Haustein - Spoede - Schmidt und der Englisch - Schein



Es sind nun 42, 40 und 38 Jahre her, seit ich das Studium der Betriebswirtschaftslehre ( BWL ) zunächst im September 1976 an der Fachhochschule Wilhelmshaven begann, an der Hochschule für Wirtschaft ( HfW ) in Bremen fortsetzte und dort mit dem Diplom abschloss.
Das ist schon eine lange Zeit, die seit dem verging.

Doch manchmal erinnere ich mich mit einem milden Lächeln an jene Jahre zurück, in denen ich als geborenes Provinzei in eine Großstadt zog, um mich dort irgendwie zu behaupten, einen neuen Lebensabschnitt zu starten oder diesen fortzuführen, aber auch zu beenden. Der letzter genannte Zielpunkt wurde mir von meinen Eltern und der einst faschistoid - angehauchten Volksschulbildung eingeimpft.

So, damit jedoch unvorbereitet auf das Großstadtleben ( immerhin hatte die Stadt am Jadebusen damals noch knapp um die 100.000 Einwohner ) eingestellt, versuchte ich es an der Fachhochschule, der vormaligen Akademie für Betriebswirte , mit einem Diplomstudiengang. Der ersehnte, nein, der angestrebte Abschluss, lautete damals " Diplom - Betriebswirt ( FH ) ".

Als ich zum 15. September 1976 dort das Studium aufnahm, befanden sich der Vorlesungs - besser gesagt, die Unterrichtsräume in einem alten Sand - und Backsteingebäude am " Mühlenweg ". Der Bau hatte den II. Weltkrieg anscheinend unbeschadet überstanden. Er wurde später sukzessive renoviert und für den Unterrichtsbetrieb aufgepimpt.

Solche Gebäude kannte ich aus meiner Kindheit und Jugend. Sie standen und stehen sogar noch auch in dem Provinznest Heeßen oder im staatlich anerkannten Kur - Heilbad Bad Eilsen. 
Die damalige Volksschule in Heeßen, das alte Gemäuer, es bestand auch aus diesen Baustoffen. Es war zum Teil aus Obernkirchner Sandstein hochgezogen worden.

Aus diesem Baumaterial bestand auch das alte Gemäuer am Wilhelmshavener " Mühlenweg ". Inzwischen hat sich dieses nicht nur baulich betrachtet, längst verändert ( https://www.jade-hs.de/unsere-hochschule/fachbereiche/wirtschaft/profil/historie/ ),

1976 aber, gab es die Fachhochschule für Wirtschaft, die ich dort regelmäßig besuchte, um einen der 21 " Scheine ", also der " Leistungsnachweise " über schriftliche Klausuren zu ergattern. Diese wurden immer zum Ende des Semesters, also im Januar / Februar bzw. Juni / Juli angeboten und geschrieben.

Das gesamte Studium war verschult. Weil es völlig verschult war, jagte der Student von einer Vorlesungs - oder Unterrichtseinheit zu der nächsten. Und damit von einer Klausur zu der folgenden. 21 " Scheine " in drei / vier Semestern waren kein Pappenstiel, den der Herr Student mal soeben aus der hohlen Hand geschrieben, ausgestellt bekam.

So hasteten mein Studienkollege aus BAS / FOS - Zeiten in Stadthagen von einer Veranstaltung in die nächste, um am Ende statt der angepeilten 9 Scheine, eine eher dürftige Ausbeute von 5 Leistungsnachweisen zu erhalten.

Zu den " Scheinen ", die ich / wir auf Anhieb nicht erhielten, weil die Klausur mit Pauken und Trompeten in den Nordseesand gesetzt wurde, zählt der in " Englisch ". Das hört sich und schreibt sich, so mehr als 41 Jahre danach, wie ein schlechter Witz. War es aber nicht, denn von der englischen Sprache hatte ich - mit Ausnahme der vier Jahre in der Volksschule und zwei weiterer in der Berufsaufbau - und Fachoberschule kaum ausreichend Kenntnisse erlangt. Zudem war es kein Wirtschaftsenglisch und mit der gedrillten Aussprache des berühmt, berüchtigten " th " ( phon.:  Tiiiätsch ), die ein lichtes Vorschieben der Zungenspitze zwischen die damals noch vollzählig vorhandenen und relativ gesunden Zähne vorsah, kam ich nicht weiter. Allenfalls das bruchstückhafte Selbststudium durch die ungezählten, zuvor gehörten, englischen " Beatsongs ", meine Hardrock - LP - Sammlung, die ich in der Freizeit auf dem " Dual " - Plattenhobel rauf und runter leierte sowie die obligatorischen, stundenlangen Besuche in den Plattenläden, vermochten die immensen Wissenslücken ein wenig zusammenzukleistern.

