Der 6. Dezember 1989 oder: Wie Mirko Votava Diego Maradona entzauberte.



Am vergangenen Dienstag, den 04. 02. 2020 war es wieder einmal so weit. Die Mannschaften des SV Werder Bremen und des BVB 09 Borussia Dortmund sollten den Viertelfinalisten im DFB - Pokal der Saison 2019 / 2020 ermitteln. Dieses Spiel wurde ab 20.45 Uhr live im Ersten übertragen. Das Weserstadion war fast ausverkauft. Dieses, obwohl die Vorzeichen noch nie so klar waren, wie an jenem Dienstagabend im Februar des ersten Jahres im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends.
Und deshalb hätte es eigentlich schon eines erneuten Wunders an der Weser bedurft, um den bereits vorher fest gelegten Sieger aus Dortmund, dann doch als Geschlagenen vom Platz gehen zu sehen.

Nach 95 Minuten Nettospielzeit war das geschehen, was eher Wenige voraus sehen konnten. Die hoch favorisierten Dortmunder unterlagen knapp mit 2:3 Toren.

Hätte mich ein Außenstehender gefragt, wie das Pokalspiel ausgehen wird, so wäre meine Antwort gewesen: 4:1 für den BVB. So aber hieß es am Ende 3:2 für meine Werderaner. Dieses nicht gerade unverdient. Die Borussen aus Dortmund kamen bereits in der 1. Halbzeit nie so richtig ins Spiel. Es war über weite Strecken eher das uninspirierte Ballgeschiebe, dass ihnen zwar mehr als 75 % Ballbesitz erbrachte, jedoch keine Tore; der SV Werder Bremen jedoch deren zwei.

In der zweiten Hälfte waren die Dortmunder allerdings erfolgreiche und schossen deren zwei. Mein SV Werder allerdings auch ein Tor; womit am Ende ein 2:3 aus Dortmunder Sicht heraus kam.

Wer die aktuelle Bundesligatabelle zum Maßstab heran gezogen hat, der durfte eher ein umgekehrtes Ergebnis erwartet haben. Doch Pokal und Ligaalltag sind zwei verschiedene Paar Fußballschuhe. Das ist so neu nicht. Und auch die Erkenntnis, dass ein Favorit nicht immer gewinnt, dürfte längst bekannt sein.

So war es denn auch in den Begegnungen zwischen dem SSC Neapel und der SV Werder vor mehr als 30 Jahren. Die Neapolitaner mit dem " Mega - Star " Diego Armando Maradona, dem brasilianischen Nationalspieler Careca und den italienischen Auswahlakteuren Gianfranco Zola, Massimo Crippa und anderen mehr; sie waren auf dem Papier der haushohe Favorit.

Der SSC Neapel wurde einige Monate nach den beiden Spielen gegen die Werderaner erneut italienischer Fußballmeister. Wenn auch denkbar knapp vor dem AC Mailand und dem Stadtrivalen Inter Mailand.
Ein Jahr zuvor war der Klub Vizemeister und qualifizierte sich damit für den UEFA - Cup.

Der SV Werder Bremen hingegen landete nach dem Meisterjahr 1987 / 1988 als Drittplatzierter in die  internationalen Ränge; der Klub rangierte im November / Dezember 1989 auf einen Mittelfeldplatz, den er auch am Ende einnehmen würde ( Platz 7 ).

Zu Beginn der UEFA - Pokal - Spielzeit 1989 / 1990 traten die Italiener aus Napoli gegen den portugiesischen Vertreter Sporting Lissabon ( damals noch Sporting CP ) an und quälten sich jeweils über eine torlose Partie ins Elfmeterschießen, dass sie dann mit 4: 3 gewannen.

Der SV Werder Bremen bekam es mit dem norwegischen Verein SK Lillestroem zu tun. Beide Begegnungen gewannen die Bremer, nämlich mit 3:1 und 2:0.

In der 1. Runde des Wettbewerbs fielen aber sonst reichlich Tore und es gab zudem diverse Überraschungen. So gewann Austria Wien mit 3:0 / 1:0 gegen Ajax Amsterdam; die Franzosen vom A.J. Auxerre fertigten den albanischen Vertreter mit 5:0 / 3:0 ab und der FC Souchaux schickte den luxemburgischen Klub Jeunesse Esch gar mit 7:0 / 5:0 nach Hause.

