Völkerwanderung
Gestern war der 13. Dezember. Ein grauer Tag. Es hatte über Nacht ein wenig gefroren. Danach wurde es tagsüber nasskalt. Richtig ungemütlich. Noch zwei Tage, dann steht der dritte Adventssonntag an. An diesem Tag hat sich die Verwandte aus der Dresdner Innenstadt zu einem vorweihnachtlichen Mittagessen angemeldet. Es wird Ente mit Thüringer Klößen geben. Das ist eigentlich ein richtiges Festmahl, aber da wir zu den Weihnachtsfeiertagen bei den Enkeln im befeindetet Nachbarfreistaat sind, haben wir das heimische Weihnachtsessen einfach einige Tage vorgezogen.
Es wird das letzte Weihnachtsfest sein, dass wir in Sachsen erleben dürfen. Im kommenden Jahr ziehen wir eben just nach Bayern - zu den Enkelkindern. Hierfür gibt und gab es eine Reihe von Gründen.
Einer ist, dass ein Hausgrundstück in der jetzigen Größe mit zunehmenden Alter nicht mehr bewirtschaftet werden kann. Aber auch dessen finanzielle Unterhaltung ist mit Eintritt in das Rentenalter nicht mehr zu realisieren. Also: Es soll verkauft werden. Lieber rechtzeitig als es in absehbarer Zeit dafür zu spät sein kann.
Warum können sich nicht viel jüngere Menschen mit einem Hausgrundstück in Stadtnähe, also an der Peripherie einer attraktiven Großstadt, versuchen?
Deshalb hatten sich gestern am späten Nachmittag weitere Interessenten über den Immobilienmakler zu einem Besichtigungstermin eingefunden. Ich war vor ihren Eintreffen abgefahren. Donnerstag ist nämlich der Einkaufstag. Und deshalb fuhr ich zunächst zum Bahnhof nach Dresden - Plauen, um hier meine bessere Hälfte abzuholen.
Der Tag hätte beinahe mit einem Crash geendet. Ein Vollpfosten aus " Mei " ( se ) nahm mir im Kreisel an der Tharandter Straße doch glatt die Vorfahrt. Dann war auf dem Parkplatz der ehemaligen Bienert Mühle kein Platz mehr frei. Seit einiger Zeit haben die dort ansässigen Firmen von dem Eigentümern beinahe alle Flächen gemietet oder sogar gekauft. Ärgerlich, aber Dresden boomt auch hier.
Ich drehte ein Ehrenrunde und stellte mich in die gegenüber liegende " Hofmühlenstraße ", parallel zur Weißeritz. Die alten Gebäude dort, die während des so genannten Jahrhunderthochwassers 2002 allesamt geflutete waren, gammeln so vor sich hin. Mutmaßlich stehen sie unter Denkmalschutz. Damit ist ein Abriss verboten; eine Restaurierung oder auch Sanierung finanzielle kaum zu wuppen.
Wir fuhren entlang der Weißeritz bis zur " Würzburger Straße "; dann auf der " Mohorner Straße " bis zur " Reisewitzerstraße ". Ich wollte gerade über die dortige Straßenkreuzung schießen, als eine dunkel gekleidete Frau mit einem Kind die gegenüber liegende Fußgängerseite passierte. Sie sandte mir drohende Blicke herüber. Sie hatte dazu allen Grund. Ich hätte warten müssen. Trotzdem echauffierte ich mich und zeigte ihr mit einer abwertenden Handbewegung, dass sie doch gefälligst schneller gehen möge, weil ich mitten auf der sonst stark befahrenen Straße stand.
Nun,ja, nobody is perfect und in der Dunkelheit des Dezembernachmittags sind alle Katzen grau.
Unser Einkauf dauerte zirka 1 Stunde. Auf der Rückfahrt stellten wir uns die wichtige Frage, ob der Makler mit den Interessenten noch im Haus sei. Als ich die Straße hoch fuhr, konnten wir jene Frage selbst beantworten. Er war nicht mehr im Haus, aber er stand mit den möglichen Käufern noch davor. Meine bessere Hälfte schlug sofort vor, weiter zu fahren. Das hätte ich sowieso gemusst, denn die Parkmöglichkeiten vor dem Grundstück waren allesamt belegt. So, wie zuvor auf dem " Bienert - Mühlen - Parkplatz ". Wir schauten uns aber dennoch die Interessenten kurz an. Es waren viele. Sehr viele. Viellicht vier Erwachsene und drei Kinder. Eine wahre Völkerwanderung!
Wir drehten eine Ehrenrunde und blieben für einige Minuten an der Raserstrecke " Wiesbadener Straße " stehen. Weder meine bessere Hälfte, noch ich hatten ein gesteigertes Verlangen nach abendlicher Kommunikation. Schließlich lagen seit dem Aufstehen bereits mehr als 14 / 13 Stunden dazwischen. Es war längst 19.00 Uhr. Der Makler hatte zirka 1 Stunde für die Besichtigung anberaumt. Ein wenig zu wenig, bei solchen Menschenmassen.
Während wir uns über den Besichtigungstermin im Auto unterhielten, fielen mir die unzähligen Bilder aus den Berichten zu und über die selbst verschuldete " Wohnungsnot " in den Ballungszentren und den Großstädten, wie Hamburg, Berlin oder natürlich auch München, in denen Hunderte Wohnungssuchende Schlange vor sowie in den Häusern stehen. Ein Wahnsinn im dritten Jahrtausend?
" Wohnungsnot "? Eigentlich nicht, denn außerhalb der Großstädte gibt es ausreichend Platz. Dort sind die Unterkünfte wesentlich billiger. Doch: Niemand möchte dort hin. Warum eigentlich nicht?
Während ich unseren japanischen Packesel wieder startete, erinnerte ich mich an das Heimspiel meines SV Werder Bremen gegen den ungeliebten Buli - Rivalen VFB Stuttgart. Dessen damaliger Trainer ließ gleich drei Spieler auf ein Mal auswechseln. Was der unvergessene Radiomoderator und damalige Stadionsprecher mit der Bemerkung: " Das ist keine Auswechselung, das ist eine Völkerwanderung- " quittierte.
Ich musste ein wenig schmunzeln, denn ich verglich den abgelaufenen Besichtigungstermin an jenem 13. 12. 2018 mit eben jener Völkerwanderung, die einst dem Stadionsprecher vorschwebte.
Dabei war diese, verglichen mit den Invasionen an anderen Orten, reinweg gar nichts.
" Flashmob " mit " " The Sound Of Silence " - 2018 - Live anlässlich der SWR 1 / RP - Hitparade bei den Burgfestspielen in Mayen:
Die 68er, sie leben: Hoch! Hoch! Hoch!
Hoscht doa noch Fraggä???
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