Ruth, Rolf, Gerry Rafferty´s " Baker Street ".

 



Der 7. August 2024 soll noch mal so richtig knackig heiß werden. So um die 30 ° C und etwas darüber. 

Wie warm oder heiß der vor 50 Jahren war, weiß ich nicht mehr so genau. Aber dafür gibt es entsprechende Informationen auf eine der vielen, unendlichen vielen Seiten auf einem der Wetterportale. Hier ist nachzulesen, dass die ersten Augusttage in Norddeutschland nicht so toll waren. Dann stiegen die Temperaturen steil nach oben. Es wurde warm, fast zu warm, weshalb sich einige lokale Unwetter - nicht nur - in Teilen Niedersachsen entluden und enorme Schäden verursachten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Hagelunwetter_vom_16./17._August_1974

An diese Ereignisse kann ich mich nach einem halben Jahrhundert nicht mehr erinnern. Wohl aber daran, dass es einst in der niedersächsischen Provinz ansonst nicht so heiß her ging. Die angebotenen Freizeitmöglichkeiten waren eher gering. Während der einst noch laufenden Sommerferien reduzierten sie sich auf den Besuch einiger Kneipen in Bückeburg, aber auf jene - längst nicht mehr existierende " Kneipe mit Musik ", die einst unter den Besuchern und in der Szene nur kurz " Kanbach " genannt wurde.

Hier fuhr ich ab und an in und mit meinem weinroten R4 hin und blieb dort meistens bis weit nach Mitternacht. Irgendwann nahm ich an der " Tramperecke " in Stadthagen unter anderen einen etwas jüngeren Besucher der selbst ernannten " Kneipe mit Musik " mit. Wir unterhielten uns während der Fahrt auch über Musik. Schnell stellte sich heraus, dass er beinahe meinen Geschmack teilte. 

Vier Jahre später traf ich ihn zufällig wieder. 

 Seine Haare waren inzwischen wesentlich kürzer. Er hatte den Barras hinter sich gebracht, lebte in einer Wohngemeinschaft irgendwo auf dem Dorf zwischen Bückeburg und Minden, jobbte manchmal für einige Wochen und lebte eher von der Hand in den Mund. Er hieß Rolf. Seinen Nachnamen kannte ich nicht. Irgendwann hatte es Rolf nicht mehr in Berlin, wo er hingezogen war, um sich eigentlich vor dem Wehrdienst zu drücken, es in der zu jener Zeit geteilten Stadt nicht mehr ausgehalten und zog zurück in seinen Geburtsort. Dort wohnte Rolf eine Zeit lang bei seinen Eltern. Die trieben ihn jedoch ständig an, eine Arbeit in seinem erlernten Handwerksberuf aufzunehmen.  Dann kam die Einberufung zum Wehrdienst. Er verließ das Elternhaus und kehrt nur an den Wochenenden zurück.

Nach dem Kriegsdienst schlug sich Rolf, der einen Platz in einer Wohngemeinschaft gefunden hatte, mit Gelegenheitsjobs herum. Ab und zu verkaufte er Haschisch und andere Drogen. 

Ich erzählte ihm kurz, was ich in den knapp vier Jahren seit unserer ersten zufällig Begegnung hinter mich gebracht hatte. Zweiter Bildungsweg, Fachabitur, Beginn des BWL - Studiums in Wilhelmshaven. Studienortwechsel nach Bremen und abgelegtes Vordiplom.

Unsere Lebensläufe konnten somit nicht unterschiedlicher sein. 

Ich hatte keine große Lust an jenem Abend, an dem wir uns wieder sahen, noch irgendetwas zu unternehmen. Doch Rolf brachte es tatsächlich fertig, mich umzustimmen. Wir besuchten noch das " Minchen ", eine Kneipe in Bückeburg. Und dort traf ich einige meiner Bekannten, mit denen ich noch ab 1974 die ansonsten öden Abende beim Kicker verbrachte. Wir entschlossen uns, die alten Zeiten aufleben zu lassen und spielten Runde um Runde. Der Abend wurde spät. Ich fuhr Rolf nach Hause.

