Kein Garten Eden
Nach unserer
Gartenverschönerungsaktion setzte ich mich bei einem Glas Mineralwasser an den
Küchentisch und hörte die aktuellen Nachrichten im Radio. Während dieser kurzen
Zeitspanne erinnerte ich mich an jene Jahre, in denen ich nach dem Kriegsdienst
in Munster / Lager, das Fachabitur an der FOS in Stadthagen nachholte. Der so
genannte Zweite Bildungsweg war ja vor allem für jene jüngeren Menschen
eingeführt worden, um ihnen eine gewisse Chance bei einem beruflichen Aufstieg
zu vermitteln. Dieser Weg war allerdings sehr steinig und bedeutete alle Male
materiellen Verzicht. Während andere aus meinem Jahrgang bereits längst Geld
verdienten, musste ich mich mit einem kargen BaföG - Satz von etwa 350 DM
zuzüglich Kindergeld begnügen. Deshalb wohnte ich erneut in dem elterlichen
Haus. Von den knapp 350 DM knöpfte mir meine Mutter gleich 150 DM ab. Ebenso
strich sie das Kindergeld und den gewährten Kinderzuschlag den der Öffentliche
Dienste gewährte, ein.
Bei erhaltener Kost
und Logis nicht unbedingt ein faires Geschäft. Einschränkend dazu muss ich
erklären, dass meine Eltern aus einfachen Verhältnissen kamen und schon deshalb
sehr materialistisch eingestellt waren. Wie dem auch sei, das Geld spielte
immer eine große Rolle. Deshalb starteten beide verschiedene Versuche, das
Portemonnaie und den Kontostand zu füllen. Dieses geschah nach dem
Grundprinzip:
Legal? Illegal?
Scheißegal!
Zumindest half es,
den eigenen Wohlstand zu mehren. Das war zum größten Teil das emsige Bestreben
der westdeutschen Proletarier. Sie setzten - soweit ihnen nicht durch äußere,
nicht beeinflussbare, widrige Umstände persönliche Grenzen gesetzt waren -
ziemlich alles daran, um durch Konsum den Stallgeruch des eigenen Daseins in
der einstigen Arbeiterklasse abzulegen. Dabei halfen so manches Mal glückliche
Umstände, wie sie über zwei Dekaden der Ort Bad Eilsen durch den massiven
Ausbau des Kurbetriebs geboten hatte. Die vielen tausenden kurenden Arbeiter
der LVA und nicht wenige alte Berliner Witwen, sie brachten alsbald das Geld,
für das sich komfortabel leben, konsumieren und reisen ließ.
Aber, ich möchte
nicht unhöflich sein, denn ohne die Schwarzarbeit der Eltern, ohne das damit
vorhandene dritte, respektive vierte Gehalt, wäre es uns als Kinder nicht
möglich gewesen, später eine bessere Ausbildung zu erhalten. Daran dürfte sich
bis zum heutigen Tage nur marginal etwas geändert haben.
Doch: Der Tag hat
nur 24 Stunden, wovon der Durchschnittsmensch mindestens 7 bis 8 Stunden
verschläft. So verbleiben denn - Jahreszeit abhängig - zwischen knapp 8
bis höchstens 16 Stunden übrig, innerhalb derer die Möglichkeiten gegeben sind,
den eigenen Wohlstand zu mehren.
Davon müssen
allerdings von Montag bis Freitage mindestens 8 Stunden Netto - Arbeitszeit
abgezogen werden. Diese werden allerdings bezahlt. Wenngleich wesentlich
geringer als jene freischaffenden Tätigkeiten rund um die eigene
Geldvermehrung.
So stellte sich
denn auch für meine Eltern häufiger die Frage, wie die anstehenden Hausarbeiten
erledigt werden können, wenn die Tageszeit eben begrenzt ist?
Ganz einfach: Es
werden die dort mitlebenden Kinder eingespannt.
Dieses voraus
geschickt, kam unsere Mutter eines Tages auf die famose und sehr
arbeitsintensive Idee, den Garten - wir sprechen hier von mindestens 800 m² Fläche
- umgestalten zu wollen. Einst war es ein reiner Nutzgarten, in dem sich viele
Beerensträucher, mehrere Obstbäume sowie Beete befanden, mit Hilfe derer die
familiäre Grundversorgung sicher gestellt werden konnte.
Viele Jahre später
wandelte sich das Bild des eigenen Grundstücks völlig. Es bestand überwiegend
aus Rasenfläche und einem unbepflanzten Rand. Das sollte sich nunmehr
grundlegend ändern. Die innovativen Vorstellungen unserer Mutter lauteten:
Weniger Rasen, mehr Zierbewuchs, keinerlei Nutzpflanzen mehr.