Auch die westdeutschen Vereine waren erfolgreich:

Der 1. FC Köln besiegte den FC Nitra aus der Slowakei ( damals noch Tschechoslowakei ) mit 4:1 / 1:0; der Hamburger SV hatte es mit dem schwedischen Fußballklub Ökryte IS zu tun und gewann mit 2:1 sowie 5:1; der VFB Stuttgart spielte gegen den schwersten Gegner in der ersten Runde, nämlich Feyenoord Rotterdam und setzte sich mit 2:0 sowie 1:2 durch.

Die beiden DDR - Klubs spielten so:

FC Karl - Marx - Stadt - FC Boavista Portugal  1:0 und 2: 2

FC Hansa Rostock - Banik Ostrava ( Tschechoslowakei )  2:3 sowie 0: 4.


In der 2. Runde waren somit sämtliche Bundesligaklubs sowie der DDR - Oberliga - Vizemeister FC Karl - Marx - Stadt vertreten. Und das sollte auch für die 3. Runde gelten, denn:

Der Hamburger SV besiegte Real Saragossa mit 2:0 in der Verlängerung, weil er im Hinspiel mit 0:1 unterlag; der SV Werder Bremen hatte das Hinspiel im Weserstadion souverän mit 5:0 gegen den österreichischen Klub Austria Wien gewonnen, unterlag zwar im Rückspiel mit 0:2, kam aber dennoch ungefährdet eine Runde weiter. Das galt auch für den VFB Stuttgart. Die Schwaben besiegten Zenit Leningrad mit 5:0 und 1:0. Der 1. FC Köln hatte es mit Spartak Moskau zu tun und gewann zu Hause mit 3:1. Das Rückspiel endete 0:0.
Der DDR - Vertreter aus Karl - Marx - Stadt verlor zunächst 1:2 im Hinspiel, gewann gegen den FC Sion aus der Schweiz im heimischen Stadion mit 4:1.

Auch in der zweiten Runde tat sich Italiens Vertreter SSC Neapel sehr schwer. Die Mannen um Diego Maradona spielten gegen den Schweizer Klub zunächst auswärts 0:0, ehe sie das Heimspiel mit 2:1 gewinnen konnten.


Im Achtelfinale des Wettbewerbs wurden dann diese Begegnungen ausgelost:

Royal Antwerpen     -     VFB Stuttgart

Juventus Turin          -      FC Karl - Marx - Stadt

SSC Neapel              -      SV Werder Bremen

AC Florenz               -       Dynamo Kiew

Hamburger SV          -       FC Porto

SK Rapid Wien         -       RFC Lüttich

Roter Stern Belgrad  -     1. FC Köln

Olympiakos Piräus   -   A.J. Auxerre



Die Hinspiele wurden am 22. November, die Rückspiele am 6. Dezember 1989 ausgetragen.

Das Hinspiel in Neapel hatte der SV Werder Bremen völlig überraschend mit 3:2 gewonnen.  Das Siegtor erzielte Wynton Rufer. Bereits die Begegnung in der süditalienischen Hafenstadt war eigentlich für die favorisierten Neapolitaner eine Blamage.
Der Bremer Angreifer Frank " Der Lange " Neubarth hatte kurz vor der Pause die Grün - Weißen mit 1:0 in Führung gebracht. Karlheinz " Gummi " Riedle ließ unmittelbar nach dem Seitenwechsel das 2:0 folgen. Die beiden brasilianischen Nationalspieler Alemao ( 52. Spielminute ) sowie Careca ( 65 . ) sorgten für den Ausgleich. Das Spiel stand dann lange Zeit auf der Kippe. Aber auch ein Remis oder eine knappe Niederlage wären für den SV Werder ein Erfolg gewesen.

Dann kam Wynton " Kiwi " Rufer und schoss Werders Siegtor.


SSC Neapel
Alemao - Careca - Baroni - Carnevale - Ferrara - Francini - Fusi - Giuliani - Maradona - Napoli - Renica
SV Werder Bremen
Reck - Borowka - Bratseth - Otten - Bockenfeld - Eilts - Hermann - Votava - Neubarth - Riedle - Rufer




Am 6. Dezember 1989 folgte dann das Rückspiel im Bremer Weserstadion. Das Spiel war - wie beinahe alle internationalen Vergleiche der Werderaner in dieser Zeit - ausverkauft. Im proppenvollen Weserstadion traten ab 20.00 Uhr ( die ARD berichtete live, der Reporter war einst der HSV - Edelfan Peter Jensen, der zusammen mit Fritz " Fritze " Klein das physische Korrelat zu den Bazi - und Westvereinskommentatoren bildete ) ) die beiden Mannschaften erneut gegeneinander an.
Natürlich wollten Zehntausende den Weltstar Diego Armando Maradona sehen, deshalb waren Eintrittskarten in den bekannten Werder Verkaufsstellen nicht mehr zu bekommen.

