Post aus einem fernen Land





Die letzten vier " SPIEGEL " - Hefte befassten sich mit dem all gegenwärtigen Thema " Corona ". Die an den Artikeln dazu beteiligten Redakteure versuchten dem Leser ein möglichst umfassendes und tief greifendes Bild zu den gegebenen Verhältnissen in Deutschland, in einigen Ländern Europas und - soweit überhaupt noch möglich - den Kontinenten abzugeben.
Das ist dem Hamburger Nachrichtenmagazin m.E. größtenteils gelungen. Ohne eine wertende Frage nach der Schuld zu stellen, beschreiben die meistens Beiträge aber zum Teil die absolute Hilflosigkeit der Menschen in den von dem Virus stark heimgesuchten Ländern.

Italien zählt auch dazu.  Aus dem arg gebeutelten Land schreibt die Schriftstellerin Francesca Melandri. In Form eines Briefes appelliert sie an alle Deutschen, sich an jene persönlichkeitseinschränkende Maßnahmen zu gewöhnen, die in ihrem Heimatland längst vorherrschen und das Leben auf ein Minimum des menschlichen Daseins und der daraus entstandenen Grundbedürfnisse, administrativ beschränken.

Frau Melandri versucht dem Leser näher zu bringen, was es heißt, sich mit dem täglichen Tod beschäftigen zu müssen. Er lauert in diesen Krisenzeiten quasi hinter jeder Hausecke. Covid - 19 ist überall. Nicht nur in Italien, dass mit mehr als 13.500 Toten momentan die Spitzenposition in Europa und sogar der Welt einnimmt. Spanien folgt dem Stiefelland mit einem gehörigen Abstand.  Covid - 19 Tote werden in täglich bekannt gegeben Statistiken erfasst. Nüchterne Zahlen, die die Johns - Hopkins - University in den USA als hierzu federführenden Institut veröffentlichen.

Hinter jedem Toten muss eine ausgelöschte Biographie zu sehen sein. Jeder Tote ist ein Toter zuviel. Doch viel dramatischer als die gezählten Toten, entwickelt sich die Situation in Italien für die dort Lebenden. Die Italiener trifft der " Corona " - Hammer mit voller Wucht. Dabei werden jene Versäumnisse, jene leichtfertig verspielten Chancen, jedem Italiener in seinem Land ein menschenwürdiges Leben ermöglichen zu können, gnadenlos offenbart.

Jetzt zeigt sich aber auch, ob die EU robust genug ist, um jene gigantische Krise zu meistern. Wäre gestern Abend nicht die Nachricht gesendet worden, dass die EU ein Notfall - Programm von 100 Millionen Euro aufgelegt hat, dem Betrachter hätten weitere, nicht von der Hand zu weisende Zweifel kommen müssen. Der Begriff Solidarität wird wieder strapaziert werden. Er beinhaltet vor allem, dass die Wohlhabenden, die Privilegierten und hier die Gesunden, den Ärmeren, den Abgehängten, den Kranken helfen.

Solidarität darf zwar nicht missbräuchlich benutzt werden, um jene Missstände, die " Corona " jetzt ausnahms - und schonungslos aufdeckt, alsbald, nämlich wenn der Spuk hoffentlich vorüber gegangen ist, weiter zu zementieren.
Frau Melandri beschreibt in ihrem Brief eben jene Zustände in Italien, die aufzeigen, dass ein Land im Ausnahmezustand sich tatsächlich anders verhält. Die Normalität ist abgeschafft worden. Die von Menschenhand erzeugte Seuche bestimmt das eigene Leben und das der anderen Menschen. Der Tagesablauf wird überwiegend in den eigenen Wohnumfeld gestaltet. Frau Melandri skizziert in ihrem Brief, wie dieser häufig aussieht.

Essen, schlafen, nachdenken. Viele werden zunehmen, noch mehr lachen, andere ihre Frauen schlagen. Die Mehrzahl wird mit Verwandten, Freunden, Bekannten telefonieren. Einige versuchen sich zuhause über virtuelle Fitnesskurse die zeit zu vertreiben, andere wiederum verabreden sich bei Lebensmitteleinkauf. Es werden Kinder gezeugt, Kinder geboren, Kinder beaufsichtigt - auch Kinder misshandelt.

" Man wird euch sagen, wie sehr die Gesellschaft in dieser gemeinsamen Anstrengung eins ist, dass ihr alle im selben Boot sitzt. Das wird wahr sein. Diese Erfahrung wird für immer eure Wahrnehmung der einzelnen Individuen verändern.
Dennoch wird die Klassenzugehörigkeit einen Unterschied ausmachen. In einem Haus mit Terrasse oder Garten eingesperrt zu sein oder in einem überfüllten Sozialbau: Das ist nicht dasselbe. Ebenso wenig wie zu Hause arbeiten zu können oder zu sehen, wie die eigene Arbeit den Bach runtergeht. Dieses Boot, in dem ihr alle gemeinsam sitzt, um die Epidemie zu besiegen, wird nicht für alle gleich aussehen, weil es nie für alle gleich war. "

- Zitatende - aus: " DER SPIEGEL ", 14 / 2020, S. 112.


Für Italien gilt dieses, für die gesamte Iberische Halbinsel, für die osteuropäischen Länder                  auch. Italien hatte bereits vor Jahrzehnten strukturelle Armut. In den 50er und 60er Jahren zog es deshalb viele Menschen nach Westdeutschland. Sie wurden hier Gastarbeiter genannt.  Die globalisierte Wirtschaft und der Massentourismus haben dieses zunächst zugekleistert.
Der Tourismus ist vollständig zum Erliegen gekommen. Das wird den notdürftig reparierten Riss in der Gesellschaft, die sich nach wie vor in Reich und Arm spaltet, wieder aufbrechen lassen.
       
Das Boot, in dem wir alle, eigentlich die gesamte Weltbevölkerung, sitzen, wird nicht sinken. Es wird allerdings noch weiter Schlagseite bekommen. Dadurch gehen viele Menschen über Bord und werden vielleicht ertrinken.
Viele Länder werden sich nach dem das Virus dort gewütet hat, ob es in der bisherigen Art und         Weise weitergehen kann. Ob die hemmungslose Reiselust aufgrund der Dumpingpreise in der           Touristikbranche weiter geduldet werden darf. Ob die Ausbeutung der Arbeiter in den                       Billiglohnländern, die für die wohlhabenden Staaten Waren und Dienstleistungen erbringen, in         dieser Form fortsetzbar ist. Die " Corona " - Krise wird alsbald eine Weltwirtschaftskrise                   nach sich ziehen.           


Beim Lesen des Appells von Francesca Melandri fiel mir eine Textpassage des Liedes " Stürmische Zeiten, mein Schatz " von Konstantin Wecker ein:



Stürmische Zeiten, mein Schatz,
doch oft tragen die Stürme
Botschaften fernerer Himmel in unsere Welt,
und es ist immer der Hochmut der prächtigsten Türme,
der allen voran in Staub und Asche zerfällt.
Es scheint fast, als drehte die Erde sich
ein wenig schneller,
die Starrköpfigsten schielen wieder mal auf den Thron.
Jetzt rächen sich wohl die zu lange zu vollen Teller
und manchem bleibt nur noch der Schlaf
und die Träume des Mohn.


 Sollte er schon damals, den mahnenden Finger hebend, eine solche Krise erahnt haben?



FRANK MARINO & MAHOGANY RUSH  -  World Anthem  -  1978:



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