Warum es keine Hirschkäfer mehr gibt
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Es war ein heißer Julitag zum Ende der 60er Jahre. Draußen flirrte die Luft. Es mögen so um die 30 bis 32 Grad Celsius gewesen sein, die uns der Hochsommer tagsüber beschert hatte. Zudem war es völlig windstill, was für die Ortschaften um Bad Eilsen, die sich in einem Talkessel befinden, nicht unbedingt selbstverständlich ist. Durch die Ausläufer des Weserberglandes, den Bückeberg, die 20 Kilometer entfernt liegende Porta Westfalica mit der sich anschließenden Wiehengebirge und dem Harrl, der als eine Art Trennwand zwischen Bad Eilsen und Ahnsen sowie auch Bückeburg zu sehen ist, herrscht nicht selten ein leicht windiges Wetter.
An jenem Abend des Julitages stand die Luft in dem Talkessel. Dadurch fühlte sich der heiße Sommertag als ein solcher an. Ich hatte diesen irgendwo mit Freunden verbracht. Während ich mich nach dem Abendbrot in mein Zimmer das im ersten Stock des elterlichen Hauses, über dem dortigen Schlafzimmer lag, zurück zog, um noch ein wenig Radio zu hören, ließ ich das Fenster zum Hof auf. Eigentlich sollte dadurch die frische Abendluft in den aufgeheizten Raum hinein kommen.
Doch die Luft in meinem Zimmer war unerträglich. Sie bewegte sich auch auf dem unter liegenden Hof, der zwischen dem Nachbarhaus der Familie K. liegt, überhaupt nicht. Deshalb war an Schlaf nicht zu denken. Ich legte mich einfach nur auf das Klappbett und hörte dem quäkenden Radio zu. Irgendwann waberte von den weiter entfernt liegenden Nachbarhäusern Akkordeon - Musik herüber. Es musste wohl ein Fest gewesen sein, das dort stattfand,denn es mischten sich zu der Musik laute Stimmen und Gelächter hinzu. Vielleicht feierte ein Bewohner seinen Geburtstag? Als dann lauten Schleppern zu hören war, wusste ich, dass es sich um einen Polterabend handelte.
Einige Zeit später kam ein leichter Wind auf. Die Geräusche von dem Fest wurden von diesem vom Haus weggetragen. Ich schloss das Zimmerfenster, weil die Gardine ständig hin und her wehte. Als ich die Deckenlampe anknipste, gab es an der Fensterscheibe einen Knall. Irgendetwas war an das Glas geflogen. Ich öffnete das Fenster wieder und schaute nach draußen auf das gegenüber liegende Haus der Familie K. Sämtliche Fenster waren dunkel. Nur zur Gartenseite hin, erkannte ich einen schwachen Lichtschein. Von dort aus konnte demnach kein Gegenstand geworfen worden sein.
Mit den Nachbarn K. verstanden sich meine Eltern längst nicht mehr. Der einstige Arbeitskollege unseres Vaters, der nach dem II. Weltkrieg als Vertriebener aus Pommern nach Schaumburg kam, trank zuviel Alkohol, war dadurch zum wahrhaftigen Stinkstiefel geworden und verstarb deshalb auch sehr früh. Davor allerdings ließ er keine Gelegenheit aus, um sich mit seinen Nachbarn anzulegen. Zumeist waren es Lappalien, die er dann - bedingt durch den entsprechenden Alkoholpegel - zu einem Streit eskalieren ließ,
Von daher waren meine ersten Gedanken nach dem Knall an der Fensterscheibe, dass es der Nachbar gewesen sein könnte, der einen Gegenstand an das Fenster geworfen hat. Vielleicht aus Ärger darüber, dass ich die Musik erneut zu laut gehört hatte.
Doch: Es war der Nachbar, der Frührentner und Schwerstalkoholiker an jenem Abend nicht. Ich sah nach unten auf den Hof. Auf der Betondecke erkannte ich einen größeren Käfer, der auf dem Rücken lag und mit sämtlichen sechs Beinen herum strampelte. Er versuchte verzweifelt, sich wieder aufzurichten. Doch mit seiner Zappelei gelang es ihm lediglich, sich um einige Zentimeter nach vorne zu bewegen. Er konnte sich trotz seiner wilden Bemühungen nicht von selbst auf die sechs Beine bringen.