 Für das Bestehen eines " Englischscheins " im Grundstudium I reichte es jedoch nicht aus. Deshalb besuchte ich damals einen Grundkurs an der Wilhelmshavener Volkshochschule. Ein sinnloses Unterfangen, denn viel mehr als das, was ich an englischen Vokabular auf der Pfanne hatte, konnte mir die dortige Dozentin auch nicht mitgeben. Auf einen weiteren Kurs verzichtete ich deshalb.
So blieb mir das Hören, lausige Mitsingen und Kaufen von anglo - amerikanischer Rockmusik. Ab und an gelang es mir den zu jener Zeit noch existenten, amerikanischen Soldatensender AFN, der von Bremerhaven aus über das Wasser der Nordsee und des Jadebusens bei günstigen Bedingungen empfangbar war, in den schon betagten Kofferradio - Kasten eingestellt zu bekommen. Damit durfte ich, zirpend, pfeifend, knarrzend, jene Musik hören, die tagsüber nur bedingt von dem Lokalsender NDR II, gespielt wurde.

Ein Englisch - Schein war mit diesen eingeschränkten Sprachkenntnissen natürlich nicht zu ergattern. Schon gar nicht am der Fachhochschule Wilhelmshaven im Jahr des Herrn 1977. Hier waberte nicht der Zeitgeist der 68ér., die längst in den vormals von ihnen bekämpften Institutionen lehrten, sondern es waren alte und ältere Herren, deren biologische Uhr am austicken war.
Diese alten Säcke kamen aus der Praxis. Aus der Wirtschaft, eben. Denn sie sollten ja Betriebswirtschaftslehre der alten Prägung vermitteln. Viele von den Ehlers, Ehlentrup´s, Eggers´, jenem berüchtigten Trio, dass knüppelharte Klausuren schreiben ließ. Mit Aufgaben, deren Inhalte sich so fremd lasen, als habe ein Marsmännchen auf der Erde Platz gefunden und artikuliere sich in " Krytonomie ".

Gut, die VWL - Scheine bei dem glatzköpfigen, längst verstorbenen Professor Ehlentrup in VWL I und II bekam ich mit einer 4,0 und 3,5. Die Steuerrecht I und II - Scheine bei Otto Lappe nicht, weil ich ihn einst während der Vorlesung durch permanentes Grinsen und verdecktes Lachen derart provozierte und aus dem Konzept brachte, dass er mich durchrauschen ließ. Die Vorlesung bei seinem Fachkollegen, dem reaktionären CDUler und Wirtschaftsfan Ehlers hätte ich mir sparen können. Der A... mit Ohren möchte nur Lederkofferträger, aber keine Langhaarigen Parka - Fans, die auf dem Rasen vor dem alten Fachhochschulgebäude an der Mühlenstraße in der Sonne dösten, rauchten und über Politik diskutierten. Den Steuerschein erhielt ich nicht, weil der D...sack mir einen halben Punkt verweigerte.

Und den Englischschein bei dem Opa Haustein bekam ich auch nicht. Aber nicht deshalb, weil ich bei dem Alkoholiker und Anzugträger als langhaariger Affe geführt worden wäre, denn als alerte BWL - Student mit Karriereambitionen, sondern deshalb nicht, weil ich von Wirtschaftsenglisch null Ahnung hatte. Die gesalzene Klausur am Ende des ersten und dann zweiten Semester, die ich dann vorgelegt bekam, ließ mich beim groben Durchlesen des Textes nahezu in Schockstarre verweilen. Ich verstand im wahrsten Sinne des Wortes nur Bahnhof. Einige meiner Leidensgenossen hatten mutmaßlich die gleichen Eingebungen, standen kurz nach dem er den Text verteilt hatte, auf und gingen aus dem Raum.