Ich hatte mich als glühender Anhänger der Grün - Weißen bereits auf einen gemütlichen Fernsehabend in meinem Wohnumfeld in der Waterloostraße 50 in der Hansestadt eingerichtet, als mich einige Tage vor jenem Mittwoch, den 6. Dezember 1989, ein Anruf im Büro in der Hastedter Heerstraße 164 erreichte. Ein einstiger Mitbewohner des Mensa - Wohneims an der Leobener Straße 4 fragte mich doch tatsächlich, ob ich Lust hätte mit ihm im Weserstadion die Begegnung anzusehen. Er habe zwei Karten von seinem Vater erhalten. Dieser war zu jener Zeit Chefredakteur beim lokalen " Weser Kurier " und hatte wohl keine Zeit.

Natürlich hatte ich große Lust. Jedoch kein Geld, die Süd - oder Haupttribünen - Sitzplatzkarten bezahlen zu können.

Kurz nach dem Studium hatte ich eine kleine Kanzlei unserer einstigen Ausbilder zusammen mit einem Studienkollegen übernommen und dafür Kredite aufgenommen. Zudem lief diese eher schlecht. Weshalb wir uns Ende 1987 wieder trennten. Ich mietete Geschäftsräume in Hastedt an und ging danach meine eigenen Wege.

Nun ja, das Geld war sehr knapp. Also, konnte ich 85 DM für eine " exklusive " Südtribünenkarte meiner Werderaner nicht berappen.
Doch der Bekannte aus gemeinsamen Wohnheimzeiten beruhigte mich. Ich solle mir da keine Sorgen machen. Er habe das Finanzielle schon geregelt. Ich sagte selbstverständlich zu und freute mich wie ein Schneekönig auf Maradona und Co.

Der Mittwochabend kam. Wir trafen uns kurz nach 19.00 Uhr vor dem Eingangstor zur Südtribüne am Weserstadion. Mein Werder - Herz raste, als mir Frank die beiden Eintrittskarten zeigte, die er locker, lässig aus der Jackentasche zauberte. Er übergab mir davon eine Karte. Darauf stand der Eintrittspreis von 85 DM. Mir schlief das Gesicht ein. Das hätte ich mir niemals leisten können.
Doch: Auch für den Kollegen Frank wäre eine solcher Betrag so nicht zu wuppen gewesen.
Er wohnte nach wie vor im Mensa - Wohnheim und wollte dort promovieren. Sein Studium der Ökonomie hatte er zuvor erfolgreich abgeschlossen.

Da sein Papa ihn finanziell unterstützte, war die Promotion für ihn kein großes Problem. Und auch die beiden Eintrittskarten schenkte der Vater ihm so ganz nebenbei. Das war mein Glück - unser Glück.

Da saßen wir dann, inmitten der Bremer Prominentenschar. Es waren wohl auch einige Politiker, Unternehmer und sonstige Werder - Förderer anwesend. Ich nickte höflich als ich meinen Platz in den besten Reihen der Tribüne einnahm. Innerlich war ich aber aufgeregt.

Der damalige Werder - Manager Willi Lemke hatte die Begegnung an einen Hauptsponsor verkauft. Die " Mars Deutschland GmbH " mit seinem Hauptsitz im fast benachbarten Verden, durfte vor dem Spiel sowie in der Halbzeitpause ordentlich für seinen leckeren Schokoriegel die Werbetrommel rühren und ließ über den damaligen Stadionsprecher, den unvergessenen Christian Günther, beinahe im Minutentakt Werbesprüche über die Stadionlautsprecher auf die Zuschauer prasseln.

Denen wurde das nervige Werbegeplärre irgendwann zuviel und so intonierten die Westkurven - Besucher immer wieder " Maoam - Maoam - Maoam  ! "
Frank und ich lachten laut auf.

Dann wurde das Spiel angepfiffen. Werder machte von Beginn an Druck und ließ das Star - Ensemble um Maradona kaum zur Entfaltung kommen. Die Grün - Weißen wurden mit zunehmender Spieldauer immer überlegener. Bei den Neapolitanern ging nach vorne kaum etwas. Und wenn, stand die Abwehr um den Norweger " der Elch " Rune Bratseth, Uli Borowka, ein Kämpfer, wie er im Buche stand, und dem bissigen, mit einer hervorragend Zweikampftechnik ausgestattet Jonny Otten, wie ein Bollwerk.

