Warum es Heilig Abend keine Gerichtstermine gibt.



In 24 Tagen dürfen wir Weihnachten feiern. In diesem, unserem, Lande, beginnt das frohe Fest des Schenkens, die familiäre Eintracht des Streites und das kollektive Ereignis des Fressens und Saufens, ja bereits am Montag, den 24. 12. 2018. In anderen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, ist Weihnachten der 1. Weihnachtstag, also der 25. Dezember eines jeden Jahres, dann nämlich, wenn Santa Claus durch den Schornstein plumpst und die Berge von unsinnigen, unnützen und oft überteuerten Präsenten im Wohnzimmer auf den Tischen verteilt.
Da Heilig Abend in diesem Jahr eben auf einem Montag fällt, werden viele Verwaltung bereits ab dem 21. 12., also den Freitag, geschlossen haben.

Das gilt aber auch für die Tausenden von Gerichten dieses Landes.

So werden sich die Damen und Herren in den schwarzen, blauen und gar roten Roben ab dem 21. Dezember bis zum 3. Januar 2019 eine wohl verdiente Auszeit nehmen können. Gerichtstermine finden in diesem Zeitraum nicht statt.

Das gilt selbstverständlich auch für den 24. Dezember 2018.

Was für die Brigaden von Richtern, Armeen von Justizangestellten als Segen gelten muss, entpuppt sich für die Horden von hungrigen Rechtsanwälten als ausgemachter Fluch. In jener Zeit, in dem sich die Justiz in Stillstand übt, lässt sich mit ihr eben kein Geld verdienen. Wohl dem. der mit ihr und über sie seinen Lebensunterhalt nicht verdienen und bestreiten muss, weil er einen lukrativen Beratervertrag in einem Unternehmen, eine Tätigkeit in einem Verband oder einer öffentlich - rechtlichen Einrichtung an Land ziehen konnte.

Es muss wohl im Spätsommer eines der frühen 1990er Jahre gewesen sein, als eine Studentin in meiner damaligen Kanzlei in der Hastedter Heerstraße 164 in Bremen anrief und um einen Termin bat. Es ginge um eine Mietsache und sie käme auf Empfehlung einer einstigen Mandantin, die ich zuvor vertreten hätte. Aha!

Meine ehemalige Azubine notierte sich den Namen und gab ihr für den nächsten Nachmittag den gewünschten Gesprächstermin, zu dem sie dann auch erschien. Die Mandantin hatte sich - erfreulicher Weise - vorbereitet und übergab mir ein Konvolut Schriftstücke, zu denen sie während unserer Unterhaltung auch gleich noch erklärende Ausführungen machte.

Hierdurch erfuhr ich, dass die Soziologiestudentin während der noch laufenden Sommersemesterferien umgezogen war. Nichts ungewöhnliches, denn einst gehörte es nahezu immer zu den studentischen Gepflogenheiten, während der Ausbildung seine Bleibe einige Male zu wechseln. Die Gründe dafür waren vielfältig. Oft war es eine auseinander gekrachte Beziehung. mal Streit mit einem oder gar mehreren Mitbewohnern einer WG - inklusive " Zickenalarm " - oder eine saftige Mieterhöhung nach einer Sanierung, Renovierung und / oder einem Eigentümerwechsel.

Das Mietrecht ist durchaus dafür prädestiniert, ein trennscharfes Bild der Gesellschaft in sämtlichen Facetten zu liefern. Es zeigt soziale Verwerfungen auf, gibt ein exzellentes Sittengemälde des modernen Industriestaates wieder und lässt in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele hinein blicken.

Die Soziologiestudentin erschien zum vereinbarten Termin in meinem Büro. Hier erzählte sie mir folgende Geschichte:

Bei einem erneuten Wohnungswechsel hatte sie sich nach einer neuen Bleibe bei dem " Sozialwerk " der Universität Bremen erkundigt und dort in eine Warteliste eingetragen. Irgendwann nach den Sommersemesterferien habe sie dann die Adresse und Telefonnummer eines Vermieters erhalten, der im Viertel ein Mietshaus besaß und auch an Studenten vermietete.

Und, tatsächlich, die Mandantin erhielt von dem vermeintlich sozial eingestellten Vermieter einen Vertrag. Sie zog also nochmals um. Das Wintersemester begann und damit auch die Vorlesungen. Vormittags hielt sich die Studentin somit regelmäßig in der Universität auf. Zeit genug also, dass der Vermieter mittels Schlüssel in ihrer neuen Unterkunft herum schnüffeln konnte. Das blieb allerdings nicht unbemerkt. Die Mandantin stellte deshalb den Vermieter zur Rede. Der wiegelte zunächst ab, räumte dann jedoch ein, dass er einen weiteren Wohnungsschlüssel besäße, um in einem Notfall in die Räume gelangen zu können.