Aus dem Zufallstreffen wurden einige Verabredungen. An einem dieser Abende kickerten wir gegen einen einstigen Schulkollegen und dessen Freund Karl. Dieser Karl war eingefleischter Fan von Eintracht Braunschweig. Seiner Leidenschaft zu diesem Klub ließ er bei jedem Tischfußballspiel freien Lauf. Dazu soff er gut ein Dutzend " Jägermeister ". Für mich war - obwohl ich gebürtiger Niedersachse bin - dieser Verein vollkommen inakzeptabel und " Jägermeister " eine üble riechende und dazu viel zu süß schmeckende Plürre.

Karl war zu jener Zeit mit einer jungen Frau liiert, die Ruth hieß. Sie war allenfalls 1,55 cm groß, dünn wie eine Bohnenstange und hatte kurze, schwarz gefärbte Haare. Ruth hasste, wie sie mir später erzählte Fußball, die typischen Kneipen, in denen sich alte Kerle and er Theke mit Bier, Korn und anderen Schnäpsen die Hocke voll soffen und demgemäß auch " Jägermeister ".

Ruth war gelernte Frisöse. Sie arbeitete in einem Geschäft mit dem Namen " Heise " in Bad Eilsen. Dieses Geschäft gab es noch vor einigen Jahren. Der Frisörsalon hatte einst in Bad Eilsen eine Art von Alleinstellung und war deshalb immer gut bis sehr gut ausgelastet. Hier trafen sich auch die Alteingesessenen des Ortes zum Small Talk. Zu den Stammkundinnen zählte vormals auch unsere Mutter. Sie ließ sich eine im Monat ihre Haar mit Lockenwickeln malträtieren. Das kostete zwar schon damals nicht gerade wenig Geld, aber da die Vermietung von Fremdenzimmern auf steuerfreier Basis glänzend lief, konnte " Muddern " sich das schon locker leisten.

Und sie fuhr bei den Frisörterminen mit dem sportlich akzentuierten Renault R 15 in metallic - blauer Farbe schnittig vor, stieg dann mit Sonnenbrille und im dezenten Outfit aus. " Muddern " war durchaus kommunikativ, sabbelte aber dabei nicht nur über das Wetter, Hans Rosenthal´s " Dalli Dalli " oder irgendeinen Schauspieler Hansl bzw. eine Schlager - Tussi, sondern über Auslandsurlaube, über uns als ihre Kindern, die studieren sowie den Fußballsport. Das machte Eindruck, Nicht nur bei dem Geschäftsinhaber.

An jenem Abend, als wir unsere Kräfte an dem Tischfußball - Automaten maßen, kam ich während der Pause mit Karl´s Begleitung ins Gespräch. Dabei konnte ich nicht wissen, dass sie mich an einem Vormittag an dem ich " Muddern " zum Frisör fuhr, beobachtet hatte. Sie wusste somit mehr über mich als umgedreht.

Nun, es ergab sich, dass wir uns näher kennenlernten. Während einiger Gespräche schwärmte sie denn in den höchsten Tönen von " Muddern ", ihrem forschen Auftreten und dem " tollen " Auto. Die Prioritäten der guten Ruth schienen demnach vollkommen andere zu sein als die meinigen. Ich machte mir nix aus Autos. Sie waren ein notwendiges Bewegungsmittel, dass mir ein Stück Freiheit versprach, um aus dem Mief der Provinz ein wenig mehr zu machen und dabei andere Menschen kennenzulernen.

So auch Ruth aus dem nahe gelegenen Dorf Müsingen bei Bückeburg.

Bei einem weiteren Treffen mit ihr, wollte ich ein wenig mehr über ihr familiäres Umfeld wissen. Sie erzählte mir, dass sie noch eine Schwester und einen Bruder habe und ihr Vater als Heizer arbeite. Okay, dass er damit mehr Geld verdiente als " Muddern " bei der LVA in Bad Eilsen sagte ich ihr natürlich nicht. Schließlich war das Äußere, dass sie in meiner Familie sah, für sie wichtiger als die Beantwortung der Frage, woher die Knete für all den gezeigten Wohlstand kam.

