Fahrt in den Ruin




Die Grenze zwischen Europa und Asien ist seit je her umstritten, sofern es um eine völkerrechtliche Definition geht. Die physische Grenzziehung ist indes klar definiert:



Tatsächlich gibt es keine völkerrechtliche Definition dieser Grenze. Unumstritten als Grenzen zwischen Europa und Asien sind die Meeresengen der Dardanellen und des Bosporus, das SchwarzeMeer, das Kaspische Meer und die Wasserscheide des Ural.





Wer also mit dem Fahrzeug jene physische Linie, die Europa und Asien trennt, überfahren möchte, hat bei seiner Fahrzeugversicherung einen Ergänzungsvertrag abzuschließen. Anderenfalls droht ihm im Falle eine Unfalls ein möglicher Totalverlust seines Gefährts. Die Versicherungskonzerne hatten dieses in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen so vorgesehen. Doch nur selten wurden die Kunden bei Vertragsabschluss darauf hingewiesen. Wer zudem ausländische Wurzeln hat, die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, kann - sofern er überhaupt einen Versicherungsvertrag erhält - deshalb sein Blaues Wunder erleben.


An einem Tag, so Ende der 1980er Jahre bekam ich einen Anruf einer Mandantin, die mich bat, eine Rechtssache für ihren Vater zu übernehmen. Ich kannte bereits einige der anderen Familienangehörigen. Sie stammten allesamt aus der Türkei, waren zu Beginn der 1970er von dort nach Bremen gekommen, um dort zu arbeiten und wohnten einst irgendwo in der Vahr. 

Der Vater war viele Jahre als Schweißer tätig; die Mutter arbeitete bei Nordmende am Band. Beide Arbeitgeber des türkischen Ehepaars, die aus der Stadt Balekisir stammten, gingen pleite. Beide verloren danach ihre Arbeitsplätze. Während der Vater in unregelmäßigen Abständen über eine Leihfirma noch Arbeitsstellen fand, blieb die Mutter bis zur späteren Verrentung als Putzhilfe tätig.

Vater D. indes machte sich ab den späten 1980ern rar. Er wohnte längst nicht mehr mit seiner Frau zusammen, hatte eine Geliebte und kümmerte sich eher wenig um seine Familie. Die zwei Söhne und zwei der drei Töchter zogen von zuhause aus. Sie führten ein eigenes Leben. 

Ihr Vater auch. Er kaufte sich einen chicen Mercedes, eine Limousine, einen Jahreswagen, der so viel kostete, wie ein Jahresgehalt als Schweißer. Doch Vater D. war kaum noch berufstätig. Er verdiente sein Geld auf andere Weise. Deshalb konnte er den Mercedes auch bar bezahlen. 

Mit diesem großen Daimler Benz wollte er in jenem Sommer dann in seine Geburtsstadt Balekisir fahren. So, wie es zu jener Zeit einige Hunderttausend Türken aus Deutschland auch machten. Er fuhr also über die deutsch - österreichische Grenze nach Ungarn, über das damalige Jugoslawien nach Bulgarien. Die Route betrug damals mehr als 3.000 Kilometer.

Vater D. fuhr alleine und wollte keinen Zwischenstopp einlegen. Nach seiner Einreise in die Türkei soll er kurz vor der Stadt Edenit wegen Übermüdung von der Fahrbahn abgekommen sein und einen Unfall verursacht haben. So stand es jedenfalls in dem später übersetzten Polizeibericht. Der Mercedes sei - laut des vor Ort eingeholten Gutachtens eines Kfz - Sachverständigen - als wirtschaftlicher Totalschaden einzustufen.

Vater D. erschien deshalb nicht selbst in meinem Büro, sondern ließ sämtliche Unterlagen, darunter auch das Ablehnungsschreiben der Colonia Versicherung in mein Büro bringen. Nun war ich gefragt. Ich prüfte die Rechtssache und kam - genau wie die Versicherung - zu dem Ergebnis, dass D. keinen Ersatzanspruch gegenüber der Versicherung hat, weil er den Unfall auf der asiatischen Seite der Türkei versucht hatte und dafür keinen Versicherungsschutz besaß. 
Er hatte nämlich keinen Vertragszusatz abgeschlossen, wonach die Kaskoversicherung auch für Schäden im außereuropäischen Ausland eintritt.

Ich teilte D. das Ergebnis mit. Doch seine Tochter bestand auf dessen Version, dass die Versicherung zu zahlen hat. Also reichte ich Klage gegen die Versicherung ein. Den Prozess verlor D. Auch den Berufungsprozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. D. bekam keinen Pfennig von seinem angeblichen Schaden ersetzt.

Immerhin musste er die Prozesskosten nicht bezahlen. D. besaß damals eine Rechtsschutzversicherung. Und einige Monate später auch eine Eigentumswohnung in Balekisir. Denn D. hat den Mercedes längst weiter verkauft, der fuhr später irgendwo zwischen Gaziantep herum, gehörte einen reichen Heroinhändler und war keineswegs wirtschaftlicher Totalschaden.

Die ganze Unfallgeschichte war fingiert. Sie wurde " getürkt " - um es auch so auszudrücken. D. lebte seitdem wieder in seiner Geburtsstadt. Der gekaufte Mercedes, die Edel - Karosse sollte nur sein Startkapital für einen neuen Lebensanfang mit seiner Freundin sein. Die mir vorgegaukelte Fahrt in den Ruin war demnach gar keine.

Das reale Leben hält doch immer wieder Überraschungen bereit.



" The Myrrors " - " Liberty In The Streets " - " Entranced Earth " - 2016:








Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Widerspruch zwecklos!