" Gib ab, du Blindfisch ! "
Heute ist ein sonniger Oktobertag. Bei 17 ° C steht die Gasheizung immer noch auf Sommerbetrieb. Das hilft sparen. Solche Energieverbrauch schonenden Tage im 10. Monat des Jahres gab nicht immer. Manchmal mussten die Mitteleuropäer bereits im September die Räume ihrer Unterkünfte beheizen. Dieses beinahe durchgängig bis in den April oder gar Mai des Folgejahres hinein. Allerdings machten die Heizkosten vormal nur einen Bruchteil des Einkommens aus. Gleiches galt für die Mieten.
Vor vielen Jahren war eben vieles anders. So auch in den 1980er Jahren. In jener Dekade, in der ich mein Jurastudium begann und dann im Dezemeber 1986 beendete.
Die gesamte Zeit lebte und wohnte ich im Mensa - Wohnheim an der Universität Bremen. Die 18,4 m ² große Bude kostete " nur " 144 DM ( Heizung über eine Fernwärmeleitung inklusive ).
Diese Zeiten sind nun längst vorbei, dennoch erinnere ich mich gerne an sie zurück.
So auch an die Wintersemesterferien 1984 / 1985, die irgendwann, so um den 15. Februar begannen und Ende März endeten. Da ich als Rechtsprakikant zirka 900 DM von " Papa " Staat erhielt, stand ich auch deshalb finanziell nicht so schlecht da; jedenfalls besser als zu Beginn des Studium Mitte Oktober 1980.
Die 6jährige Studienzeit befand sich auf der Zielgeraden. Noch 3 Semester, dann stand die Examensarbeit sowie die mündliche Prüfung an. Davor aber musste ich das Hauptstudium II erfolgreich bestreiten. Die hier angebotenen Veranstaltungen lagen so, dass ab Freitagmittag dort nichts mehr lief. Die Mehrzahl der Vorlesungen wurden montags bis donnerstags abgehalten. So konnte ich es mir auch erlauben, ein vorgezogenes Wochende ab Mittwochnachmittag einzustreuen.
Als mich eines Tages mein Bruder überraschend anrief und mich bat, seine Frau, also meine Schwägerin, und den fünfjährigen Sohn in einer Ferienanlage im niederländischen Dorf Oostkapelle zu besuchen, weil diese dort alleine Urlaub machen würde, übelegte ich nicht sehr lange, um zuzusagen.
Einen kurzen Reisebericht habe ich bereits vor einigen Jahren eingestellt:
https://lobster53.blogspot.com/2019/08/zeeland-seeland.html
Einst, also vor mehr als 38 Jahren, wusste ich bei der Zusage nicht, auf was ich mich dabei einlassen würde. Ich kannte die Niederlande zu wenig, um mir überhaupt ein Bild von den Nachbarn machen zu können. Nur die, vor allen von den Krawall - Medien auf beiden Seiten aufgebauschte Rivalität im Fußball und allenfalls die verteufelte - nach Ansicht der Bier saufenden " Krauts " - viel zu laxe Drogenpolitik, die dazu geführt haben sollte, dass die größte niederländische Stadt Amsterdam zum " Drogen - Mekka " avanciert sei, waren mir geläufig.
Selbst von den damals noch existierenden Grenzen, vor allem der so geannten Grünen Grenze, und damit verbundene Kontrollen hatte ich keine Ahnung. Aus der Provinz kommend, in einem kleinen Kaff groß werdend, kämpfte ich zu jener Zeit noch mit dem Nimbus, dass in einer Großstadt wie Bremen, nun alles vollkommen anders und wesentlich besser sei. Deshalb befand ich mich immer noch auf einer Irrfahrt, um einen eigenen Lebensstil zu finden. Dabei dienten mir auch meine beiden Geschwister als eher abschreckendes Beispiel für das, was ich nicht wollte: Eine zu frühe Partnerbindung und zudem noch Kinder.
Obwohl ich mich trotzdem für meine eigene Familie nebst angeheirateten Anhang und Enkel dann und wann richtig krumm gelegt habe, war mir deren eher normierte Daseinsformen eher zuwider waren.
So startete ich dennoch an jenem Mittwochmorgen gegen 7.00 Uhr vom Parkplatz der Uni - Mensa und fuhr in Richtung " Bremer Kreuz ", von dort auf die A 1 und über die A 30 in Richtung niederländische Grenze, danach beinahe quer durch das Nachbarland bis zum äußersten Zipfel Zeelands. Nach mehr als 520 Kilometern und fast 6 Stunden Fahrtzeit kam ich dann irgendwann in den Nachmittagsstunden in der Feriensiedlung des Dorfes Oostkapelle an.
Mein Neffe Sebastian begrüßte mich aufgregt. Damals litt er unter einer Form von Lungenkrankheit, die sich " Pseudo - Krupp " nannte und ihre Ursachen in der schlechten Luft im Ruhrgebiet, die aber auch in Mönchengladbach zeitweise herrschte, hatte. Das Seeklima sollte hierbei Linderung bringen. Deshalb hatten seine Eltern mehrfach Urlaub an der niederländischen Küste gebucht.
So auch in jenen Apriltagen, nach den Osterfeiertagen 1985.
