Claudia Glitsch, Olav Dinne´und die übergelaufene Badewanne




 

Als ich vor mehr als 36 Jahren eine Zulassung als Rechtsanwalt in Bremen erhielt, übernahm ich zusammen mit einem Studienkollegen eine bereits bestehende Kanzlei in der Brunnenstraße 5. Das Klientel  zeigte sich schon allein aufgrund der Lage als eher schwierig. Es waren zumeist jüngere Mandanten mit wenig Geld und bestenfalls rechtsschutzversichert.

 Eine - rein wirtschaftlich betrachtet - ungesunde Mischung.     

Deshalb stand der nicht erklärte Kampf um die Rechtsanwaltsgbühren, die sich bei den nicht wenigen, dafür sehr überschaubaren Streit - oder Gegenstandswerten in sehr engen Grenzen bewegten, neben dem gegen den eigenen Klienten eher im Vordergrund als jener um Recht und Gerechtigkeit.  

Unter diesen Bedingungen setzte sich denn die Mandantschaft vornehmlich aus Hungerleider, Habenichtsen sowie aus verschiedenen Gründen Gestrandeten zusammen, die manchmal nur das besaßen, was sie am eigenen Leib trugen. 

Aus diesem Dunstfeld kommend, stand eines Tages, ohne zuvor einen Termin zu vereinbaren, eine jüngere Frau im Vorraum des Büros, dass einst von der Vermieterin als Lebensmittelgeschäft diente. Ich hatte mit gerade einen Kaffee in dem Nebengelaß der beiden Büroräume gebrüht, als eben jene, mir bis dato nur vom Sehen her bekannte junge Dame das Büro betrat. Sie hielt einen dieser gelben Umschläge in der Hand, der mir längst bekannt war. Schließlich hatte ich es mit der Justiz zu tun. Das Ding nennt sich Postzustellurkunde. In jenem Umschlag befand sich ein gerichtlicher Mahnbescheid.

Nichts besonderes für mich, der sich mit derartigen Dingen tagtäglich auseinanderzusetzen hatte. Für die junge Dame indes, die in dem Adressfeld des amtlichen Schriftstücks mit Claudia Glitsch benannten war, ein schier unüberwindbares Problem. Schon der Absender, das Amtsgericht - Mahnabteilung - Bremen erschien ihr Angst einflössend. Wer bekommt schon gern mit Post von einem Gericht?  Auch im Bremen der 80er Jahre eigentlich niemand. Es sei denn, er hat beruflich mit der Justiz zu tun.

So bat ich die junge Dame denn erstmal in mein Kabuff, dass als Arbeitsraum diente und durch eine Dämmwand von dem meines einstigen Kollegen abgetrennt war. In dem knapp 8 m² großen Loch hatten neben einem Schreibtisch, gerade noch zwei " IKEA " - mit schwarzem Stoff bespannte Stühle Platz.  Nun, ja ein Berufsanfänger musste damals wie heute sehr kleine Brötchen backen. Es sei denn, er steigt in Papas Kanzlei ein oder er lässt sich als Greenhorn für knapp 1.500 bis 2.000 DM in einer jener Großkanzleien den " James " machen.

Das Eine konnte ich nicht aufweisen, denn ich kam aus einem Proletarierhaushalt; zu dem Anderen hatte ich keinen Bock, weil ich eher eine nonkonformen Lebenstil pflegte.

So begab ich mich denn in die Rolle des Samariters mit juristischen Grundkenntnissen und versuchte jenen Menschen aus dem vormaligen Bremer Szene - Viertel zu helfen. Und hieraus kam auch jene Mandantin, denn sie wohnte nur knapp 20 Meter von unserem Büro entfernt, in dem heruntergekommenen Haus Brunnenstraße 1.

Sie hatte dort eine kleine Dachgeschoßwohnung gemietet.           

Und in diesem Wohnklo unter dem Dach passierte eines Tages ein Unglück in Gestalt eines Wasserschadens. Verursacherin soll die Mieterin, jene Claudia Glitsch, gewesen sein. Sie erhielt kurz darauf ein Schreiben von einer jener Großkanzleien, die irgendwo in der Bremer Innenstadt residieren. Mit jenem erschien damit in unserem Mini - Büro und erklärte meinem Kollegen gegenüber, dass sie keineswegs den Wasserschaden verursacht habe. Deshalb wolle sie die als Schadenersatz geforderte Summe auch nicht begleichen.

Nun, der werte Herr Kollege Christian R. übergab mir den Fall, da er sich mit Zivilrecht nicht mehr befassen wollte.  

