021024829694 - Kein Gespräch mit dieser Nummer.



Es ist schon einige Tag her, da klingelte es am Nachmittag an der Eingangstür. Ich hatte irgendwelche Verschönerungsarbeiten auf der Agenda und war wohl gerade aus dem tiefen Keller in den Flur gelangt. Nur deshalb hörte ich den elektrischen Gong.
Vor dem Eingangtor stand ein älterer Mann mit lichten, aber längst weißen Haar. Er sah eher wie ein ehemaliger Hausierer aus. Ein Mensch, bei dem in der Regel das in den WiWu - Jahren in Westdeutschland übliche Warnschild " Betteln und Hausieren verboten " zutraf.

Seine Kleidung machte auf mich einen unzeitgemäßen Eindruck. Irgendwie abgewetzt, jedoch nicht das mir bekannte Einheitsgrau aus den Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik. Dennoch sah er ein wenig ärmlich aus. Kein Bettler, aber ein Mann zwischen HARTZ IV, Grundsicherung und Aufstocker.

Er stellte sich kurz vor. Es war ein im Auftrag der Lebensmittelvertriebskette " Eismann " tätiger Propagandist. Ein - so der Jargon - " Drücker ". Ein Mann, der irgendwelche, dann verpflichtende Unterschriften einzuholen hatte, damit die dahinter stehenden Auftraggeber einen HumVee, einen Bentley oder Maserati fahren können.

Ein armes Würstchen. Einer, der einen Job, eine Aushilfs - oder sonst wie Tätigkeit ausübt, für die sich viele andere in seiner Situation zu schade sind und dann lieber Sozialtransfers kassieren und gegen Ausländer hetzten. Oder, die zwischen dem 1. bis 10. Tag eines jeden Monats zum Bäcker latschen, dort die unterbezahlten Verkäuferinnen nerven, weil sie - obwohl schon viel zu fett - sich mehrere Sahnestückchen einpacken lassen und dabei kackfrech die sie Bedienende anpflaumen (  " Nun beeilen Sie sich mal, mein Bus kommt gleich! " ).

Er warb also für die " Eismann " - Vertriebskette. Wir da eigentlich schon Kunden. Das hier geführte Konto läuft aber auf den Namen meiner besseren Hälfte. Deshalb erscheint ein Mal pro Monat der Auslieferungsfahrer vor der Tür. Er ist scheinselbständig. Er nennt sich aber Franchisenehmer. Das bedeutet, dass er den gesamten Kladdererdatsch von dem Franchisegeber gegen eine Leasinggebühr zu übernehmen hat, sich dabei verpflichtet, ausschließlich dessen Waren zu vertreiben und hierfür als Vergütung einen Sockelbetrag des Gesamtumsatzes erhält.

Eine knüppelharte Branche. Hier überlebt nur der vertraglich Gebundene, dem es gelingt, sukzessive einen Kundenstamm aufzubauen, der ihm auch einen akzeptablen Umsatz garantiert. In so genannten sozialen Problemvierteln ist das eher nicht der Fall.

Also, der Klingelnde, der Propagandist, erklärte mir dass er den neusten Katalog des " Eismann " verteilen möchte. Aha! Den haben wir zwar schon, aber ich verschwieg es. Mir tat der ältere Mann irgendwie leid. Er übergab mir das einige Seiten umfassende Hochglanzdruckwerk. Dann bat er mich, ihm eine Unterschrift zu geben, damit die Vertriebsfirma mich anrufen könne. Weil ja Kaltakquise längst gesetzlich verboten ist.

Ich gab ihm die Unterschrift. Wie gesagt, der arme Kerl tat mir leid. Ich unterschrieb die Erlaubnis auf seinem DIN A 5 - Block, obwohl ich wusste, was danach auf mich zukommen wird.

Vor einigen Tagen klingelte mehrfach das Telefon. In den Werktagen danach auch. Auf dem Display erschien immer die gleiche Rufnummer 021024829694. Nach meiner Recherche ist dieses eine Telekom - Nummer; ein Anschluss in Ratingen. Die Stadt liegt bei Düsseldorf. Dort unterhält die " Eismann " - Kette wohl ein so genanntes Callcenter.

Hier sind ebenso viele arme Würstchen oder oft nur studentische Aushilfen tätig, die dann die Aufgabe haben, jene ihnen am PC vorgegeben Rufnummer zu kontaktieren.

Die Anruferei nervt. Ich ließ deshalb das Telefon einige Male klingeln. Erst heute Nachmittag habe ich dann in Erfahrung gebracht, wer der Verursacher des eigentlichen " Telefonterrors " ist.

Okay, die Suppe habe ich mir selbst eingebrockt. Aber der ältere Mann tat mir eben leid. Er hat für die erhaltene Unterschrift bestimmt eine Provision bekommen. Die sei ihm gegönnt. Irgendwann werde ich den Telefonanruf vom " Eismann " entgegen nehmen und dem Callcenter - Mitarbeiter dezent erklären, dass wir bereits dort Kunde sind.

Und von unserem Auslieferungsfahrer werden wir vielleicht noch ein letztes Mal ein oder zwei Beutel des überteuerten Tiefkühlwarenangebots kaufen. Auch er muss ja leben.

Die Verwerfungen des globalen Kapitalismus sind überall identisch. Die Kleinen bleiben arm, die Großen reich. Am Ende der Kette steht dabei immer der Kunde, der dann die Wahl zwischen Pest und Cholera hat.


" Agitation Free " - " In The Silent Of The Morning Sunrise " -  1974:


 

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