Mit einem 50 Jahre alten Damenfahrrad auf dem Gehsteig



Es ist Samstagmorgen gegen 8.30 Uhr. Ich gehe, mit einem Einkaufsbeutel, einer schwarzen Schutzmaske und meinem Geldbeutel bestückt zum zirka einen Kilometer entfernt liegenden " NORMA " - Supermarkt, um hier die leckeren " Olivenseelen " zu holen. Sonnabends muss ich mindestens eine halbe Stunde früher los gehen, da sonst die Backwaren schnell zur Neige gehen; insbesondere die leckeren " Olivenseelen ".

Gesagt, getan.

Ich bewege mich gemächlichen Schrittes auf dem Fußweg der Hollener Straße in Richtung Ortsmitte. Um diese Zeit ist es noch ruhiger als an den übrigen Werktagen. Der Berufsverkehr bleibt nahezu aus; und Schule findet eh nicht statt. Leicht verträumt schreite ich über den Fußgängerbereich zwischen Hollener - und Bahnhofsstraße, als ich hinter mir klappernde, ja sogar scheppernde Geräusche vernehme. Diese kommen mir irgendwie bekannt vor. Dennoch kann ich sie noch nicht richtig einordnen.

Das Klappern und Klötern kommt immer näher. Ich gehe vorsichtshalber an den äußerst rechten Rand des Gehsteigs. Dann überholt mich ein Fahrrad. Nein, nicht irgendein Rad und schon gar nicht so ein High Tech - Gefährt, das ich in Massen von den Radwegen auf dem Darß oder aktuell am Echinger sowie Hollener See her kenne. Was an mir vorbei fährt ist eine alte, leicht verrostete Chaise. Ein Damenrad, dass seine besten, seine Glanzzeiten so ab den frühen 196oern gehabt hat. Damals, als ein Fahrrad noch als Luxus galt; ein Moped schon die Grenze des finanziell Machbaren darstellte und ein Auto als eines der Sieben Weltwunder angesehen wurde.

Die ältere Dame, die sich auf dem alten Damenfahrrad davon bewegte, bedankte sich bei mir im Vorbeifahren, dass ich ihr sofort Platz gegeben hatte, damit sie gefahrlos an mir vorbei kommt. Das ist nicht immer selbstverständlich. Oft gibt es großen Streit zwischen Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern. Jeder pocht auf sein vermeintliches Recht, welches häufig das Recht des Stärkeren zu sein scheint.

Das war zu jener Zeit, als das hellrote Damenfahrrad gekauft worden war, nicht der Fall Der Straßenverkehr war in etwa mit der Intensität, die in der " Corona " - Hochzeit, als Besuchsbeschränkungen und Fahrverbote galten, vergleichbar. Ich erkannte das Damenfahrrad wieder. Es war eines, das ich in den frühen 1960er Jahren dann und wann in Bad Eilsen gesehen hatte, wenn es in irgendeinem Fahrradständer, irgendwo abgestellt und mit einem einfachen Schloss abgesperrt worden war.

Das Model muss wohl vom Hersteller " Express " sein. Ein " NSU ", ein " Diamant " oder auch ein " Mars " -, ein " Schauff " - und ein " Peugeo

Diese Räder hatten damals andere Schutzbleche; nicht diese typisch, leicht gerillten Bleche, in denen sich der Schmutz ständig absetzte und die schwer zu putzen waren.
Die Fahrräder der Marke " Express " wurden in der Stadt Neumarkt in der Oberpfalz hergestellt.
Ab Ende der 50er Jahre übernahm die Firma " NSU " die Produktion; der Markenname verbleib indes.

https://de.wikipedia.org/wiki/Express_Werke
https://www.velopedia.online/Document/Show/388


Wie bereits gesagt, noch in der 60er - Dekade galten Fahrräder nicht überall als ein alltäglicher, zu jedem Haushalt zählender Gegenstand. Sie waren im Verhältnis zu den vorherrschenden Einkommensverhältnissen sehr teuer. So schaffte sich einst unsere Mutter ein solches " Express " - Damenfahrrad an, um möglichst schnell zu ihrer ersten Arbeitsstelle bei dem Bad Eilser Lebensmittelladen H.H. Wienecke zu gelangen.
Just dieses Veloziped von " Express " mussten wir dann ein paar Jahre später zusammen mit dem eigenen Rad jeden Samstagnachmittag fleißig putzen.
Als sich unsere Eltern in der Mitte der 60er Jahre einen PKW " Ford 12 M " anschafften, verkaufte unsere Mutter dann das " Express " - Damenfahrrad an eine Arbeitskollegin.

Es war eben ein solches, dass mir an diesem Samstagmorgen auf dem Fußweg begegnete. Es muss mindestens ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben; aber, es fährt noch. Zwar leicht scheppernd und klappernd bewegte es sich in Richtung der Echinger Bahnhofsstraße fort. Ein kleines Stück Zeitgeschichte Deutschlands in Bayern, dort wo es vor einigen Jahrzehnten hergestellt wurde. Da sage noch ein Neunmalkluger, dass alle Menschen in Bayern wohlhabend seien!



THE MIXTURES  -  The Pushbike  Song  -  1971:






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