Die verwaiste Wohnanlage bot ein Bild, wie es mir aus jenen Berichten von verlassenen Orten in den USA geläufig war. Die Osterferien waren vorbei, die Gäste aus dem benachbarten Bundesland Nordrhein - Westfalen hatten längst ihre Rückreise angetreten. Was also kann ein Urlauber hier am südwestlichen Wurmfortsatz der Niederlande mit der ihm gegeben Zeit anfangen?
Nicht viel. Doch: Fernseh gucken war alle Male möglich. Und da es weder Handys, noch Smartphones oder sonstiges elektronische Gedöns gab, reduzierte sich das Zeittotschlagen auf die das Anschalten der Glotze oder vielleicht noch Radio hören. Aber auch da war der Genuss eingeschränkt, denn - wie sollte es vor beinahe 4 Dekaden noch anders gewesen sein: Es waren hier am einsamen Hintern Hollands nur niederländische Sender empfangbar. Und hier wurde eben holländisch gsprochen. Eine Sprache, die selbst für einen Norddeutschen, der Platt verstehen kann, nur schwer zu entschlüsseln.
So sahen meine Schwängerin und ich uns dennoch das Fußballspiel zwischen dem FC Everton aus England und dem FC Bayern München aus Deutschland an jenem 24. April 1985 im holländischen Fernsehkanal Niederlande 1 ( Ned1 ). Es war das Halbfinalrückspiel im ehemaligen UEFA Pokalsieger - Wettbewerb.
In der Bundesliga wurde statt der ewigen Bayern, nämlich der VFB Stuttgar 1983 / 1984 Deutsche Fußballmeister; die Bayern aus München durften als Pokalsieger " nur " am Wettbewerb des Europapokals der Pokalsieger teilnehmen. Hier taten sich die Mannen um den Trainer Udo Lattek anfangs schwer.
Die erste Begegnung gegen gegen den norwegischen Vertreter Moss FK wurde zwar 4:1 und 2:1 gewonnen, doch gegen den FK Trakija Plovdiv aus Bukgarien wurde es dann schon schwieriger. Zwar gewannen die Münchner zuhause mit 4:1, doch im Rückspiel unterlagen sie mit 0:2, wobei das Spiellange auf der Kippe stand und ein weiteres Tor der Bulgaren hätte das Aus für den FC " Arroganz " bedeutet. Die kamen mit dem üblichen Dusel weiter und trafen im März 1985 im Viertelfinale auf den AS Rom. Beide Begegnungen gewannen die Lattek - Mannen.
Im Halbfianel indes sollte Schluss sein, denn der englische Klub vom FC Everton aus Liverpool zeigte sich im Rückspiel als stärker. Die erste Begegnung in München endete nur 0:0. Nun sollte es im Rückspiel bei den " Blues " oder " Toffees " im dortigen Goodison Park klappen.
Die " Hütte " war an jenem Abend des 24. Apirl 1985 rappel voll. 50.000 englische Fans hingegen wollten den Einzug ihrer Lieblinge miterleben. Danach sah es in der ersten Halbzeit nicht aus, denn die deutsche Vertretung aus München führte mit 1:0. Tja, wenngleich etwas glücklich. Die Liverpooler hatten mehr Spielanteile und auch bessere Chancen.
Doch in einer Phase, in der ich keinen Pfifferling für die Bazis gegeben hätte, machte diese das 1:0. Ludwig " Wiggerl " Kögl, ein Dribbler, der nicht selten über die eigenen Füße oder den Ball stolperte als dass er diesen im Tor versenken konnte, hatte sich auf der linken Seite zum Strafraum der Engländer durchgesetzt und lief alleine auf das Tor zu. Der Evertoner Keeper Neville Southall jagte aus den 16er raus und blockierte den Schuß des Leichtgewichts Kögl mit dem Körper. Der Ball prallte rechts von den Torwart ab. Wenige Meter davon entfernt stand der mitgelaufenen Dieter Hoeneß, der Bruder von Uli, dem " König des FC Bayern ", der ihn in das englische Tor bugsierte:
Weil Geld in dem zum Milliardengeschäft verkommenen Fußballzirkus alle Male Tore schießt, sind von jener einst sehr überschaubaren Teilnehmeranzahl nur der FC Bayern München, der AS Rom und vielleicht noch der FC Porto als europäische Spitzenmannschaft übrig gebleiben.
Der zu jenem Zeitpunkt amtierende westdeutsche Meister VFB Stuttgart schied bereits in der ersten Runde nach einem 1:1 und 2:2 gegen DFS Levski - Spartak Sofia aus Bulgarien aus. So, wie auch mein SV Werder Bremen nach einem 0:1 und 1:2 gegen den RSC Anderlecht.
https://de.wikipedia.org/wiki/UEFA-Pokal_1984/85
Die belgische Vertretung war eben abgezockter als die von Otto Rehhagel trainierten Bremer.
An jenem Tag schied denn mit den Münchner auch der letzte, in den europäischen Wettbewerben verbleibene Verein aus.
Am folgenden Samstagmittag erschien mein Bruder, der aus Mönchengladbach anreiste, in Oostkapelle. Er hatte vom Fußball nur wenig Ahnung, sympathisierte aber dennoch mit den Bayern. Nun, ja, auch hier waren wir nie einer Meinung. Ich erzählte ihm, dass die " Blindfische " ausgeschieden seien. Er hatte es wohl aber bereits im Radio mitbekommen.
LEVEL PI - Bad Weather - Entrance - 2006:
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