In der 25 Minuten wurde der SVW für seine engagierte Laufleistung und das couragierte Auftreten belohnt. Karlheinz " Gummi " Riedle nutzt eine Rückgabe der Italiener zu dem Torhüter Guiliano Guiliani  aus, indem er den Ball abfängt und mit dem rechten Fuss das Leder im Tor versenkt.

Zur Halbzeit stand es somit 1:0 für die Werderaner. Nach einem Wechsel auf der neapolitanischen Seite ( Carnevale für Baroni ) rollte dann die grün - weiße Angriffsmaschinerie richtig an. Der Neuseeländer Wynton " Kiwi " Rufer erzielte nach einem Solo auf der rechten Außenbahn das 2:0. Zweifelsohne begünstigt durch den Torwart Guiliani, der den Ball in die rechte, untere Torseite eindrehen ließ.

5 Minuten später verlässt Gianfranco Zola, der italienische Nationalspieler das Feld. Für ihn spielt Alessandro Renica. Der war nur knapp 2 Minuten auf dem Feld, als Karlheinz Riedle erneut trifft. " Gummi " Riedle nutzt eine riskanten Querpass der Neapolitaner in der eigenen Hälfte und sprintet zwischen den verdutzten Abwehrspieler hindurch auf das Tor zu, wo er das Leder zum 3:0 in die Maschen jagt.

In der 70 Minute treffen dann auch die Gäste durch Careca zum 1:3. Der Brasilianer im Trikot des SSC Neapel lupft den Ball an Rune Bratseth vor, über Oliver Reck in den oberen rechten Torbereich.
Ein wunderbarer Treffer, der die wirklich Klasse des Spielers aufblitzen lässt.

5 Minuten danach lässt Otto Rehhagel den Norweger durch Gunnar Sauer ersetzen. In der 84 Spielminute kommt Thomas Wolter für Manfred Bockenfeld auf den Platz.

Danach erzielen Gunnar Sauer ( 88. Minute ) sowie Dieter Eilts ( 90. Minute ) das 4 und 5 : 1.

Das Weserstadion tobte bereits nach den 2:0 und sang Minuten lang " O, wie ist das schön. So was hat die Welt noch nicht geseh´n! ".

Frank und ich standen mit auf und gaben stehende Ovationen für die Mannschaft ab.

Tja, und was war mit dem besten Fußballer der Welt? Mit dem Argentinier Diego Armando Maradona? Er war kaum zu sehen. Er entschwand in der Namenlosigkeit der SSC Neapel - Stars, die an jenem Abend in jenem denkwürdigen Rückspiel des Achtelfinales im UEFA - Cup den laufenden, kämpfenden und clever spielenden Bremern nichts entgegen zu setzen hatten. Die Mannschaft um Diego Maradona war eigentlich nur ein Torso, denn sie wurde von Grün - Weiß in ihre Einzelteile zerlegt.

Diego Maradona bekam gegen den im defensiven Mittelfeld agierenden Mirko Votava keinen Stich. Wenn ein Ball in Richtung des Argentiniers flog oder gepasst wurde, war Mirko Votava vor diesem Weltklassespieler und blockte, grätschte mit fairen Mitteln oder köpfte ihm die Kugel ab.

Mirko Votava schaltete den Superstar der Neapolitaner über die gesamten 90 Minuten vollständig aus. Die enthusiastisch aufgelegten Werder - Fans skandierten einige Minuten vor dem Ende spöttisch: " Diego, Diego, hahaha! "

Der kleine Argentinier saß nach Abpfiff der Begegnung wie ein Häufchen Elend im Mittelkreis und verstand die Welt nicht mehr. SSC Neapel war mit Bausch und Bogen aus dem Wettbewerb geflogen.





https://www.transfermarkt.de/spielbericht/index/spielbericht/942065



https://www.dfb.de/datencenter/europa-league/1989-1990/achtelfinale/sv-werder-bremen-ssc-neapel-611084

Die UEFA - Cup - Reise des SV Werder ging indes bis zum Halbfinale weiter. Dort schalteten sie die belgische Vertretung des RFC Lüttich mit 4:1 / 0:2 aus. Dann geriet Werder an eine weitere italienische Mannschaft. Gegen den AC Florenz schied Werder wegen der Auswärtstoreregelung mit 1:1 ( Hinspiel ) und 0:0 ( Rückspiel in Florenz ) gegen den späteren Finalisten aus.

Pokalgewinner wurde eine Mannschaft aus Italien, nämlich Juventus Turin.


https://de.wikipedia.org/wiki/UEFA-Pokal_1989/90


Nun, 30. Jahre danach und mit Blick auf die aktuelle Bundesligatabelle muss ich mich als Werder - Fan wirklich fragen: Quo vadis, Grün - Weiß?

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