Echinger Wochenrückblick



Als vor mehr als 30 Jahren der erste und - mutmaßlich - letzte sozialistisch ernannte Staat auf deutschem Boden sein knapp 40jähriges Bestehen aushauchte, als die so genannte Wende aus dem DDR - einen Bundesbürger mit Konsum - Rausch - Ambitionen machte und als dann aus Berlin nicht nur die Hauptstadt der Deutsche Demokratische Republik wurde, verschmolz sodann ein Teil des unterschiedlichen Vokabulars in ein aus Anglizismen geprägten Kauderwelsch des hyper - modernen Technologie orientierten Deutschland.

Aus dem Fundus der in dem ostdeutschen Bruderstaat kreierten Wortschöpfungen verblieb kaum noch ein Begriff, mit dem die Generationen ab 1990 Plus heutzutage etwas anfangen können. Der real existierten DDR - Sprech wurde ignoriert und eingestampft. Schade, denn so manches Wortkonstrukt könnte als Sinnbild der DDR eigenen Selbstironie herhalten.

Wenn meine bessere Hälfte aus dem unendlich großen Sammelbehälter der längst abgelegten DDR - Nostalgien wieder etwas heraus kramt und mir dazu eine - sehr oft - lustige Geschichte, die de facto einst einen bitteren Beigeschmack hatte, schildert, muss ich auch 15 Jahre nach meinem Entschluss als Exil Bremer und gebürtiger Niedersachse häufig noch staunen.

Zu den ost - westdeutschen Gemeinsamkeiten indes zählt bei uns die Affinität zu einfacher Küche; sie muss indes nicht germanisch sein und schon gar nicht Fleisch überladen. Was es mit dem Begriff " Sättigungsbeilage " in diesem Zusammenhang auf sich haben könnte, hat mir meine bessere Hälfte einige Male erklärt.

Eine eher arrogante Erklärung kann hier nachgelesen werden:

https://deutsche-delikatessen.de/typisch-deutsch-bier-brot-wurst/saettigungsbeilage/


Eine wissenschaftlich - neutrale ergibt sich hieraus:


https://de.wiktionary.org/wiki/Sättigungsbeilage


Und die Erkenntnis, dass auch die " besseren " Deutschen in unserem Nachbarland Österreich zu Kartoffel und Co. ihre eigene Begrifflichkeit entwickeln durfte, könnte hier erklärt worden sein:


https://de.wikipedia.org/wiki/Beilage_(Speise)

Wie dem auch immer sei, ob Beilage, Sättigungsbeilage oder Zuspeise, die Begriffe geben eigentlich eine kulinarischen Nebenkriegsschauplatz wieder. Eigentlich? Heutzutage, also in der Konsum - Terror - Gesellschaft mit ihrem krank machenden Fast Food - Wahn und dem indoktrinierten Weg - Werf - Konzepten, spielen solche Begrifflichkeiten keine tragende Rolle mehr. Gleichwohl uns das alles verblödende Privat - Fernsehen und das belehrende Öffentlich - Rechtliche mitsamt ihren inflationären Koch - Show - Angeboten, dem Bequemlichkeitsgenen des sich von Werbemüll und anderen Äußerlichkeiten eingekauften Bürgers zu einer Rückkehr in die eigene Küche und einer Umkehr zu eigenen Kochkünsten verleiten möchte.

Als die DDR noch existierte, gab es diese Probleme in jener geballten Form nicht. Die real existierende, sozialistische Mangelwirtschaft und der chronisch klamme, nach Devisen - Quellen lechzende SED - Unterdrückungsapparat, ließen die eigenen Bürger darben. Fleisch gab es - wenn überhaupt - nur mit Vitamin B. Wer dieses nicht besaß, stand alsdann vor und in den sattsam bekannten " Fliesenläden ". Auch die in der Bevölkerung kursierende Definition von " Konsum " ( Kauft ohne nachzudenken schnell unseren Mist ) zeigt, dass zwischen Verbraucher - Anspruch und planmäßiger Erfüllung desselben, eine gewaltige Realitätslücke klaffte.

