Das Ende des Versandhauskatalogs



Der 22. November 2018 ist ein ganz normaler Wochentag. Und dann auch wiederum nicht. An dem heutigen Donnerstag hat das letzte verbliebene große Versandhandelshaus, der " Otto Versand Hamburg " hoch offiziell verkünden lassen, dass er die Ausgabe der einst beliebten und begehrten Kataloge einstellt.

Damit geht auch eine Ära zu Ende, die in Westdeutschland mit den so genannten Wirtschaftswunderjahren einen rasanten Aufschwung nahm und sich alsbald mit Beginn der Nullerjahre und der späteren, rasanten Zunahme der Online - Bestellungen  nahezu schleichend verabschiedete.

Was die drei Giganten des Katalogversandhandels von einst in den vielen Jahren an Umsatz aufzuweisen hatten, würde glatt so manche Volkswirtschaft eines kleineren Landes übertreffen. Nachdem " Quelle " im Jahr 2009 und  " Neckermann " 2012 Insolvenz anmeldeten, verblieb aus dem Trio des westdeutschen Versandhandel - Konsums nur noch " Otto " aus Hamburg.


 https://de.wikipedia.org/wiki/Versandhauskatalog


Nun hat der letzte " Otto " - Katalog seinen Abgesang mittels medialer Berichterstattung zelebriert. Er gehört damit auf den Schutthaufen der bundesdeutschen Geschichte. Deshalb verbinde ich mit dieser Nachricht auch so einige Reminiszenzen. Es waren jene Jahr, in denen es auch in einem Malocher - Haushalt - mit etwas guten Willen, ohne Schnaps und alledem sowie einer arbeitenden Ehefrau - langsam, aber dafür steig ein kleines Stück bergauf ging. Da lagen dann jede halbe Jahre mindestens zwei bis vier von einst 12 und mehr angebotenen Hochglanzkatalogen. Sie wurden wie ein gutes Buch durch gelesen. Ob Bekleidung,, Wohnungsaccessoires oder gar - welch frevlerische Gedanken hier eine Rolle spielten - Schmuck.

Die bald Kinderarm dicken Wälzer brachte zunächst der Postbote ins Haus. Später wurde dafür ein eigens abgestellter Kleinlieferwagen des staatlichen Gelben Riesen eingesetzt. Dieser hielt auch in den Ortschaften der niedersächsischen Pampa an nahezu jedem zweiten Einfamilienhaus. Nach dem Motto: " Gönn´dir was, schau wenigstens in den Katalog ", vollzog sich ein verkaufstechnisches Phänomen, dass bis weit in die 1990er Jahre fort bestand.
Die Katalogkaufrauschorgie gestaltete sich jedoch bei meiner verstorbenen Mutter eher in Form des permanenten Ankreuzens von diesem, wie oben genannten Gedöns´.   
Hierfür wurde jede freie Minute der wenigen Freizeit geopfert. Selbst unter der über " Neckermann " bestellten elektrischen Trockenhaube wälzte sie die bunten Verführer. Doch gekauft wurde kaum etwas und wenn ja, musste es sofort bezahlt werden.

Ratenzahlung gab es damals nur für Beamte. Die konnten ja nicht arbeitslos werden.

Später, als die Konkurrenz zu den bedruckten Konsumverführern größer wurde, waren auch Teilzahlungen gegen einen saftigen Aufschlag möglich. Dazu hatte " Quelle " aus Fürth in Bayern gar eine eigene Bank, die " Noris Bank " gegründet. Diese vermittelte Ratenkredite. Selbstverständlich nur gegen entsprechender und zuvor per Schufa - Auskunft eingeholter und bestätigter Bonität.

