Der 20 Kilometer LKW - Stau von Küstrin



Kurz vor Weihnachten in einem Jahr der  frühen 90er. Die Nachwendewehen waren noch längst nicht bewältigt. Vieles war im Fluss, noch mehr geriet ins Stocken und genau so viel in Vergessenheit. Aus den beiden deutschen Staaten war seit einigen Jahren ein Land geworden, dass nun eine andere Ostgrenze, nämlich die zu Polen besaß. Aus der einstigen Volksrepublik jenseits von Oder und Neiße, wurde ebenfalls nach und nach ebenfalls ein anderes Land.

Deshalb entwickelten sich die Handelsbeziehungen zum jetzt östlich Nachbarn rasant. Und nicht nur zu diesem Land. Denn dahinter beginnt das Riesenreich Russland, aber auch die so genannten Baltischen Staaten sind über den Nachbarn zu erreichen.

Findige und geschäftstüchtige Unternehmer sahen in dem osteuropäischen Markt ihre Chancen und forcierten dort die Aktivitäten. Das führte wiederum zu einem exorbitanten Güter - und Verkehrsaufkommen. Dieser Entwicklung waren die damals nur wenigen Grenzübergänge mit Güterabfertigung nicht gewachsen. Das hier eingesetzte Personal, die Zöllner und Grenzpolizisten mussten vor dem Anstieg des Verkehrsaufkommens kapitulieren. Es waren zu jener Zeit zu wenig Grenzübergänge in Betrieb.


https://mil.brandenburg.de/media_fast/4055/Grenzuebergaenge_Teil1.pdf


Kurz vor Weihnachten in einem der 1990er Jahre. Ich saß vor meinem " Sharp " - Fernsehgerät. Ein Schinken, das noch mit Röhrentechnik ausgestattet war. An einem jener Vorweihnachtstage lief auf einem Regionalprogramm ein Bericht über den rasant gestiegenen Güterverkehr an der polnischen Grenze. Der Grenzübergang Küstrin -  Kietz war Ausgangspunkt für jene Kurzreportage, die den ganzen Wahnsinn der sich weiter fortsetzenden, grenzenlosen Mobilität und des sich abzeichnenden globalen Handels aufzeigte.

Bei der Ein - und Ausreise von Deutschland nach Polen und umgekehrt hatten sich Kilometer lange LKW - Schlangen gebildet. Trotz der rund um die Uhr Abfertigung auf beiden Seiten der B1, die hier endete und auch vormals in dem zirka 880 Seelen Dorf begann.

Das Fernsehteam bewegte sich an der bis zum Horizont verlaufenden LKW - Kette vorbei. Es befragte Fahrer, die sowohl aus Polen, Deutschland und auch Russland kamen. Es waren auch Litauer, Letten und gar Esten dabei. Sogar Ukrainer standen in dem gigantischen LKW - Stau.
Einige warteten bereits mehrere Tage auf die Durchfahrt; andere mehrere Stunden, weil sie ganz vorne in der Schlange standen.

Eigentlich wollten die mehr als 1.000 Männer, die Trucker, an Heilig Abend bei der Familie, den Freunden und Bekannten sein. Doch daraus wurde in diesem Jahr nichts. Die Abfertigung war nicht langsamer als sonst. Nein, die Beamten fertigten die LKWs gar noch schneller ab. Doch es half nichts. Der Mega - Stau wurde nicht abgebaut. Er bliebt konstant bei zirka 20 Kilometern.
Länge.

Die meisten gezeigten Trucker sahen die Lage eher entspannt. Sie murrten nicht, muckten nicht auf, fluchten kaum. Das gehörte - nach ihren Berufsverständnis - zum alltäglichen Risiko einen Fernfahrers der damaligen Zeit. Viele hatten ihre Mini - Tannenbäume in dem Fahrerhaus platziert, andere waren mit Lebensmitteln versorgt, die sie in weiser Voraussicht bereits mit genommen hatten.

Einige Dorfbewohner, die das gesamte Ausmaß, das Elend auf der Straße mit bekommen hatten, kochten spontan heiße Getränke für die Trucker und verteilten diese unter ihnen. Andere verstanden die Welt nicht mehr. Wie konnte so etwas kurz vor Weihnachten passieren?

Ein Dorfbewohner wusste warum. Bei den polnischen Zollbediensteten hatte es einige Tage zuvor einen Warnstreik gegeben. Die Gewerkschaft verlangte mehr Geld und vor allem bessere Arbeitsbedingungen. Aber: Das war nur ein Teil des Desasters. Die Wahrheit lag woanders. Dieser, völlig veraltete Grenzübergang war dem Verkehrsaufkommen nach der Deutschen Wiedervereinigung nicht mehr gewachsen. Die vielleicht noch vor Jahren funktionierende Struktur kollabierte.

Ein befragter Ostbewohner bekam einen Weinkrampf und schluchzte vor laufender Kamera: " So können die mit den Menschen nicht umgehen! " Auch er hatte heißen Tee für die Fahrer gekocht und dort verteilt.

Einen Tag nach Weihnachten, dieses Jahres, in den frühen 1990ern, war der Spuk vorbei. Die Dienststellen auf beiden Seiten der Grenzen hatten ein Einsehen und ließen viele LKW, die schon zu lange dort standen, beinahe unkontrolliert passieren.

Weihnachten war aber vorbei. Doch das nächste Weihnachtsfest stand bereits wieder vor der LKW - Tür.

Die unhaltbaren Zustände am Grenzübergang Küstrin sind längst Vergangenheit. Was geblieben ist, sind jene inakzeptablen Arbeitsbedingungen der Berufskraftfahrer und nicht nur nur bei denen.



" Emancipator " - " First Snow " - " Soon It Will Be Cold Enough " - 2009:



 

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