Sie bat den Vermieter, ihr den weiteren Wohnungsschlüssel heraus zu geben. Der lehnte dieses ab. Die Studentin war darüber nicht nur erbost, sondern empfand das Verhalten des Mannes als gesetzeswidrig. Doch Recht haben und Recht durchsetzen sind zwei Paar verschieden Windersteifel. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt war damals wie auch heute katastrophal und deshalb zog die Mandantin es vor, die Bleibe zunächst zu behalten, Doch sie misstraute dem Mann und so präparierte sie ihre Zimmer, indem sie eine Reihe von Gegenstände so hin stellte oder hin legte, dass eine Veränderung ihr sofort auffallen würde. Von den Textilien in ihrem Kleiderschrank machte sie schließlich Fotos mit einer Polaroidkamera.tatsächlich: Der Vermieter musste einige Male die Wohnung der Studentin betreten haben und  dabei an ihrer Bekleidung herum gefummelt haben. Was er dort im Einzelnen manipuliert haben könnte, blieb indes im Vagen. Nun,ja, es gab auch damals schon irgendwelche Fetischisten, die sich an Damenwäsche vergingen. Und dazu schien auch der aktuelle Vermieter der Soziologiestudentin zu gehören.

Da ich aus einem prüden Elternhaus stamme, zudem als Provinzei während meiner Kindheit und Jugend Lichtjahre von dem Lasterhöllen in Hamburg entfernt lebte, waren mir solche sexuellen Gelüste mehr als befremdlich. Nun aber ging es um das Recht. Hier gelten andere Maßstäbe. Und während mir die Soziologiestudentin von den Gelüsten ihres Vermieters erzählte, dachte ich eher an die Rechtsprechung sowie die herrschende Meinung in der Jurisprudenz zu einem solchen Fall.

Die war zu jener Zeit eindeutig: Der Vermieter ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Mieters einzuholen, sich einen Zweitschlüssel anzueignen. Dieses entschied auch einst ein Richter am Amtsgericht Bremen. Dort sollte ja ein möglicher Rechtsstreit landen. Damals, also zu meinen stürmischen Studentenzeiten, besaß der Hausmeister einen so genannten " passe partout " für sämtliche Räume im Mensa Wohnheim an der Universität. Ein pfiffiger Mitbewohner hatte sich erdreistet, auf seine Kosten einen eigenen Schließzylinder einzubauen. Die Wohnheimverwaltung in Gestalt des " Sozialwerks " verlange nun von dem Studenten, dass er den Zylinder wieder ausbaut. Der hustete dem dortigen Justitiar Peter Härtel etwas und ließ sich von diesem verklagen.
Am Ende erhielt der Student und Beklagte Recht.

Weil ich einst im Mieterrat aktiv war, hatte ich zu diesem Fall natürlich auch entsprechende Informationen. Und diese halfen mir in der Rechtssache der Soziologiestudentin jetzt weiter.

Ich ließ ihr einen Vollmacht, einen PKH - Antrag sowie eine eidesstattliche Versicherung unterschreiben und beantrage eine einstweilige Verfügung gegen den Vermieter auf Herausgabe des Wohnungsschlüssels. Die wurde einen Tag später erlassen. Doch der Vermieter ließ gegen diese über eine große, namhafte Bremer Rechtsanwaltskanzlei Widerspruch einlegen. Es kam also zu einer streitigen Verhandlung. Und hier tauchte der Unterwäschefetischist nebst eines promovierten Kollegen zum Verhandlungstermin auf.

Es war kurz vor Heilig Abend. Das Amtsgericht Bremen war in Feiertagsstimmung. Überall begegneten einem einem Besucher freundlich und freudig gestimmte Mitmenschen. Als ich vor dem Sitzungssaal saß, die aktuelle " SPIEGEL " - Ausgabe in der Hand und auf die Mandantin wartend, beobachtete ich so ganz nebenbei die gegnerische Partei und den dort anwesenden Kollegen. Der phrasierte irgendetwas von Wirtschaftsrecht, von Produkten, die zu Weihnachten ein Verkaufsschlager seien und dabei auch von der Firma " 4711 ", die vor Jahrzehnten den stinkenden Duft " Echt Kölnisch Wasser " in den Umlauf brachte und viele Jahre später beinahe pleite gewesen wäre. Doch die Kölsche Jongs rappelten sich, wie der dortige FC einige Male auch, wieder auf und kreierten die Kollektion " Gabriela Sabatini " ( das war zu jener Zeit eine Berufstennisspielerin, die in den Top Ten herum kloppte ). Ich kannte das Wäserchen. Es war selbst im Drogerie - Discounter sünthaft teuer, aber es roch gut. Nicht so, wie die Muff - Brühe aus den 1950er Jahren.