An einem Abend im August 1978 holte ich sie aus Müsingen bei Bückeburg mit meinem französischen Gartenstuhl, den Renault R 4 ab. Sie besaß zwar einen Führerschein, hatte aber selbst kein Auto, denn das konnte sie sich nicht leisten, obwohl sie noch zu Hause, also bei ihren Eltern wohnte. Wir fuhren nach Bückeburg ins Treppchen, einer Kneipe, die damals in den Kellergewölben unterhalb eines Hotels - und der darin befindlichen Gaststätte in der Bückeburger an der Schulstraße existierte. Und dort traf ich zufällig Rolf wieder. Er hatte inzwischen mal wieder einen Hiwi - Job in Bückeburg angenommen. 

Finanziell schien es ihm einigermaßen gut zu gehen. Allerdings lebte er immer noch in der WG kurz vor Minden. Wir unterhielten uns ausgiebig. Dabei betrachtete und beobachtete Rolf die unserem Gespräch lauschende Ruth eher distanzierten Blicke; ja, eher argwöhnisch. Nun Rolf bekam nach einiger Zeit Hunger. Er bestellte sich in der Kneipe eine Portion Spaghetti Carbonara. Als die Kneipenbedienung diese an unseren Tisch brachte, legte Rolf richtig los. Er schlang die Nudeln mit einem Heißhunger in sich hinein. Er fraß eigentlich wie ein Schwein am Trog. Ich schaute ihn dabei entgeistert an und lachte laut los, als er den Berg Spaghetti in einer Rekordzeit verspeist hatte und sogar den Teller fein säuberlich auskratzte.

Ruth beobachtete ihn dabei mit großen Augen. Ich bin mir heute nicht mehr so ganz sicher, ob sie die Spaghetti - Fressorgie von Rolf in dieser Form je wieder zu sehen bekommen hat. Fakt ist aber: Der Mann hätte dafür einst einen Eintrag in das Guinness - Buch der Rekorde verdient gehabt. 

Rolf war fertig mit dem Essen und just in diesem Moment spielte die Bedienung hinter dem Tresen den aktuellen Song von Gerry Rafferty mit dem Titel " Baker Street ". Diese Art von Musik interessierte mich nicht. Ich hatte seit Jahren keinen blassen Schimmer, was in den internationalen und den westdeutschen Hitparaden platziert war. Mein Hauptaugenmerk lag auf Rockmusik und davon war seit langem in den Charts nichts zu hören.

Doch Rolf sah das nicht so eng. Er zog Ruth an den Armen hoch und legte einen flotten Disco - Fox auf den leichte welligen Steinfußboden der Kneipe hin. Ruth konnte ja Disco - Fox, denn sie bat mich bei unserem Besuch in der biederen, popeligen Diskothek " Ponderosa ", die sich zu jener Zeit noch in der Bückeburger Schulstraße befand, mit ihr zu dem Disko - Müll, der dort abgedudelt wurde, zu tanzen. Ich bügelte ihr Ansinnen ab. Nicht meine Welt, gab ich ihr unmissverständlich zu verstehen.

Auch hier waren wir in der Lebensweise sehr verschieden.

Ich traf sie später im " Minchen " noch einmal. Sie war wieder mit ihrem Karl zusammen. 

Als ich kürzlich während der Fahrt zum Supermarkt eben jenes Lied von Gerry Rafferty in dem Sender " Absolut Oldie " nach vielen Jahren wieder hörte, erinnerte ich mich an jenen Sommer 1978 und fragte mich, was wohl aus den beiden Begleitern von einst geworden ist.

  


HICKORY WIND  -  Transit Blues  -  1969:



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Was ist eigentlich aus dem Gilb geworden?