Der perfekte Mord?



Seit dem Ende unseres Weihnachtbesuchs lese ich die gesammelten Geschichten des Kollegen von Schirach, die dieser in seinem aktuellen Buch mit dem Titel " Strafe " zusammen getragen hat. Es sind kurze, knappe, prägnant wirkende Sätze, die hier von dem Autor genutzt werden, um menschliches Leid, Verfehlungen und sonstige Unzulänglichkeiten in einem Leben zu skizzieren. Der Autor hat mit diesem Schreibstil großen Erfolg. Seine Bücher wurden bekannt. Das Werk " Schuld " gar verfilmt.

In einem Kapitel seines Buches beschreibt er ein Verbrechen, dass nie gesühnt wurde, obwohl es als aufgeklärt und damit als Fall abgeschlossen gilt.

Für die Ermittler gilt ein solcher Fall als Super - Gau. Gleiches gilt für die Angehörigen des Opfers. Ein Strafverteidiger indes, kann, ja, muss auch damit leben.

In einer Strafrechtsveranstaltung an der Uni Bremen haben wir darüber diskutiert, ob ein Rechtsanwalt eine schwere Straftat den Ermittlungsbehörden mitzuteilen hat, wenn diese ihm bei seiner Berufsausübung zur Kenntnis gelangt. Der praktizierende Rechtsanwalt ist ein Teil des Rechtsstaates, des Rechtssystems in diesem Land. Er wird deshalb nicht von ungefähr als " Organ der Rechtspflege " qualifiziert. In dieser Eigenschaft hat er natürlich bestimmte Rechte und Pflichten. So auch die Schweigepflicht. Diese muss er berücksichtigen, wenn er mandatiert wird. Gibt ihm ein Mandant Informationen, so muss er diese zunächst für sich behalten. Er darf sie erst weiter geben, wenn er das Mandat ausübt. Erhält er also Kenntnis von einer Straftat, so muss er darüber schweigen.
Es sei denn, er wird von diese Pflicht ausdrücklich entbunden.

Wird der Rechtsanwalt jedoch zeuge einer Straftat, so muss er diese zur Anzeige bringen oder als Beobachter der Tat darüber aussagen.

Was ist aber in einem Fall, wenn der Anwalt lediglich Zeuge von Hörensagen wird? Muss er dann, wenn er von dem Täter, einem mutmaßlichen Mörder, über dessen Tat Informationen erhält, diese an
die Polizei oder die Staatsanwaltschaft weiter geben?

Auch in einer solchen Konstellation hat er zu schweigen, sofern er hierzu ein Mandat erhält. Sofern dieses nicht der Fall ist, würde eine Anzeige bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft aber zu keinerlei Konsequenzen für einen mutmaßlichen Täter führen, wenn dieser daraufhin die Tat bestreitet. Zeugen von Hörensagen sind für die Ermittlungsbehörden Beweismittel ohne Wert. Sie werden deshalb nur in einem Strafprozess als solche eingeführt, um das Umfeld einer Straftat oder das des Beschuldigten / Angeklagten genauer abzustecken.

In dem Fall mit der Überschrift " Nachbarn " schildert der Buchautor von einem - vermutlichen - Mord ( aus Eifersucht ). Die Tat spielt sich in einer besseren, bürgerlichen Wohngegend ab. Auch dort sind " niedere Beweggründe " als eines der erforderlichen Mordmerkmale, nicht unbekannt. Eifersucht ist nach der herrschenden Meinung in der Judikatur ein " niederer Beweggrund ".

Ein bereits betagter Mann verliert seine Ehefrau. Sie stirbt an Krebs. Er trauert. Er kommt über den Verlust nicht hinweg. Er wird regelmäßig an die Verstorbene erinnert, wenn er aus dem Schlaf aufwacht. Sein Leben könnte als einsam bezeichnet werden.

Eines Tages klingelt es an seiner Haustür. Eine fremde Frau steht davor. Sie stellt sich ihm als die neue Nachbarin vor. Sie unterhalten sich kurz. Die Nachbarin lädt ihn zu sich ein. Diese erinnert ihn frappierend an seine Ehefrau in jüngeren Jahren. Er sträubt sich deshalb, der Nachbarin einen Besuch abzustatten.

Später besucht er die Nachbarin doch. Beide kommen sich in freundschaftlicher Weise näher. Sie besuchen sich danach regelmäßig. Es entwickelt sich eine engere Freundschaft; eher ein freundschaftliches Verhältnis oder gar eine platonische Liebe.

Ihren Mann hat er bislang nicht kennengelernt. Er war immer beruflich unterwegs. Bis er eines Tages ihn eher zufällig unter dessen älteren PKW liegen sieht. Der Nachbar hatte diesen mittels zweier Wagenheber aufgebockt. Er begrüßt den unter dem Auto auf einem so genannten Roller liegenden Nachbarn. Der bewegte sich unter seinen Wagen hervor und erwidert den Gruß. Gleichzeitig erzählt er ihm, dass durch seine Frau sehr viel über ihn erfahren habe. Dann erklärt der Nachbar ihm noch, was er unter dem Auto mache. Die Ölwanne sei undicht. Er wolle versuchen, das Leck abzudichten.

Er verabschiedet sich von dem Nachbarn und wünscht diesem noch einen schönen Tag. Der Nachbar erwidert diese Floskel. Dann rollt er wieder unter sein Auto. Als von diesem nicht mehr als seine Füße zu sehen sind, tritt er auf die Stoßstange am Heck des PKW. Die beiden Wagenheber knicken sofort weg. Das Tonnen schwere Fahrzeug erdrückt den Nachbarn unter sich. Binnen weniger Sekunden verliert dieser sein Bewusstsein und stirbt nur wenig später.

Von der Tat hat niemand etwas mitbekommen. Als danach die Polizei eintrifft, geht diese und auch später der gerufenen Notarzt von einen tragischen Unfall aus. Nach der Beisetzung des Nachbarn spielt er den " Witwentröster ". Er kümmert sich nun noch intensiver um die Nachbarin. Sie erinnert ihn eben an seine verstorbene Frau. Gegen ihn wird - aus nachvollziehbaren Gründen - nie ermittelt.

Viele Jahre später offenbart er sich gegenüber seinen Anwalt.

Der Mord bleibt deshalb ungesühnt. Das deutsche Strafrecht wurde ausgehebelt. Es bleibt in einem solchen Fall völlig wirkungslos. So, wie in vielen anderen Fällen auch. Weil die Polizei und Staatsanwaltschaft keinen Anlass für ein Verbrechen sieht. Der den Totenschein ausstellende Arzt ebenso wenig. Ein vermeintlicher Unfall ist zwar kein natürlicher Tod, aber wenn es keine konkreten Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden gibt, werden keine strafrechtlichen Ermittlungen geführt.

Ein Rechtsanwalt als Verteidiger muss auch mit solchen Sachverhalten leben. Er kann sich, selbst als " Organ der Rechtspflege " nicht  zum Rächer gegen das ihm bewusste Unrecht aufschwingen. Wer sich damit nicht arrangieren kann, sollte die Finger vom Strafrecht lassen.

Wer es als Rechtsanwalt dennoch versucht, könnte alsbald zum Säufer werden.



George Thorogood & " The Destroyers " - " One Bourbon, One Scotch, One Beer " - 1977:







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