewordene, (west)deutsche Wirtschaftsmotor und dessen noch kräftiger entwickelte Südverbund ( Baden - Württmberg, Bayern ) läuft indes nicht synchron. Der gemeine Bazi und der Spezle - Fresser fühlt sich ständig dazu berufen, insbesondere dem " ärmeren " Norden Deutschlands dieses überall und nirgends zeigen zu müssen. Und sei es beim Bücher schreiben.
In Norddutschland wird die Tageszeit unabhängige Grußform " Moin " nur regional ( z. B. im ostfriesischen Raum ) verwendet. Das Bundesland Mecklenburg - Vorpommern liegt geografisch besehen indes im Nordosten Deutschlands. Dort verwendet der Einheimische die üblichen Tageszeitbezeichnungen, wie " Tach, Guten Tag oder Guten Abend ). Ein gebürtiger, dort noch wohnender Mecklenburger ist kein Ostfriese oder auch Friese. Hieran wird erkennbar, dass Madame Sandberg / Löhning nie aus dem Münchner Umfeld - insbesondere gedanklich - heraus gekommen ist.
Ihre vielen Bücher spielen denn auch beinahe ausnahmslos dort. Dies sollen als Kriminalroman eingeordnet denn auch lesbarer sein.
Das Buch " Das Unrecht " ist es - wie gesagt - nur in wenige Passagen.
Schuster bleib bei deinen Leisten ?
SCHICKE, FÜHRS , FRÖHLING - 1580 - Sunburst - 1977:
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