Der Luxus des Essen gehen, wie er - zurzeit wegen Tante " Corona " nur mäßig ausgeprägt - nach der Wende auch von den einstigen DDR - Bürger kritiklos weiter entwickelt werden konnte, war in Zeiten des real existierenden Sozialismus mangels ausreichender Angebote weder umsetzbar, noch entsprechend stark ausgeprägt. Da war Improvisation gefragt. Dennoch gaben die Speisekarten nicht mehr her, als das, was in dem maus - grauen Alltag jenseits der innerdeutschen Grenze üblich war.

Und so gehörte zu dem sehr überschaubaren Angebot vieler , staatlich limitierter Gaststätten, die obligatorische Vorsuppe. Indes konnte der zunächst lange vorher wartende Hungrige nur zwischen zwei Arten auswählen. Die klare Suppe, aus Fleischbrühe mit einem mittig der Tasse / des Tellers schwimmenden aufgeschlagenen Hühnerei und die aus leicht undefinierbaren Zutaten kreierte Soljanka, zu deren Bestandteilen all jene Fleischreste und Zutaten zählten, die nach der geschlagenen Schlacht übrig geblieben waren.

Soljanka made in GDR war indes sehr nahrhaft, womit dieser Suppe ein hoher Sättigungsgrad beigemessen werden konnte. Immerhin befanden sich in dieser eigenwilligen Mischung eine Reihe von Lebensmittel, die der DDR - " Normalo ", eben ohne das erforderliche Beziehungsgefüge nei zu sehen bekam.

Nun, wer einen eigenen Haushalt mit dem Anspruch seine individuellen Kochkünste ausprobieren zu dürfen, führt, dr sollte sich auch heutzutage immer vor Augen führen, dass es viele Regionen auf unserem Planten gibt, in denen Millionen Menschen täglich hungern müssen und vielfach den Hungertod erleiden, weil eben nicht genug Nahrung vorhanden ist. Diese Erkenntnis vorausgesetzt, ergibt sich von selbst, dass Lebensmittel nicht so einfach in den Abfall weggeworfen werden sollten.

So überprüften wir dann auch am gestrigen Nachmittag den Kühlschrank nach etwas älterer, noch genießbarer Wurst. Aus jenen Resten produzierte meine bessere Hälfte eine Sauerkraut - Soljanka. Als weitere Zutaten kamen eine gehackte Zwiebel, eine Dose passierte Tomaten, ein Päckchen mit 400 Gramm x-beliebigen Sauerkraut sowie Wasser, Salz und Pfeffer. Dann wurde alles zirka 20 Minuten lang, bei mittlerer Hitze auf dem Herd aufgeköchelt.

Zusammen mit einem Becher Sauerer Sahne und - aber nur für mich - zwei bis drei Scheiben Graubrot, ergab dieses ein äußerst leckeres Abendmahl. Damit steht aber auch fest, dass das Graubrot unter die Rubrik Sättigungsbeilage fallen dürfte. 
Während des beim Essen geführten Gesprächs waren meiner besseren Hälfte denn auch erneut Erinnerung an einige Erlebnisse während der Ostsee - Urlaube präsent. An die langen Warteschlangen vor den, in einer eher überschaubaren Zahl vorhandener Lokalen, die neben saftigen Preisen, einem begrenzten Sitzplatzangebot, generell unfreundliche Bedienung aufzuweisen hatten.

Was längst zu dem wesentlichen Bestandteilen der deutschen Wohlstandsgesellschaft zählt, nämlich regelmäßiger Urlaub, unbegrenzte Reisemöglichkeiten sowie eine unüberschaubare Zahl an Speisegaststätten, Imbissen und Lokalen jeder Art, war zu DDR - Zeiten absolut unmöglich bzw. der pure Luxus.

Doch abseits der sehr vielen Nachteile, Ein - und Beschränkungen des real sozialistischen Staatsgebildes, bleibt die Erkenntnis, dass ein Gourmet auch mit wenigen kulinarischen Habseligkeiten, eine Soljanka alle Male einem Stück Fleisch vorziehen sollte. Weshalb wir die auf dem Tisch gelangte Kreation " Echinger Wochenrückblick " nennen.




JIMMY CLIFF  - I Can See Clearly Now  -  1993:









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