Haustein war damals so um die Ende 50, Anfang 60, hatte zum zweiten Mal geheiratet und lebte in dieser Ehe mit einer wesentlich jüngeren Frau, die ihn nach Strich und Faden mit anderen Kerlen betrog, mehr als unglücklich. Doch Haustein hatte Geld und dieses zählte auch vor mehr als 40 Jahren alle Male etwas. Haustein war passionierter Jäger. Er besaß deshalb eine Schrotflinte, die er in seinem neu erbauten Haus. irgendwo am Stadtrand, ich erinnere mich an eine Neubausiedlung, in einem Waffenschrank aufbewahrte. Das war auch vormals gesetzlich so vorgeschrieben.

Weil Haustein, eher Professor an der Fachhochschule Haustein, in einer unglücklichen Ehe lebte, tat er das, was viele Kerle in seiner Situation zu tun pflegen: Er soff sich die eigene Welt schön.
Haustein war mutmaßlich längst Alkoholiker. Er fuhr deshalb - so mein unbewiesener Eindruck - bereits betrunken zu den Vorlesungen in die Mühlenstraße in Wilhelmshaven. Er muss derart stark alkoholgewöhnt gewesen sein, dass der Student während der Veranstaltungen, die er anbot, nie Ausfallerscheinungen bemerkte.
Und seine knallharten Klausuren, die er schreiben ließ, hatte er zudem auch völlig korrekt bewertet. Was in meinem Fall bedeutete, dass mehr rote Füllertinte aus dem von Haustein geführten Federhalter auf mein Klausurenblatt floss, als mir liebt war. Die logische Konsequenz daraus hieß: Nicht gepackt!

Da das Wahlpflichtfach Englisch nur von ihm angeboten wurde, wurde es während der vier an der FH Wilhelmshaven abgerissenen Semester für mich, aber auch andere Mitleidende, zunehmend zu einem Problem. Zirka ein Jahr nach der desaströsen Klausur bei Haustein hätte die Rettung kommen können. In der Stadtpostille " Wilhelmshavener Zeitung " las ich - allerdings eher zufällig - das Haustein wegen einem eskalierenden Ehestreit in Haft saß. Ihm wurde vorgeworfen, mit einer Schrotflinte in seinem Haus herum geschossenen zu haben.
Die Meldung verbreitete sich unter den Kommilitonen wie ein Lauffeuer. Nicht wenige frohlockten, dass nun endlich ein anderer Englischdozent auftauchen würde. Doch Haustein kam wieder und mit ihm die Unerreichbarkeit des Scheins im Wahlpflichtfach Englisch.

So wechselte ich ohne den gewünschten Englisch - Schein nach Bremen zur dortigen Hochschule für Wirtschaft. Und kam - um es mit den Worten des damals noch allseits beliebten Wolf Biermann zu formulieren: " Von dem Regen in die Jauche ".

Da damals aktuelle A... hieß Spoede, war " nur " Lehrbeauftragter, aber Herr der englischen Sinne. Und weil Spoede ein konservativen A.. war, erhielt ich auch bei ihm keinen Schein. Spoede war nicht nur stockkonservativ, er missbilligte auch Studenten mit langen oder längeren Haaren. Ich hatte bei dem Englisch - Macho keine Chance. Er führte mich während seiner Veranstaltung förmlich vor. Und weil ich sofort merkte, dass ich beim dem Lehrbeauftragten Spoede keinen Englischschein erhalten werde, besuchte ich seine Veranstaltungen nur noch sporadisch.
Die Klausur, die er am Semesterende schreiben ließ, war für mich ein Buch mit Sieben Siegeln.
Das Ergebnis kam deshalb nicht überraschend: Auf den abgegeben Seiten grüßte meinen Augen mehr rote Tinte aus Spoedes Füllfederhalter als mir von ihm erlaubt wurde. Haustein war zwar ein mutmaßlicher Alkoholiker und deshalb eher - zumindest in meinen Augen - eine bemitleidenswerte Kreatur, aber Spoede war ein mit erheblichen Minderwertigkeitskomplexen belastetes Mannsbild, das sich wider dem damals vorherrschenden Zeitgeist stellte und dann und wann dieses heraus ließ. Ein A.. mit Ohren eben.

