Wenn der Fernseher ewig läuft



Seit mehr als 5 Jahren wohnen wir in Eching. Seitdem hat sich nicht nur hier in der Gemeinde vieles verändert. Vor allem auf dem Bau - und Wohnungssektor hat sich einiges getan. Es ist Wohnraum hinzu gekommen. Der Ort wird damit nicht nur hierdurch größer. Auch auf dem Arbeitsmarktsektor hat sich der Bevölkerungszuwachs ausgewirkt, denn wo die Einwohnerzahl steigt, wird auch die Kaufkraft erhöht.

Eching, eine zirka 15.000 Bürger umfassende Gemeinde, von der ich einst nur am Rande gehört hatte, ist vor einigen Dekaden wegen einer Besonderheit groß heraus gekommen: Ein für Westdeutschland einmaliges Wohnprojekt machte zum Ende der 1970er Jahre Schlagzeilen. Das Konzept von Leben und Wohnen wurde in der hiesigen " Trezzanostraße " in einer besonderen Form umgesetzt. Es entstanden so genannte Split - Level - Reihenhäuser, die zusätzlich in ein verkehrsberuhigtes Umfeld eingebettet sind.

Einige Dutzend in etwa Gleichaltrige ließen sich vornehmlich von der aus den südlichen Regionen Europas üblichen Bauweise überzeugen und starteten ihr dabei immer noch individuelles Neubauprojekt. Dieses dauerte zum Teil bis zu fünf Jahre, ehe sie ihre Vorstellungen verwirklicht sahen.
Eine lange Phase des wohnlichen Improvisierens konnte dann zu Beginn der 1980er beendet werden.

Das ist nun über 45 Jahre her. Ein langer Zeitraum also, in dem sich hier ebenfalls vieles geändert hat. Einige der Baupioniere haben das Reihenhaus wieder verkauft, weil sie aus unterschiedlichen Gründen wegzogen; andere wiederum bewohnen nur noch einen Teil des Objektes, weil deren Partner verstarb oder die hier aufgewachsenen Kinder auszogen.

Diese Umstände treffen zum Teil auch auf unsere Nachbarn Vis -  a -´vis zu. Bei der gegenüberliegenden Familie verstarb vor 14 Jahren der Ehemann im Alter von 70 Jahren. Seitdem lebt die Hauseigentümerin zusammen der der verheirateten Tochter, deren Mann und der Enkeltochter sowie einem weiteren Verwandten in dem Haus. 

Die Witwe ist längst Rentnerin. Sie verbringt ihre Zeit zumeist alleine. In den Sommermonaten fährt sie zu einem gepachteten Garten in der Nähe des Bio Hofes in Hollern. Dort fährt sie dann mit ihrem alten Damenfahrrad hin, verweilt hier für einige Stunden und kehrt manchmal erst in den Abendstunden zurück. In ihrem Fahrradkorb liegen dann nicht selten die typischen Garten - oder Feldblumen. 

K., die Nachbarin mit den schlohweißen Haaren, die sie immer zu einem Dutt zusammengebunden hat, dürfte wohl um die 80 Jahre alt sein; ihre Tochter vielleicht Mitte bis Ende 50. Deren Tochter hat im vergangenen Jahr das Abitur an einer griechischen Schule in München abgelegt. Sie studiert jetzt BWL mit dem Schwerpunkt Tourismusmanagement - mutmaßlich an der " Fresenius Hochschule. Das bietet sich durchaus an, zumal diese zweisprachig aufgewachsen ist, denn ihr Vater ist gebürtiger Grieche.
Für den erfolgreichen Schulabschluss gab es von ihrer Großmutter und oder den Eltern einen BMW Cabrio. Auch wenn dieser schon reichlich betagt ist, so sieht er doch immer noch elegant aus. 

Wir wundern uns nur ein wenig darüber, denn das mehr als 45 Jahre alt müsste eigentlich neue Fenster bekommen; die beide Balkonbrüstungen sind aus Holz und nicht mehr ansehnlich ( vielleicht auch baufällig ). Ein professioneller Holzschutzanstrich täte ihnen durchaus gut. Die Gardinen an sämtlichen Fenstern haben ihre besten Tage bereits hinter sich. Sie sehen nicht nur piefig aus, sondern auch von der Sonne ausgebleicht. 
Die Garage ist voll gestopft mit alten Farbeimern, Holzteilen und abgelegten Kartonagen. Deshalb müssen alle vier PKW in der Familie im Freien stehen. Auch der zur Nordseite hin gelegene Garten ist nicht gerade gepflegt.

Summa summarum: Das Split - Level - Reihenhaus könnte einige Verschönerungsarbeiten vertragen. Doch, wer soll diese ausführen? Die Hauseigentümerin? Sie dürfte kräftemäßig dazu nicht in der Lage sein. Deren Tochter? Sie geht irgendwo in München an einer Rezeption arbeiten und dieses - des Geldes wegen - in Schichten. Der Schwiegersohn? Er betreibt ein kleines griechisches Restaurant und hat kaum Zeit. Die Enkeltochter? Sie hält mehr von Mode und geleckten Outfit und hat zwei linke Pfoten.

Nun wohnt die alte Witwe K. weiterhin vor sich hin. Eher freudlos, denn Urlaube gönnt sie sich nicht. Sie kleidet sich auch nicht so modebewusst wie ihre Tochter und Enkelin. Auch sonst erkennen wir keine großartigen Aktivitäten bei Frau K. Dafür läuft die Glotze nahezu rund um die Uhr. Das Fernsehgerät schimmert dann bläulich durch die halb zugezogenen Jalousien. Dennoch erkenne ich, welche Sendungen sie offensichtlich präferiert. Es sind Rate - und Quizshows. Die haben den Vorteil, dass sie ständig werktäglich eingeschaltet werden können und die kognitiven Fähigkeiten schärfen.
Was sonst so bei Frau K. läuft kann ich nicht sagen. Ab Einbruch der Dunkelheit schließt sie ihre Jalousie vollkommen, so dass nur noch ein heller Schimmer von dem laufenden TV - gerät zu sehen ist.

Wir haben uns gefragt, ob Frau K. vor der laufenden Glotze einschläft, denn dass Gerät ist bis in die frühen Morgenstunden angeschaltet. Dieses Konsumverhalten erinnert mich immer an den letzten USA - Aufenthalt. Dort flimmern die Fernsehe - Kisten rund um die Uhr. In der Küche, im Wohnzimmer, im Foyer der Hotels, an den Rezeptionen der Pensionen und Ferienanlagen.

Vermehrter TV - Konsum kann daraufhin deuten, dass die zwischenmenschliche Kommunikation fehlt. Sie könnte im laufe der vielen Jahren bei der Witwe K. und nach dem frühen Tod ihres Mannes vollends verloren gegangen sein. So reduziert sich Unterhaltung auf jene Form des passiven Fernsehguckens. 
Eine traurige Entwicklung, wenn drei Generationen eher wortlos nebeneinander, aber aneinander vorbei leben. Oder die Umsetzung der modernen Kommunikation? Wie heißt es da zutreffend?

" Früher redeten wir miteinander, heute kommunizieren wir nur noch! "
   



GOLEM  -  Jupiter & Beyond   -  Orion Awakes  -  1973:











 













 



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