Sodann begann sie
ihre Grundidee sukzessive in die Tat umzusetzen. Die Beerensträucher wurde samt
und sonders ausgebuddelt und entsorgt, die Rasenfläche weiter abgetragen und
stattdessen von einem nahe gelegenen Gartenbaubetrieb einige Dutzend Sträucher
und Nadelgehölze besorgt.
Da sich unser Vater
gegen jene drastische Umbaumaßnahme vehement sträubte; es deshalb über Tage zu
einem Ehekrach kam, entschloss sich unsere Mutter kurzerhand, quasi in einer
Art von Nacht - und Nebelaktion, die Gartenumgestaltung allein in die Hand
nehmen zu wollen. Der Haussegen hing deshalb - wie gesagt - über einen längeren
Zeitraum schief.
Eines Nachmittags,
ich hatte meine Schulstunden an der FOS zu Ende gebracht und kam gegen 13.30
Uhr aus Stadthagen zurück, lag wieder einer jener ominösen Notizzettel auf der
Küchentheke. Darauf stand sinngemäß, dass ich die arbeitende Mutter von der LVA
abholen möge.
Die Tageslaune der
Hauseigentümerin war nicht gerade gut; ich bin geneigt, so 45 Jahre nach dem
ominösen Pflanztag, zu sagen, sie schien eher miserabel zu sein. Den Grund
dafür kannte ich zunächst nicht. Erst Jahre später wurde mir klar, dass es
zuvor eben einen handfesten Streit zwischen beiden Elternteilen gegeben haben
musste. Der sich sträubende Ehemann war - wie jeden Tag - nach Feierabend zu
einer seiner Schwarzarbeitsstellen gefahren. Deshalb sollte ich auch die Mutter
abholen; zumal meine Schwester sich längst von Zuhause verabschiedet hatte und
mein Bruder auch in einer WG auf dem Lande lebte. Damit wurde ich zum Solisten
für die abverlangte Garten - Fronarbeit.
Zuhause angekommen
offenbarte sie mir ihren Tagesplan,. der vorsah, ab 15.00 Uhr zu der einige
Hundert meter entfernt liegenden Baumschule / Gärtnerei fahren zu wollen, um
dort Pflanzen einzuladen.
Gesagt - getan!
Ich wuchtete eine
Vielzahl von sorgsam verpackten Grünlingen in meinen R4, bei dem ich zuvor die
Rückbank herunter geklappt hatte, fuhr mehrere Male zu dem Verkaufsstand bis
sämtliche Pflanzen abgeholt waren.
Da standen sie nun
und harrten der Dinge, die da noch kommen würden. Nach einer Tasse Kaffee ging
es sodann wieder heraus an die frische Luft. Es muss wohl ein bereits kühler,
leicht dunstiger Herbsttag gewesen sein, als ich den Spaten aus dem Schuppen
neben der Garage des elterlichen Grundstücks holte.
Ich hatte meine
älteste Jeans und einen Pullover sowie eine alte Jacke meines Vaters angezogen.
Es war bereits weit nach 16.00 Uhr als die Riesen - Pflanzaktion startete.
Unsere Mutter zeigte mir zielgenau an, wo ich die Löcher in den Boden
auszuheben hatte, um darin peu a´peu rund 30 Gewächse zu versenken. Nach und
nach verringerte sich das stattliche Aufgebot der neben dem Rasen in Reih und
Glied stehenden grünen Freunde.
Nach zirka 1 1/2
Stunde - es wurde bereits leicht dämmerig - war die Pflanzorgie beendet. Alle
gekauften Grünlinge hatten ihren neuen Platz gefunden. Ich goss die neuen
Mitbewohner noch - so wie es sich für einen guten Hobby - Gärtner ziemt - noch
ordentlich an. Dann säuberte ich den Spaten, den Rechen und ließ die
Umverpackung in der Mülltonne verschwinden.
Das war´s!
Zirka 25 Jahre
später ließen meine Eltern, inzwischen aus dem Berufsleben ausgeschieden, durch
eine Fachfirma für relativ viel Geld sämtliche einst angepflanzten Bäume und
Sträucher heraus reißen. Viele von ihnen, insbesondere die Nadelgehölze waren
mehr als 20 Meter hoch. Mit dem Abholzen der Bäume und Büsche verschwand bei
mir auch die Erinnerung an jenen überraschenden Arbeitseinsatz an jenem
Herbsttag des Jahre 1975, als ich als billige Arbeitskraft zwar keinen Garten
Eden anlegen durfte, dafür aber den Ehekrach der Eltern beenden half.
Immerhin, das grüne
Paradies, der später eingewachsene Garten, war so etwas wie jenes Refugium, das
sich Eden nannte. Wenn auch ohne einen verbotenen Apfelbaum.
THE NOTWIST - One Step Inside Doesn´t Mean You Understand - Neon Golden - 2002:
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