Die Zeit wurde knapp, ich benötigte den Englischschein, um die erforderlichen Voraussetzungen für das Zwischendiplom an der Fachhochschule vorweisen zu können und damit zusammen mit den im Hauptstudium nach und nach erworbenen Scheinen das angestrebte Diplom der Betriebswirtschaftslehre zu erhalten. Bis dahin war zwar noch ein weiter Weg, aber das Haupthindernis war der Englischschein. Nicht etwa die befürchtete Statistikklausur bei Frau Prof. Hella Schomaker, auch nicht ein weiterer VWL - Schein bei Karl Marten Barfuß, nein, dieses verdammte Wirtschaftsenglisch, wurde zur Haupthürde. Wo her erhalten, wenn nicht gegen Kohle von einem Kommilitonen schreiben lassen? Doch dazu war ich zu stolz und zu geizig.

Die Rettung kam in Gestalt eines weiteren Lehrbeauftragten mit dem Schmidt. Seinen Vornamen kenne ich nicht mehr. Auf keinen Fall hieß er Helmut, so, wie der Bundeskanzler aus Hamburch, den ich einst zum Teil verehrte, zum anderen Teil kritisierte, aber in dessen Partei ich einst war.

Schmidt´s Vorlesungen hatte ich nie besucht. " Mut zur Lücke? " Ich befand mich bereits im Hauptstudium und hatte längst die erforderlichen Scheine " gemacht ", als Herr Schmidt, der Lehrbeauftragte, an einem Vormittag im Frühsommer des Jahres 1979 ab 08.00 Uhr zur Klausur bat.
Er verteilte das Aufgabenblatt persönlich. Ein kleinerer, etwas dicklicher Mittfünfziger, der mir ab und an im Flur zu den Veranstaltungsräumen begegnet war. Den ich - zwar unbekannter Weise - jeweils gegrüßt hatte und der mein kurzen Kopfnicken und murmelndes " Morgen " erwiderte.

Kein unsympathischer Mensch, kein Haustein, kein Säufer, kein Spoede, kein Langhaarigenhasser. Ein Herr Schmidt, eben. Ich las den Klausurentext durch. Viele englische Begriffe kannte ich, einige nur so Lala, andere waren für mich eher Böhmische Dörfer.

Es war eine Chance, ein Zwang, ein Druck, der auf mir lastete. Ohne Englischschein kein Vordiplom, ohne Vordiplom, keine Abschlussprüfung, ohne Abschlussprüfung, keine Diplomarbeit, ohne diese, kein Diplom - Betriebswirt ( FH ).

Ich las und verstand etwas von der damaligen englischen Parteienlandschaft, von der " Labour Party " , von" Maggie Thatcher " als einstige Vorsitzende der " Tories "  und der Frage nach den unterschiedlichen Parteiprogrammen. Ich las seit 15 Jahren den " SPIEGEL " und wusste in etwa, was in England politisch abging. Meine Chance, mein Schein!

Das ich die " Tories " mit doppelten " R " schrieb, kreidete mir Herr Schmidt als Folgefehler an. In Bayern wäre ich heutzutage damit nicht durchgekommen. Doch Bremen war, ist und bleibt nicht Bayern. Ich schrieb um mein Leben. Natürlich war mein Sprachschatz nie und nimmer gut genug, um all das Wissen, was ich um die beiden " Volksparteien " in England durch ständiges " SPIEGEL " lesen angesammelt hatte, umsetzen zu können. Doch, Herrn Schmidt reichte es.

Wenige Tage später durfte ich das Ergebnis meiner Englischklausur im Sekretariat im Obergeschoss des HfW - Gebäudes abholen. Eine 3, ein Befriedigend! Ich hätte Herrn Schmidt umarmen können, doch ich sah ihn danach nie wieder. Auch Spoede, das A... mit Ohren nicht und von Haustein hörte ich später, dass er geschieden war und noch viel später, dass er verstorben  war.

Ich legte die Abschlussklausen mit einem " Befriedigend " hin; nur in " Politik " schrieb ich eine glatte 1. Die Diplomarbeit schusterte ich auch mit einer 2, 7 zusammen. Egal, ich wollte eh nie Betriebswirt werden, sonder Anwalt.

Dazu benötigte ich keinen Englischschein mehr!


Stomu Yamashta, Klaus Schulze, Steve Winwood, Michael Shrieve, Al DiMeola: " " Crossing The Line " - " Go  Live " - 1976:























Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Was ist eigentlich aus dem Gilb geworden?