Meine Problematik



Vor einigen Tagen habe ich einen Kommentar auf der Facebookseite der Schriftstellerin Jana Hensel eingestellt. Ich wollte mich zu einem Artikel ihrer Kollegin Maike Nedo äußern, die sich über das Allgemeinbefinden der Ostdeutschen nach der Wende ausließ. Da es in diesem Beitrag, der in der Wochenzeitschrift " Die ZEIT " erschien, eigentlich nicht so viel neue Erkenntnisse zu vermelden gab, formulierte ich einige, eher kritische Gedanken zu jenem, von Frau Hensel selbst verlinken Artikel. Nach dessen Durchlesen fiel mir sofort auf, dass es sich hierbei um eine der Autorinnen handelt, die die DDR erst ab den 1970er Jahren erfahren durfte und demgemäß zur Wendezeit so um die 10 bis 19 Jahre alt waren.

Eigentlich viel zu jung, um verstehen zu können, was es bedeutet hätte, weitere Jahre, vielleicht sogar einen nochmal zu langen Zeitraum im einst real existierenden Sozialismus zu leben. Die Gnade der späten Geburt hat ihnen die Sicht auf die sehr oft schwierigen Lebensumstände in den zweiten deutschen Staat nicht mehr ermöglicht. Dennoch fühlen sich eine Reihe von Autoren aus diesen Jahrgängen berufen, viele Erlebnisse in jener nur kurzen Zeit ihres eigenen Lebens im Nachgang bewerten zu müssen, ohne dabei die Zusammenhänge zu verstehen.

So, wie es in dem unten benannten " ZEIT " - Artikel beschrieben wird, so sollen es auch jene Jahrgänge in ihrer Jugend empfunden haben. Das mag zwar zutreffen, aber es kann eben nicht verallgemeinert werden. Nach meinem Kenntnisstand war die DDR - Gesellschaft kein in sich homogenes Konstrukt, in dem jeder Einzelne mit identischen Problemen zu kämpfen hatte. Sie vielmehr ein zwangsweise zusammen geführtes Gebilde, dass von außen her durch die SED - Apparatschiks geführt und kontrolliert wurde und innerhalb von einer Schattenwirtschaft, die sich durch individuellen Beziehungen des Einzelnen definierte, geprägt.

Das die Führung des selbst ernannte Arbeiter - und Bauernstaats nun krampfhaft versuchte den Lebensstandard der eigenen Bevölkerung zu verbessern, dürfte aber dennoch unbestritten sein. Wer - so wie es die zitierte Autorin - noch die Wohnverhältnisse der Großeltern oder gar der Urgroßeltern kennen gelernt hat, der dürfte sich sehr wohl als sozial aufgewertet gefühlt haben.
So habe ich es jedenfalls nach meiner Kindheit und Jugend empfunden, die mit jener der Großeltern und Eltern deckungsgleich sein könnte, wie jene,  die von Maike Nedo in ihrem Artikel skizziert wird.

Aus dem Bereich der relativen Armut und in dem des kontinuierlichen Aufstiegs kamen nur jene Familien, die es verstanden über so genannte Schwarzarbeit und sonstige Tricksereien sich materiellen Wohlstand anhäufen zu können. Wer in dem Armutssumpf stecken blieb, der gelangte auch nicht in die so genannte Mittelschicht. Der fuhr kein Mittelklassewagen, konnte sich keinen Urlaub im Ausland oder sonst wo leisten und dessen Kinder blieben auch Arbeiter oder kleine Angestellte, ohne großartige Aufstiegschancen.

Diese Ost - West - Vergleiche gehen mir heutzutage gewaltig auf die Nerven. Wenn eine Autorin aus der einstigen DDR, die in den 1970er Jahren geboren wurde, jetzt über ihre DDR - Zeit schreibt, sind dieses nur Fragmente der gesellschaftlichen Entwicklung, die dort aufgeführt werden. Die DDR existierte in diesem Jahrzehnt bereits mehr als 20 Jahre. In diesem Zeitraum hat sich viel verändert. Und deshalb sind auch die Menschen, die in dem Arbeiter - und Bauernstaat lebten, sehr wohl sozial aufgestiegen.

So, wie ich es auch in meiner Kindheit empfunden habe, als die Kohleöfen abgeschafft wurden, als das erste Mal fließend warmes Wasser in dem Haus meiner Eltern lief und als diese uns den ersten PKW vorführen durften.

Ich musste mich deshalb davor und danach nicht verstecken, nur weil ich aus einem Malocher - Haushalt kam. Zu einem späteren Zeitpunkt allerdings, als die schulische Entwicklung mir selbst einen Weg vorzugeben drohte, den ich nicht wollte, verkroch ich mich für einige Jahre in mir selbst. Statt zu Saufen, Drogen zu nehmen und früh eine eigene Familie zu gründen, las ich Bücher, Zeitungen und hörte Nachrichten.

Jeder ist des Glückes eigener Schmied, lautet eine Binsenweisheit. Mag sein, aber besser ist immer noch Goethe und:

Auf des Glückes großer Waage
steht die Zunge selten ein:
Du mußt steigen oder sinken,
du mußt herrschen und gewinnen
oder dienen und verlieren,
leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.


Vor vielen Jahren erhielt ich ein Mandat von einer ehemaligen DDR - Bürgerin aus Sachsen. Sie war vor der Wende 1989 irgendwie in die BRD " nüber gemacht ". Sie lebte zunächst in Bremen in einem so genannten Übergangswohnheim. Sie soff. Sie machte Schulden bei den damaligen Versandhäusern. Sie kam dann nicht mehr klar. Dann kam die Einheit. Die Mandantin besorgte sich irgendwie von irgendwo aus ihrer Heimat Geld. Wir führten ein Schuldenmoratorium erfolgreich durch. Dann empfahl ich der Klientin sich einen Knilch anzulachen und erneut zu heiraten. Einige Jahre später rief sie mich wieder an. Sie hatte einen Bauunternehmer aus der Nähe von Oldenburg geheiratet. Der bezahlte ihre Schulden.
Sie soff immer noch. Aber machte keine neuen Schulden.
Ich gratulierte ihr zu der Entscheidung. Immerhin hatte sie einen sozialen Aufstieg geschafft.
Als " Zonenkind " im Westen.
Wenn die Mandantin zu einem der vielen Gesprächstermine kam, phrasierte sie ständig etwas von ihrer Problematik. Die war aber nicht in ihrer Vergangenheit in der DDR zu suchen, sondern eher dort, wo sie danach lebte.

Gut´s Nächtle mit:

Shania Twain - " That Don´t Impressure Me much " :













http://www.zeit.de/2017/53/heimat-rueckkehr-ostdeutschland-pegida-karl-marx-stadt

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