Der Arsch am Mittwoch heißt Biberach
In diesen, so unruhigen Zeiten, fällt es so manchem Durchschnittsmichel schwer, die Koordinaten für seine eigene Lebensplanung irgendwie zu setzen. Überall droht nämlich Ungemach, das sich rasant schnell in eine mittlere Sinnkrise umwandeln kann. Überall und nirgends hört, sieht sowie spürt er zudem, dass das Dasein nicht mehr so ist, wie vielleicht noch vor einem halben Jahrhundert, als es noch kein Internet gab, in dem Millionen Nutzer nur Lügen und Schwachsinn verbreiten dürfen.
Inmitten dieser Irrungen und Wirrungen zeigen dann auch noch wütende Bauern, streikende Bahnbedienstete oder vom Rechtsradikalismus genervte Gleichgesinnte, dass die Straßen und öffentlichen Plätze, die noch vor vielen Jahren eher der eigenen Fortbewegung oder der Massenbespassung dienten, nun plötzlich zu Orten des Protesten mutiert sind.
Das Leben ist unruhiger geworden. Dieses, obwohl nach 16 Jahren des Merkel´schen Verwaltens von Wohlstand, billigen russischen Gas und verordneten Sicherheitsdenken, eigentlich eine solide Basis für ein geregeltes Sein , auch in der Zukunft, hätte vorliegen müssen.
Doch, dem ist nicht so.
Es geht auch weiterhin um knallharte Verteilungskämpfe. Wer von dem Wohlstandskuchen einige Krümel abhaben möchte, der muss sich mehr denn je ordentlich ins Zeug legen.
Vielleicht sind vor diesem Hintergrund die kriminellen Ausraster jener angeblichen Bauern in der kleineren, aber spießigen Stadt Biberach im baden - württembergischen Kreis Tübingen am vergangenen Mittwoch, den 14. Februar 2024 zu sehen?
Demonstrationen haben für viele immer noch einen etwas anrüchigen Charakter, weil sie dann wohl doch die eigenen Gesinnung zutage bringen könnten? Wie auch immer, es hat sie aber immer schon gegeben, denn die Gesellschaft und ein sich demokratisch aufrichtender Staat leben mit ihnen.
Ist es aber den mit Traktoren der oberen Preisklassen bewehrten Landwirten erlaubt, eine Parteiveranstaltung der " GRÜNEN " zu blockieren und diese verhindern?
Auch wenn die einst von der CSU zelebrierten Hetztiraden gegen politisch Andersdenkende, heutzutage eher in zumeist gemäßigter Form über die Bühne gehen und der müde Abklatsch der übrigen Parteien allenfalls einige Anwesende zu höflichen Applaus animiert, zählen diese aber längst zur Tradition.
Da ist der Krawall an jenem Mittwoch im " Ländle " schon eine andere Hausnummer. Ändern werden die Bauern mit solchen rechtswidrigen Aktion aber nichts. Die Wurzel des Übels liegt nicht in der Streichung von nahezu unbedeutenden Subventionszahlungen, sondern im Wirtschaftssystem an sich. Jeder Landwirt ist nicht nur ein solcher, sondern vornehmlich Unternehmer, der sich den Marktbedingungen zu unterwerfen hat, wenn er überleben möchte.
Da muss er sich schon ordentlich krumm legen, um überleben zu können. Der Druck, auf dem Markt weiter existieren zu können, ist immens. Da kommt so mancher auf krumme Ideen, wie er seine eigene Betriebssituation dauerhaft verbessern kann. Einst, also vor mehr als einem halben Jahrhundert, setzen die Landwirte massenhaft gesundheitsschädliche Chemie ein, um die Erträge zu steigern und den vielen unnützen Lebewesen, die von dem landwirtschaftlichen Anbau mit profitieren wollten, den Garaus zu machen.
Dass dabei der Verbraucher, der die mit Chemiekeulen behandelte Waren letztendlich als Nahrung aufnimmt und damit Gesundheitsgefahren entstehen, war den Produzenten egal. Der Ertrag, der Umsatz und der Gewinn standen in den Vordergrund. Hinzu kamen später betrügerische Geschäftsmodelle, die sich an Skandalen, wie jene, als Weinbauern aus Österreich ihre Erzeugnisse mit Glykol panschten, als Viehbauern ihre überzüchteten, kranken Rinder dennoch in die Schlachthöfe verbrachten oder als industriell erzeugte Hühnereier mit giftigen Substanzen durchsetzt waren und dennoch in den Handel kamen.
Die Liste der Verbrechen von Bauern, Großbauern und ähnlichen Unternehmern, lässt sich beliebig fortsetzen.
Als dann nach und nach dem munteren Treiben ein Riegel mittels Gesetzen, Verordnungen und hierauf fußenden Kontrollen vorgeschoben wurde, mussten die Ausfälle der Landwirte per Ersatzzahlungen in Form von überbordenden Subventionen kompensiert werden. Außerdem war jetzt die Größe der so genannten Betriebseinheiten ein gewichtiger Faktor. Die ging mit Monokulturen einher. Der gemeine Landwirt, zum Überleben verdammt, musste sich spezialisieren.
Damit wurden bereits vorhandene Großbetriebe immer größer, viele Landwirte gaben auf oder ließen sich die vorhandenen brach liegenden Ackerflächen durch Entschädigungszahlungen vergüten.
Das Preisdiktat des Handels, der durch gigantische Ketten, die in der Hand weniger Unternehmer liegen, hat natürlich auch zu dieser unguten Entwicklung beigetragen. Inzwischen ist längst ein Oligopol entstanden, dass ohne weitere Umschweife bestimmen kann, was und wofür der Landwirt seine Erzeugnisse anzubieten und abzugeben hat. Hier sollte die Politik die Daumenschrauben ansetzen.
Der blinde Aktionismus der Landwirte wird an den jetzigen Zuständen rein gar nichts ändern. Auch wenn eine, auch durch die Berichterstattung in den Medien aufbrachte Meute, so wie im schwäbischen Biberach ihren Frust ablassen und in einigen, nämlich vor allem rechtsradikalen und anderen einfach strukturierten Hirnen zu den Bauern - Protesten Verständnis geheuchelt wird.
Ist Biberach überall? Nein!
JETHRO TULL - Living In The Past - 1969:
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