Es war eines der vielen Mandate, die sich dadurch auszeichneten, dass ich in sie viel Zeit investieren musste und der Ertrag sehr überschaubar war; will heißen: Die damit verbundenen Gebühren nach den damaligen Vorschriften, der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung ( BRAGO ) waren nicht einmal kostendeckend.

Ausgestattet mit einer Vertretungsvollmacht und einem ausgefüllten sowie unterschriebenen Prozesskostenhilfeantrag legte ich dennoch los.

Ich ließ mir von der Mandatin genau schildern, was an jenem Tag an dem dem sich der Wasserschaden ereignet hatte, aus ihrer Sicht abgelaufen war. So aufmunitioniert, beantwortete ich das Schreiben aus der Großkanzlei und wartete ab. 

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Mandatin flatterte alsdann eine Klage, zugestellt über das Amtsgericht Bremen, ins Haus, dass einer Eigentümergemeinschaft gehörte, zu der wohl auch ein gewisser Olav Dinne´ (  https://de.wikipedia.org/wiki/Olaf_Dinné ) zählte. Ich zeigte gegenüber der anwaltlich vertretenen Klägerpartei die Verteidigungsabsicht der Mieterin Glitsch an und trug danach die Sichtweise der Beklagten sowie meine Rechtsauffassung vor. In der Klageerwiderung bestritt ich nahezu alles und behauptete gar, es habe jenen Wasserschaden nie gegeben, zumal kein Gutachter, der wohl zu kostspielig war, eingeschaltet wurde.

Es wurde eben viel Papier für eine eher geringe Summe bewegt.

Die Retourkutsche folget auf den Fuß. Aus dem nichts zauberte die Klägerpartei einen Zeugen und der hieß eben Olav Dinne´. Der wurde nämlich von Mitmieter angerufen, eilte sofort zum Tatort und sah die Bescherung. Nun war der Gute zwar auch Partei, aber er wurde zu Beweiszwecken benannt. Da ich als Berufsanfänger von den vielen Fallstricken, die die Zivilprozessordnung überall bereithielt, nur die wenigsten von der Ausbildung her kannte, widersprach ich der so genannten Parteivernahme des Herrn Dinne´nicht. Er wurde später als Zeuge zu dem Verhandlungstermin geladen.

Zuvor aber erteilte mir der zuständige Richter für Mietsachen am Amtsgericht Bremen die erste Abfuhr. Die Verteidigung böte nur zu einem geringen Teil Aussicht auf Erfolg, womit mein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe überwiegend abgebügelt wurde. Die erste juristische Backpfeife saß. Weil die Anwaltstätigkeit jetzt nur zu einem geringen Teil von " Papa Staat " bezahlt werden sollte, war meine Motivation eingeschränkt. Zudem merkte ich natürlich, dass mich die Mandatin hinter die Fichte geführt hatte. Sie war auf Droge, hatte dazu das Wasser für die Badewanne angestellt und im " Afri Cola - Rausch " laufen lassen. Es kam, wie es kommen musste: Die war war voll, das Wasser lief über und plätscherte die Treppe herunter.

Keine guten Karten also, um das Unrecht zum Recht umbigen zu können.

So stiefelte ich am Tag der mündlichen Verhandlung in Richtung Amtsgericht, wo dann auch die Mandatin warten sollte. Die erschien auch. Als der Rechtsstreit aufgerufen wurde, hatte ich ein flaues Gefühl im Magen ,das sich mit " das wird hier und heute nichts " umschreiben ließ.

Dass mich der Klaps - Kalli aus der Bremer Großkanzlei unisono nicht eines Blickes würdigte, auch wenn er eine erheblich zu kurz geratenen, schon leicht abgewetzten Anzug und dazu weiß - blaue Ringelsocken sowie ungeputzte Schuhe trug, war ich bereits gewöhnt. Es ging mir,  gelinde gesagt, ständig am Moars vorbei. Schlimmer als der beinahe gleichaltrige Fabrikknecht, dürfte der im Sitzungssaal thronende Herr in Schwarz gewesen sein.

Der Richter war mir nämlich von anderen Verfahren her bekannt. Ein älterer Knochen, der seine letzten Jahre vor der Pensionierung gemächlich abriss und jüngeren Anwälten bei jeder Gelegenheit spüren ließ, dass sie keine Ahnung und davon genug hatten. Tja, der ältere Herr in schwarzer Robe, über dem sich so manches Mal nur der blaue Himmel befand, war an jenem Termin sogar bestens gelaunt. Für mich, der ihn auch anders kennen gelernt hatte, einfach unerklärlich.