Die " Noris Bank " verdiente in der Folgezeit klotzig. Das lag auch an den exorbitant hohen Kreditzinsen. Zeitweise lagen diese bei satten 18 %. Wem da finanziell die Puste ausging, der wurde zunächst von der Mahnabteilung gewürgt. Heutzutage nennt sich das betrügerische Treiben " Forderungsmanagement ". Und wenn das nichts half, gab es ein beinahe zeitgleich gegründetes Inkassounternehmen, dass unter dem Namen " Universum " bei den säumigen Kunden marodierend die Kohle beizutreiben gedachte.

Der krönende Abschluss, demnach die Spitze des Schuldenbergs, bildete ein Anwaltskanzlei, die mit dem Inkassounternehmen zusammen gluckte und die ganz harten Fälle mittels gerichtlichen Mahnverfahrens an die Kandarre zu nehmen gedachte. Wer in diese Schuldenspirale geriet, kam aus eigener Kraft nicht oder nur mit Hilfe eines ebenfalls Rechtskundigen heraus.

Bereits weit vor der Wende lagen meinem einstigen Ausbilder und später auch mir eine Vielzahl dieser Versandhausschuldenfälle auf dem Schreibtisch. Zum Teil konnten sich die Schuldner / Mandaten erfolgreich gegen die Geldeintreibemaschinerie der Versandhäuser wehren. Vor allem dann, wenn die " Noris " - Bank zum Abtragen des angehäuften Schuldenbergs der Opfer auch noch Ratenkreditverträge vergab, wohlwissend, dass die Bonität nicht gegeben war und zudem zu horrenden, weil sittenwidrigen Zinssätzen von über 18 % p.a.
Dieses Horrorszenario mündete gar in der betrügerischen Absicht von dem Schuldner auf die errechneten Zinsen, weitere Zinsen zu verlange, indem beispielsweise laufen Ratenkredite umgeschuldet wurden, ohne den entsprechenden Zinsanteil dabei herauszurechnen.

Nun, ja, das ist auch schon lange her. Inzwischen gibt es rechtlich definierte Grenzen des Betrugs, so dass die Banken sich sukzessive andere Betätigungsfelder suchen mussten und dabei in ihrer grenzenlosen Gier selbst nicht davor zurück schrecken, den Fiskus zu betuppen.

Die obige Verkaufssystematik betrifft natürlich auch den letzten verbleiben Riesen westdeutscher Wirtschaftswunderromantik. Der " Otto " - Versand in Hamburch, dessen Patriach mit gleichen Namen es allerdings verstanden hat, ganz nach hanseatischem kaufmännischen Understatement, gleich mehrere Beine an den Konzern anzuschrauben. Meister Otto hatte genügend Weitblick, um zu erkennen, dass der Katalogversandhandel irgendwann ein tot gerittener Gaul ist. Otto präsentiert sich seit den Nullerjahre zunehmend in aggressiver Form in den unendlichen Weiten des Internets.
Wer bei Tante Google bestimmte Suchbegriffe eingibt, erhält garantiert die Angebote von Milliardär Otto auf die Glüsen gepappt.

So ist es eben, in diesem, unserem, globalisierten - kapitalistischen Lande. Die Großen fressen die Kleinen und damit auch deren Kunden. Aber auch die sind vor dem gefräßigen Monster, das da Geld heißt, nicht gefeit.

Vorbei ist es deshalb mit der 50er - und 60er Jahre Versandhausromantik, als nach dem Eintreffen des " Otto " - " Neckermann " - " Quelle " - " Klingel " - " Schwab " - " Sonstwie " - Katalogs die vier - bis fünfköpfige Familie an einem Samstag - oder Sonntagnachmittag gemeinsam am Küchen - oder Wohnzimmertisch mit leuchtenden Augen und einem strahlenden Gesicht in die mehr als 1.000 Seiten glotzten und sich eine Zukunft im materiellen Wohlstand ersehnen konnte.

Auf Wiedersehen, Versandhauskatalog! Ich werde dich nicht vermissen, aber auch nicht vergessen!


" Sleepy Sun " - " New Age " - Embrace " - 2009:




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