Beim betrachten des verzweifelten Käfer - Kampfes, den geordneten Gang wieder zu erlangen, erkannte ich, dass am vorderen Körperbereich zwei große, Geweih artige Zangen hervor ragten. So einen Käfer hatte ich irgendwann einmal in einem Biologie und Heimatkunde - Buch gesehen. Das Insekt heißt Hirschkäfer, wurde dort genau beschrieben und zudem als unter Naturschutz stehen erklärt. Der Hirschkäfer war bereits damals vom Aussterben bedroht.
Und heute?
Ich nahm eine kleine Pappschachtel aus meinem Nachttischschrank und ging nach unten. Ich war fest entschlossen, den Käfer darin einzufangen und ihn, nach genauerer Betrachtung versteht sich, die Freiheit zu schenken. Langsam trat ich an den hilflos sich herum drehenden Hirschkäfern heran. Obwohl meine latent vorhanden Angst, das Insekt könnte sich plötzlich umdrehen und mit Schmackes auf mich zu fliegen, völlig unbegründet war, schob ich die Pappschachtel sehr vorsichtig an den Käfer heran. Als ich den Rand des Behälters an dem Käfer geschoben hatte, drückte ich den Deckel der Pappschachtel zu der entgegen liegenden Seite und schob damit den Hirschkäfer in die Schachtel hinein. Den Deckel setzte ich sofort oben herauf und schon saß der harmlose Käfer im dunklen Gefängnis.
Den erbeuteten Käfer in der Pappschachtel nahm ich hoch in mein Zimmer. Er sollte sich eine Zeit lang in der Pappschachtel ausruhen. Der aussichtslose Kampf, um wieder auf die Beine zu kommen, hatte mit Sicherheit viel Kraft gekostet.Nach einigen Minuten öffnete ich den Pappdeckel. Ich sah, dass der Käfer beinahe regungslos auf dem Boden des Behälters lag. Seine beiden Zangen sahen schon Furcht erregend aus. Ich schloss den Deckel wieder, sah nach einer längeren Zeit wieder in die Schachtel, um mit zu vergewissern, ob das Tier noch lebt. Es lag immer noch am Boden. Der Käfer hatte sich keinen Millimeter bewegt.
Ich legte mich wieder auf mein Bett, stellte das Radio an und hörte irgendwelche Nachrichtensendungen und später erneut Musik auf WDR 3.
Es war kurz vor Mitternacht als ich mich dazu entschloss, den Hirschkäfer wieder in die Freiheit zu entlassen. Ich öffnete das Fenster, nahm die Pappschachtel, stellte diese auf die Fensterbank, und hob den Deckel des Behältnisses hoch. Dann kippte ich die Schachtel schräg nach unten. Der Käfer merkte die warme Luft des Sommerabends. Er krabbelte aus seinem vorübergehenden Gefängnis heraus, öffnete die Flügel, hob von dem Deckelrand ab und surrte in die warme Nacht davon.
Am nächsten Tag sah ich in die von meinen Eltern angelegte " Bertelsmann " - Enzyklopädie unter " Hirschkäfer " nach. Dort las ich, dass das Insekt lateinisch " Lucanus cervus " heißt, deren Männchen 3,5 bis zu 8 cm groß werden; und dessen Weibchen mit 3 bis 5 cm wesentlich kleiner sind. Hirschkäfer leben in Laubwaldgebieten, ernähren sich von Baum - ( vornehmlich Eichen - ) Säften und benötigen vom Larvenstadium bis zur vollständigen Entwicklung drei bis fünf, manchmal auch bis zu 8 Jahre, ehe sie dann aus dem Boden kriechen und dann nur für wenige Wochen weiter leben.
In dieser Zeit ( Mai bis Juli ) paaren sie sich. Die Männchen verenden zumeist wenig später; die Weibchen legen ihre Eier in den Waldböden ab, ehe sie im Spätsommer versterben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hirschkäfer
Eine kurze Zeit also, in der sie für Menschen sichtbar werden. Die Natur hat es wohl so vorgesehen, sonst wären die Hirschkäfer schon vor Jahrzehnte ausgestorben.
THE TANGENT - A Gap In The Night - The World That We Drive Through - 2004:
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