Nun, der Herr promovierter Kollege dozierte gegenüber den Mandanten, den Unterhosen oder Damen - Schlüpfer - Fan über jene Erfolgsgeschichte. Ich lauschte ein wenig, ehe ich mir die " SPIEGEL " - Lektüre weiter zu Gemüte führte. Dann wurde der Rechtsstreit aufgerufen. Der Richter war ein längst in die 50er Lebensjahre gekommener Mann. Er war an diesem Tag, also kurz vor dem Heiligen Fest, eher milde gestimmt. Tja, eigentlich hätte er ja gerne die Verfügungsklägerin, also meine Mandantin, persönlich zu der Sache angehört, aber die war eben nicht anwesend. Und so schlug er als kluger, weiser Amtsrichter vor, man möge sich doch irgendwie vergleichen. Vielleicht in der Form, dass der Vermieter sich verpflichtet, den eingehaltenen Wohnungsschlüssel bis zum 31.12. an die Mieterin herauszugeben und  ab sofort deren Wohnung nicht mehr betritt und die Mandantin den über mich gestellten Strafantrag wegen Hausfriedensbruch zurück nimmt.

Die Gegenseite wollte eine kurze Unterbrechung, um sich vor der Tür zu besprechen. Ich ahnte schon, dass der Herr Kollege den Mandanten mit Engelszungen bearbeiten würde, den Vorschlag des Gerichts anzunehmen.Und so kam es denn auch. Aber: Die ganze Chose hatte noch eine Pointe. es ging um das liebe Geld. Um die Penunsen, die Kohle, den Knatter, also. Ich hatte in meinem Antrag einen Wert von 300 DM angegeben. Das war nach der von mir eingelesen Kommentierung in diversen ZPO - Kommentaren so die Summe, die allgemein anerkannt wurde.

Tja, der werte Herr Kollege, der natürlich keine Prozesskostenhilfe bekam, weil sein Klient eben keine armer Student war, pupte plötzlich herum. Nein, der Streitwert sei ja viel höher, weil das Interesse der Parteien sich nicht nur um die Herausgabe des Schlüssels dreht, sondern um das Mietverhältnis ganz allgemein. Häh?  Was erzählt der da für einen Scheiß? Aber, gut, mir konnte es egal sein. Ich hätte dann mehr Gebühren bekommen und zwar von der Staatskasse und - das war das ganz besonders Erfreuliche - genauso viel, der Kollege aus der Großkanzlei.

Der Richter, war eben auf Weihnachten gestimmt, ließ sich auf den Vorschlag ein. Es kann sein, dass er eine gewisse Achtung vor der Großkanzlei an der Bremer Contrescarpe hatte, in der fast ein Dutzend Rechtsanwälte und Notare herum turnten. Es mag auch sein, dass er einfach nur froh war, kein Urteil schreiben zu müssen und stattdessen die Weihnachtsfeiertage genießen konnte. Er beschloss und verkündete, dass der Streitwert auf 600 ,-- DM festgesetzt wird.

Nun intervenierte ich wegen der erfolgten Beiordnung und bat ihn, diese auch für den Abschluss des Vergleichs zu ergänzen. Gesagt, getan.

Dass der Kollge aus der Großkanzlei auch nur mit " Kölnisch Wasser " herum hantiert und auch jeden popeligen Rechtsfall annehmen muss, wurde mir in diesem Moment mehr als klar.

Wir wünschten uns beim Verlassen des Sitzungssaals noch Frohe Weihnachten, dann ging ich zu der BSAG - Haltestelle an der Hauptpost und wartete auf die Straßenbahn. Ich ließ mich bis zu der Haltestelle " Vor dem Steintor / Brunnenstraße " fahren, stieg aus und begab mich schnurstracks zu der Filiale einer Drogeriekette. Hier wurde das Parfüm von " 4711 Gabriela Sabatini " verkauft. Es kostete als mittelgroßer Flacon so um 60 DM. Immerhin hatte ich die mit dem abgeschlossen Zivilrechtsstreit gerade eben verdient. Ein Weihnachtsgeschenk, obwohl es keine Gerichtstermine am Heilig Abend und zu Weihnachten gibt.



" Adama " - " Levitate " - " Ruhin " - 2016:






 
   


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