Den wahren Grund für seinen dann gezeigten,  sehr charmanten Verhandlungsstil, Er hatte den damals durchaus prominenten Zeugen Olav Dinne´geladen. Weil ich damals noch mit der ZPO auf Kriegsfuss stand, dank meiner gütigen Mithilfe. Und so konnte das Recht sprechende Organ vor mir, dem lokalen " Basis - Grünen " bei dessen Befragung ordentlich in den Allerwertesten kriechen. Ja, der Name des Zeugen sei ihm bekannt und, ja, sei es denn so richtig, wie er dessen Aussage habe protokollieren lassen? Schleim lief an dem Richterpult herunter.

Das konnte nicht gut gehen. Zumal Zeuge Dinne´akribisch beschrieb, wie das Wasser aus dem zweiten Stock des Dachwohnungsklos kaskadenförmig die Treppenstufen herunter lief und er zudem genau gesehen habe, dass es eben von dort aus kam. Der Robenträger bedankte sich in aller freundlicher Weise bei dem Lokal - Promi und wies daraufhin, dass er eventuelle Auslagen als Zeuge im 5 Stock erstattet bekäme. Dinne´verzichtete großzugig darauf, wusste er sehr wohl, dass bei der Mieterin eh nüscht zu holen war. 

Ich befürchtete danach das Allerschlimmste, nämlich Floskeln, wie: " Sie sollten anerkennen. ", " Wollen Sie nicht besser anerkennen? " oder " Besser wäre, Sie würden anerkennen. " Die Rechtssache sah nicht sehr rosig aus.

Und dennoch, wie aus heiterem Himmel schlug der Blitz bei mir ein, als der Robenmann nach einigen Erklärungen plötzlich einen Vergleich vorschlug, in dem nicht einmal die Hälfte des geltend gemachten Betrags vorgesehen war. Boah, wie das jetzt?

Nun, der Richter am Amtsgericht wollte keinen Sachverständigen mit der Klärung zur Frage nach der Angemessenheit der Schadenshöhe beauftragen, denn der wäre teurer geworden als der gesamte Prozeß.

Ich bat, die Sitzung zu unterbrechen, damit ich mich mit der Mandantin vor dem Sitzungssaal besprechen konnte. Der sonst eher grantige, an jenem Tag mir aber durchaus wohlgesonnene Richter gab uns ein wenig Zeit, ehe er dann zu hören bekam, dass wir den Vergleichsvorschlag annehmen wollten. Zuvor aber, intervenierte ich bei ihm noch und bat seinen PKH - Beschluss dahin gehend zu erweitern, das meine Beiordnung als Rechtsanwalt der Beklagtenpartei auch für den Vergleichsabschluss erfolgt.

Hier war ich nämlich schon mal auf die Nase geflogen. Ein Richter an einem auswärtigen Gericht hatte meine Unerfahrenheit ausgenutzt, mir einen Vergleich ausgeschwatzt und den Beschluss auf Bewilligung von " Armenrecht " nicht entsprechend erweitert. Dadurch ging mir eine - wenn auch eher geringe - Gebühr flöten.

Der Grantler in Schwarz diktierte der Protokollführerin sodann: " Der Beschluss vom ... auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beklagte wird dahingehend geändert, dass die Beiordnung von  Rechtsanwalt W... auch für den Abschluss eines Vergleichs erfolgt." 

Dann diktierte er den Vergleichstext, lies den Sermon erneut von der Protokollführerin vorlesen und verabschiedete uns. 

Eigentlich hätte ich vor Glück, ob der geretteten Gebühren, die mindetens die halbe Büromiete ausmachten, an die Decke des Amtsgerichts springen sollen, doch ich wusste, dass nun nochmals Schwerstarbeit auf mich zukomemn sollte, denn die Mandantin war geladen und zeterte draußen wild herum. Sie habe kein Geld und könne den ausgehandelten Betrag nicht bezahlen. Ich versuchte sie zu beruhigen. Ohne Erfolg. Sie ließ mich an der S - Bahn - Haltstestelle " Domsheide " wie einen Schuljungen stehen und verschwand in der Menschenmenge.

Irgendwann warf ich ihr das Vergleichsprotokoll in den vergammelten Briefkasten des herunter gekommenen Wohn - und Geschäftshauses Brunnenstraße 1 hinein, rechnete meine PKH - Gebühren ab  und vergaß die Sache.

Einige Monate später hörte ich von meinem Kollegen R., dass Claudia Glitsch, die drogensüchtige Frau mit den ewig fettigen Haaren, die sie deshalb zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, verstorben sei. 

Wie heißt es dazu so zutreffend: " Wo nichts zu holen ist, hat der Kaiser ( Kläger ) sein Recht verloren. "


MICHAEL ROTHER  -  Fontana Di Luna  -  Picture Music Pt. II  ( Sterntaler ) -  1978:



  







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